Scheitert Koalition an Umweltfragen?
Keine Entscheidung: Pfand auf Plastikflaschen auf Herbst vertagt

Bundesministerin Leonore Gewessler und Staatssekretär Magnus Brunner diskutierten am 2. Juni gemeinsam mit den führenden Wirtschaftsakteuren, Interessenvertretungen und NGOs beim "Runden Tisch zu Kunststoff-Getränkeverpackungen" über die Erreichung der EU-Sammel- & Recycling-Ziele. Der österreichische Handel hat sich dabei dezidiert gegen die andiskutierte Einführung eines Einwegpfand-Systems ausgesprochen. Die SPÖ fordert ein einheitliches Pfandsystem für ganz Europa. Und die FPÖ sieht gar die Koalition an der Frage zerplatzen. Kurz zum Ergebnis des "Runden Tisches": Man wird im Herbst weitersehen.

ÖSTERREICH. Während in anderen europäischen Staaten Pfand auf Plastikflaschen längst Standard ist, etwa in den Niederlanden, wo ab 1. Juli 2021 sogar ein Pfand auch auf kleine Plastikflaschen eingeführt wurde (Pro Flasche mit weniger als 1 Liter Inhalt werden dann 0,15 EUR fällig), und man bereits das Thema 'Pfand auf Dosen' angeht, wird in Österreich weiterhin diskutiert: Das Ergebnis der Gespräche vom 2. Juni des von der Klimaministerin einberufenen 'Runden Tisch':

Pfand gibt es weiterhin keines, aber man hat vereinbart, dass bis zum Herbst Handlungsoptionen zur Erfüllung der EU-Ziele im Rahmen der Kreislaufwirtschaft erarbeitet werden. Zur Erinnerung: Konkret sieht die EU-Richtlinie zu Single-Use-Plastic vor, dass Getränkeflaschen aus Kunststoff (derzeit werden in Österreich rund 1,6 Milliarden jährlich in Verkehr gesetzt) bis zum Jahr 2025 zu zumindest 77 % und bis zum Jahr 2029 zu zumindest 90 % getrennt gesammelt und recycelt werden müssen. Aktuell beträgt die Sammelquote in Österreich 70 %.

Erste Gespräche im Juni

„Für alle Beteiligten am Runden Tisch war es wichtig, rasch Klarheit zu haben. Das ist auch mein Interesse. Wir müssen das Problem des ständig steigenden Plastikmülls in unserer Natur lösen und sicherstellen, dass wir die EU-rechtlich verbindlichen Sammelziele für Kunststoffgetränkeflaschen erreichen. Dazu werden wir jetzt konkrete Details eines möglichen Einwegpfandsystems für Österreich entwickeln. Auch den Stakeholder-Dialog zu Plastik-Verpackungen werden wir wieder aufnehmen um Kreislaufwirtschaft als Ganzes zu betrachten. Schon im Juni wird es dazu weitere Gespräche geben. Wir wollen rasch alle Entscheidungsgrundlagen vorliegen haben“, sagte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler nach dem Runden Tisch. "Wichtig für uns ist es, die zu erfüllenden Quoten gesamthaft zu betrachten und bestehende Synergieeffekte zu nutzen um alle Vorgaben erfüllen zu können. Ein Pfandsystem, wie derzeit diskutiert erfasst lediglich einen Teilbereich des Gesamten. Für eine finale Entscheidung wird es besonders darauf ankommen eine Gesamtsicht auf die Entwicklung des österreichischen Abfallsystems zu erreichen. Ein Ausbau und Effizienzsteigerung der bestehenden Systeme ist ebenfalls ein möglicher Weg, der umfassend beleuchtet werden sollte", so Staatssekretär Magnus Brunner im Anschluss an den Runden Tisch.

Studie des Ministeriums befürwortet Pfand

Laut einer vorliegenden Studie „Möglichkeiten zur Umsetzung der EU-Vorgaben betreffend Getränkegebinde, Pfandsysteme und Mehrweg“ (Konsortium des Technischen Büros Hauer, der Universität für Bodenkultur und der Montanuniversität Leoben) zeigen Vergleiche mit internationalen Erfahrungen, dass ein Pfand auf Einweg-Kunststoff-Getränkeflaschen eine kostengünstige Maßnahme darstellt, getrennte Sammelquoten von 90 % zu erreichen. Die Studie bietet damit eine Betrachtung eines Ausschnitts der vielfältigen Vorgaben, die im Rahmen der Single-Use-Plastics-Richtlinie erreicht werden müssen. Zu diskutieren sind darüber hinaus auch Wege zur Erfüllung von höheren Recyclingquoten für Siedlungsabfall, Verpackungen und Kunststoffverpackungen.

