Verhandlungen
Darum gilt der Mutter-Kind-Pass als "Erfolgsmodell"
Der Mutter-Kind-Pass gilt als österreichisches Erfolgsmodell, steht aktuell aber - wie berichtet - auf wackligen Beinen. Warum ein Ende der kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen verheerende Folgen hätte, erklärt der renommierte Kinderarzt Reinhold Kerbl.
STEIERMARK. Im Gespräch mit MeinBezirk findet Reinhold Kerbl, Generalsekretär der österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) und selbst Kinderarzt, deutliche Worte zum zunächst drohenden, nun aber vermutlich abgewendeten Ende des Mutter-Kind-Passes: Eine Einstellung des Modells, das als etabliertes Tool gilt, wäre aus seiner Sicht im Hinblick auf die Versorgung "eine Katastrophe".
Sichtbarer Erfolg
Diese Einschätzung begründet Kerbl unter anderem mit dem offensichtlichen Erfolg des bewährten Instruments, das im Jahr 1974 unter der damaligen SPÖ-Gesundheitsministerin Ingrid Leodolter eingeführt wurde. Damals lautete das erklärte Ziel, mithilfe der Festlegung von Anzahl und Zeitpunkt gewisser Untersuchungen für Schwangere und Neugeborene die Säuglings- und Müttersterblichkeit erheblich zu senken. Bereits wenige Jahre später stellten sich deutliche Erfolge ein: Bis zum Jahr 1979 sanken sowohl die perinatale Sterblichkeit, die Totgeborene und Todesfälle innerhalb der ersten Lebenswoche umfasst, als auch die Säuglingssterblichkeit um je 40 Prozent. Auch die Müttersterblichkeit ging in den ersten fünf Jahren nach Einführung des Mutter-Kind-Passes um fast die Hälfte zurück.
Druckmittel der Ärztekammer?
Angesichts dieses deutlichen Rückgangs der Sterblichkeit ist es aus Sicht des Mediziners keinesfalls vertretbar, ein derart bewährtes Modell auszusetzen. Sollte es dennoch dazu kommen, wäre Österreich wohl das einzige Land in Europa, das über kein entsprechendes Vorsorgeinstrument verfügt. Allerdings vermutet Kerbl hinter der Ankündigung der Ärztekammer, dass man sich nun auf einen vertragslosen Zustand vorbereiten müsse, auch eine gewisse Verhandlungstaktik.
Sowohl aus fachlicher-medizinischer als auch aus wissenschaftlicher Sicht sei jedenfalls zu hoffen, dass es sich "nur" um ein solches Druckmittel handelt, um eine Erhöhung der Honorare für Ärztinnen und Ärzte erwirken zu können. In dieser Hinsicht zeigt der Mediziner auch Verständnis für die Forderung der Standesvertretung, da es keine andere Leistung gäbe, die so lange - seit 1994 - nicht angepasst wurde.
Früherkennung von zentraler Bedeutung
Neben der Reduktion von Sterblichkeiten ist der Mutter-Kind-Pass auch für die rechtzeitige Erkennung von behandlungswürdigen Krankheiten entscheidend. Alles, was zu spät erkannt wird, hat dagegen eine schlechte Prognose.
Das betrifft beispielsweise den Hüftultraschall, der im Rahmen des Mutter-Kind-Passes durchgeführt wird und eine frühe Diagnose sowie gegebenenfalls auch eine Therapie von Hüftgelenkserkrankungen erlaubt. Würde diese Vorsorgeuntersuchung wegfallen, können übersehene Erkrankungen zu jahrelangen Gehproblemen führen. Ähnliches gilt auch für Hörscreenings, da nicht-diagnostizierte bzw. nicht-therapierte Hörstörungen die Entwicklung des Kindes erheblich beeinträchtigen können.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist es Reinhold Kerbl zufolge somit unbestreitbar, dass es sich bei dem Mutter-Kind-Pass-Modell um eine unbedingt notwendige Präventionsmaßnahme handelt.
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