Landtagswahl
Brauchtum und Heimatpflege

Chuck ging in Gleisdorf mit seinem Poster mitten in diese 2019er Wahlkundgebung der FPÖ. Darauf stand: „Ich liebe meine jüdische Tochter.“ Freilich hat er Schläge kassiert. Das war wenig überraschend. „We rained on their parade“, sagte er später, war aber von der physischen Bedrohung merklich erschüttert.

Chuck ist ein amerikanischer Einwanderer. Er steht folglich auf mehrfache Art im Kontrast zu dieser Veranstaltung. FPÖ-Exponent Herbert Kickl sagte im Laufe seiner Rede von der Bühne herab, Chuck und diese Leute seien Linksextremisten. Natürlich ist Chuck kein Extremist. Ich könnte nicht einmal sagen, daß es zutreffend wäre, ihn mit „links“ zu etikettieren. Das ist einfach Chuck. Eine milde Seele. Ein vorzüglicher Musiker.

Ich sah auch ein Poster mit der Aufschrift „Mut zur Vielfalt“ in den Händen eines der besten Tischler, den man in der Region finden kann. Das ist originell, denn der steirische FPÖ-Chef Mario Kunasek hatte in seiner Rede den Wert des Handwerks hervorgehoben, sich selbst als gelernten Handwerker herausgestellt. Kunasek meinte, die Wertschätzung fürs Handwerkliche müsse in unserer Gesellschaft angehoben werden.

Der Tischler mit seinem Poster mitten im Trubel dieser Kundgebung verfügt über handwerkliche Kompetenzen und einen Ethos von jener Qualität, wie sie unserer Kultur gerade verlorenzugehen drohen. Er verkörpert, was selbst die Vierte Industrielle Revolution nicht abschaffen konnte, aber sehr rar werden ließ.

Es wäre originell gewesen, an diesem Abend zu erheben, ob das fröhliche FPÖ-Publikum aus seinen Reihen wenigstens einen so exzellenten Handwerker hätte auf die Bühne bitten können. Wahrscheinlich hätte es nicht geklappt. (Aber zugegeben, das ist Spekulation.) Dort ordinierte übrigens eine Band aus dem Lager der volkstümlichen Musik.

Das halte ich für bemerkenswert, da die letzten Jahre von keiner anderen Partei „Unsere Kultur“ und „Unsere Identität“ als schützenswert ausgerufen wurde. Konkret: das aktuelle FP-Wahlprogramm beinhaltet das Thema „Heimat und Identität – eine österreichische Leitkultur“.

Das „Handbuch freiheitlicher Politik Steiermark“ enthält unter anderem folgende Forderungen:
+) Steirische Identität und Volkskultur nachhaltig stärken und fördern
+) Erhalt des Förderbereichs „Brauchtum und Heimatpflege“

Das wurde mit jener Combo, die den ganzen FPÖ-Abend begleitete, merkwürdig konterkariert: "Die Untersteierer" vulgo "Original Štajerci". Dieses musikalische Produkt der Unterhaltungsindustrie, Geräuschkulisse ohne relevante musikalische Qualität, hat weder mit authentischer Volksmusik, noch mit unserer Kultur irgendwas zu tun, konnte auch nichts von jener künstlerischen Raffinesse bieten, die sich in wesentlichen Teilen österreichischer Volksmusik finden lassen. Diese Wahl der Begleitmusik kann keinesfalls als ein Beispiel für „Brauchtum und Heimatpflege“ gewertet werden.

Nebenbei bemerkt, es gelingt mir seit Jahren nicht, etwas konkreter herauszufinden, welcher Art die kulturellen Schutzmaßnahmen der FPÖ seien und was genau damit geschützt sein will. Es gelingt mir nicht einmal, in unserer Region kulturelle Beiträge seitens FPÖ-naher Personen zu entdecken, die mir Aufschluß darüber gäben, was ihren kulturellen Bedürfnissen entspräche und was genau sie für einigermaßen typisch hielten, wenn man von der Steiermark spricht.

Identität und Kultur
Ich möchte noch kurz auf die jüdische Tochter von Chuck eingehen, genauer: auf den Antisemitismus, der in Europa derzeit erneut Feste feiert. Ich hatte mir dazu am Morgen nach der Veranstaltung folgende Zeilen notiert:

Wir kennen Kulturen, da wird einem die Zugehörigkeit angedient, sogar nachgeschmissen. Beim Judentum ist das absolut nicht so. Ist die Mutter jüdisch, sind es auch ihre Kinder. Möchte jedoch jemand zum Judentum konvertieren, muß man nicht nur sein Wollen darlegen, sondern sich mit der Kultur und den Regeln vertraut machen, sehr gründlich vertraut machen. Das erfordert einen engagierten Lernprozeß. Wer ich bin, fällt eben nicht vom Himmel, sondern ergibt sich aus den Erfahrungen die ich mache, die ich zulasse, um die ich mich bemühe.

Allerdings ist der Antisemitismus schon so sehr und so lange integraler Bestandteil meiner Kultur, daß man selbst mit lauteren Absichten gelegentlich antisemitische Klischees weiterträgt. Das ist insofern kein Malheur, als man sich in diesen Fragen, wie in tausend anderen Fragen auch, heute recht mühelos Klarheit darüber verschaffen kann, ob man mit einer Annahme richtig liegt. Man erkundigt sich einfach bei jemandem mit Sachkenntnis. Damit läßt sich dieses Problem leicht bannen.