Kritik vom Handelsverband

"Vor der Entscheidung über die etwaige Einführung eines Einwegpfand-Systems ist eine faktenbasierte, objektive Kosten-Nutzen-Analyse der einzig richtige Weg. Die Einbeziehung der EU-Gesamtzielsetzung ist dabei notwendig, um die Klima- und Umweltschutz-Effekte mit möglichst wirtschafts- und konsumentenverträglichen Vorgaben zu vereinbaren", sagt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Laut dem Handelsverband würde  das Einwegpfand-Modell für Kunststoffflaschen die volkswirtschaftlich am wenigsten effiziente Maßnahme sein und aus gesamtgesellschaftlicher Sicht jedenfalls ein Ausbau der langjährig bestens bewährten getrennten Sammlung und Sortierung zu bevorzugen sein. Und weiter Punkte führte der Handelsverband als Kritik an:

  1. Einwegpfand gefährdet Nahversorgung: Die mit der Einführung eines Einwegpfand-Systems zu erwartenden hohen Belastungen würden selbstständige Einzelhändler in Bedrängnis bringen oder zur Auflassung der Geschäftstätigkeit führen. Gerade Investitionen in Automaten sind für KMU-Händler mit wenig Kundenfrequenz nicht wirtschaftlich stemmbar, andererseits müssten kleine Einzelhändler ohne Automaten eine Abwanderung der Kundschaft zur Konkurrenz befürchten.
  2. Mehrheit der Konsumenten gegen Einwegpfand: Zahlreiche Studien zeigen, dass sich eine Mehrheit der heimischen Konsumenten gegen die Einführung eines Einwegpfand-Systems aussprechen. Im Zuge der Corona-Krise würde das Ergebnis wohl noch eindeutiger gegen Einwegpfand ausfallen. Das Konsumentenverhalten hat sich stark verändert und nicht notwendige Wege werden weiterhin so gut es geht vermieden.
  3. Einwegpfand bedeutet Mehrbelastung für Konsumenten: Die Einführung eines Einwegpfandes würde auf jeden Fall zu einer Mehrbelastung der Konsumenten führen. Gerade die Entsorgung von Kunststoff ist in Österreich sehr kompliziert und nicht einheitlich gelöst. Entsorgungshinweise für Kunden auf Verpackungen anzubringen ist aufgrund der je Bundesland unterschiedlichen Vorgaben zur Entsorgung unmöglich. Hier wäre es sinnvoll, an einheitlichen Lösungen zu arbeiten. Aktuell können PET-Flaschen jederzeit entsorgt werden und das in mehr als 2 Mio. Abgabemöglichkeiten österreichweit. Durch ein Pfandsystem könnte man PET-Flaschen nur noch zu den Filialöffnungszeiten des Handels in ca. 6.000 Geschäften zurückgeben.
  4. Einwegpfand erschwert Kunststoff-Recyclingziele: Da neben der Sammlung der PET-Flaschen auch die Sammlung der restlichen Kunststoffe intensiviert werden muss, um die Kunststoff-Recyclingziele der EU zu erreichen, müssten Konsumenten bei einem Einwegpfand-System zusätzlich zur Rückgabe der PET-Flaschen in der Filiale auch noch den restlichen Kunststoffabfall getrennt sammeln und extra entsorgen, anstatt alles gemeinsam abzugeben.
  5. Einwegpfand führt zu Reduktion der Mehrweg-Quote: Erfahrungen aus Deutschland zeigen zudem, dass durch die Einführung des Einwegpfandes die Mehrwegquote sinkt, da der Anteil der PET-Flaschen (Einweg) steigt. Daher konnte Deutschland mit der Einführung seines Einwegpfand-Systems keinen Beitrag zur Reduktion von Kunststoffverpackungen erwirken.