Ich schrieb daher an Künstlerin Sandra Kreisler mit der Bitte, meine Notiz durchzusehen. Sie hatte mir schon öfter Details und Nuancen des Themas erläutert, ist darin von großer Geduld. Ihre Antwort bietet nicht nur Information über einige Aspekte des jüdischen Lebens. Sie ist auch anregend, wenn man darüber nachdenkt, was die vaterländischen Kräfte meinen könnten, wenn sie so gerne Verlautbarungen über „Unsere Kultur“ und „Unsere Identität“ absetzen. Wie ereignet sich all das, wenn nicht bloß Phrasen verbreitet werden?

Wissensgewinn und Kompetenzerwerb ist ja nichts, was sich von selbst einstellt. Beides will errungen werden. Kreisler schrieb zu meiner Skizze: „Ja, es klingt sogar zu einfach, in Wahrheit. Wenn man ‚Giur‘ machen will, also übertreten, sagen einem erst mal die Rabbiner gleich ein paarmal, dass das vermutlich nichts wird, dass es schwer ist - man muss WIRKLICH wollen (und als Mann sich noch beschneiden lassen), man muss Hebräisch lernen und alles Religiöse - es ist wirklich sehr schwer, überzutreten.“

Das wurde allerdings nicht flächendeckend in Stein gehauen. Kreisler: „Aber liberale Juden akzeptieren inzwischen auch Vaterjuden, also solche, deren Vater jüdisch war, die Mutter aber nicht. Aber nur die sehr liberalen. Als Kind eines jüdischen Vaters darf man zwar nach Israel einwandern, aber zum Beispiel heiraten (das geht in Israel nur religiös) darf man nicht. Eine Ehe wird aber anerkannt, wenn man sie im Ausland schliesst, das machen einige Israelis inzwischen, die nicht religiös heiraten wollen, oder die gleichgeschlechtlich heiraten wollen.“

Das macht anschaulich: Kultur wandelt sich stets, wie sich auch eine Gesellschaft immer verändert. Deshalb kann sich menschliche Gemeinschaft dennoch auf einen großen historischen Bogen stützen, in dem etwas von atemberaubender Dauer Wirkung hat. Das Fortwährende und das Dynamische schließen einander nicht aus.

Kreisler notierte augenzwinkernd: „Bei Muslimen muss man nur vor zwei irgendwelchen Muslimen sagen: Ich glaube an Mohammed - zack - ist man Muslim.“ Polemik? Keineswegs! Ich hab nahgesehen. Eine seriöse Quelle besagt: „Muslim zu werden, ist ein simpler und einfacher Prozess. Alles, was eine Person tun muss, ist einen Satz auszusprechen, der Glaubensbekenntnis (Schahada) genannt wird.“

Mehr nicht? Genau! Die Schahada wird so ausgesprochen: „Ich bezeuge: La ilaha illa Allah, Muhammad rasul Allah.“ Das bedarf der Erläuterung. Diese arabischen Worte bedeuten: „Es gibt keinen wahren Gott (keine wahre Gottheit) außer Gott (Allah), und Muhammad ist der Gesandte (Prophet) Gottes.”

Sie ahnen gewiß, so ein Konzept läßt eine Menge Spielraum für Privatmythologien und individuelle Ideen, Auslegungen, denn: „Sobald eine Person das Glaubensbekenntnis (Schahada) mit Überzeugung und Verständnis der Bedeutung ausspricht, dann ist er / sie Muslim geworden.“

Bei den jüdischen Menschen geht es keinesfalls so salopp zu. Das heißt, da kann man auch nicht einfach ein Thema nach Belieben okkupieren und für sich nutzbar machen. Man muß sich verständigen, muß belegen, daß man weiß, wovon man redet, muß sich der Debatte und dem Urteil anderer stellen.

Modalitäten
Worin also Kultur und Tradition allenfalls Schutz vertragen können, ist ein Schutz gegen völlige Beliebigkeit in der Benutzung von Begriffen, von Symbolen, von Erzählungen. Es geht auch um den Schutz gegen hohle Phrasen und gegen verdeckte Intentionen.

Es gibt ein klares Prinzip, das mir alte Handwerker verdeutlicht haben: "Man sagt nur, was man kann und man kann das was man sagt." Da zählt ein Großmaul gar nichts.

Dazu fällt mir ein, das wäre wohl auch für unsere politische Situation ein interessantes Ensemble von Rahmenbedingungen. Daß jemand nicht einfach ein Thema okkupieren und mit hohlen Phrasen promoten kann, sondern in eine kritischen Auseinandersetzung darlegen muß, wovon er oder sie da redet und auf welche belegbaren Kompetenzen sich solcher Anwärtertum stützt.

Unsere Kultur, unsere Heimat, unsere Identität wären unter solchen Bedingungen keine beliebige Manövriermasse für politische Abenteuer. Also wie? Man muß sich verständigen, muß belegen, daß man weiß, wovon man redet, muß sich der Debatte und dem Urteil anderer stellen. Ein sehr interessanter Modus!

+) Zur steirischen Politik

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