SPÖ fordert EU-weites Pfandsystem

Der SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl fordert eine gemeinsame Regelungen:„Das Problem mit Verpackungsmüll endet nicht an nationalen Grenzen. Das heutige Treffen in Wien zeigt, dass das Thema Müllvermeidung endlich mehr Aufmerksamkeit bekommt. Eine österreichische Regelung wäre ein erster Schritt, aber eine echte Lösung des Problems kann nur gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten gefunden werden“, tritt Sidl, der Mitglied im Umweltausschuss des EU-Parlaments ist, für ein EU-weites Pfandsystem für Einweg-Getränkeverpackungen, etwa für Plastikflaschen und Getränkedosen, ein. Ein einheitliches Pfandsystem für ganz Europa würde sicherstellen, dass wir unsere Ressourcen richtig kanalisieren“, erklärt Sidl, der auch an die kürzlich präsentierte Kreislaufwirtschaft-Strategie der EU-Kommission erinnert: „Kreislaufwirtschaft darf – genau wie der Green Deal – keine Überschrift bleiben. Das sind wichtige Vorhaben, die wir jetzt mit den richtigen Inhalten beleben müssen.“ Konkret sollten laut Sidl alle Einweg-Getränkeverpackungen in einem Pfandsystem erfasst und dadurch auch grenzüberschreitend zurückgegeben werden können.

ÖVP blockiert Umweltschutz

SPÖ-Klimaschutzsprecherin Julia Herr ortet hingegen eine Blockade der ÖVP, ein Pfand auf Plastikflaschen einzuheben.  Sie bezieht sich dabei auf eine Aussendung von ÖVP Umweltsprecher Johannes Schmuckenschlager: „Das Thema Pfandsystem findet sich nicht in unserem Regierungsprogramm und in Krisenzeiten ist es meiner Ansicht nach nicht angebracht über neue teure Systeme nachzudenken, die in ihrer Sinnhaftigkeit fragwürdig sind, ohne über Weiterentwicklung und Optimierung bereits hocheffizienter Sammelsysteme zu sprechen. Das ist eine sehr durchsichtige Aktion um vor der Wien-Wahl die fehlenden Sammelquoten in der Bundeshauptstadt unter Grüner Mitverantwortung zu kaschieren. Sollten ernsthafte Bemühungen zur Erreichung besserer Sammelquoten und Vorgaben der Richtlinie angestrebt werden, kann man darüber reden, jedoch nicht bei einer Scheindiskussion“, schließt Schmuckenschlager.

FPÖ sieht Koalitionsspaltung

Der freiheitliche Umweltsprecher NAbg. Walter Rauch sieht wenig Licht für die Einführung eines Pfandes, da die Bemühungen einzig und allein an der ÖVP scheitern. „Die Fronten sind völlig verhärtet, da die ÖVP gemeinsam mit der schwarz-dominierten Wirtschaftskammer den Blockierer spielt und gegen ein Pfandsystem auftritt. Es kann aber schlicht und einfach nicht sein, dass eine derart wichtige Initiative nur an einer Partei scheitert, die glaubt ihre Machtgelüste ausspielen zu müssen. Ministerin Gewessler ist nun gefordert, hier durchzugreifen und die Einführung eines Plastikpfandes auf den Weg zu bringen – wenn es sein muss auch ohne der ÖVP“, sagte Rauch. „Auch, wenn es die ÖVP nicht gerne hört: 75 Prozent der Österreicher befürworten laut Umfragen die Einführung eines Plastikpfandes. Dass man sich diesen Stimmen aber laut widersetzt, ist ein mehr als ungebührliches Verhalten. Ist diese mehr als fragwürdige Vorgangsweise der vielgepriesene neue Stil, oder der alte schwarze Anstrich aus vergangenen Tagen? Angesichts der mehr als absurden Ablehnungsgründe deutet alles auf Zweiteres hin“, bekräftigte Rauch. Laut Rauch sei das Plastikpfand ein Paradebeispiel dafür, wie Umweltschutz mit Hausverstand funktioniert – "auch, wenn die ÖVP immer das Gegenteil behauptet: Ein derartiges System verursacht keine Mehrkosten, da es für den Kunden aufkommensneutral ist. Auch die Wirtschaft und vor allem Lebensmittelgeschäfte profitieren davon, da dadurch Kunden langfristig gebunden werden können“, betonte der FPÖ-Umweltsprecher.

Österreichs Getränkeindustrie unterstützt beste Lösung 

„Aktuell haben wir in Österreich im Bereich der getrennten Sammlung von PET-Getränkeflaschen eine Sammelquote von über 70 %. Bis 2025 auf die von der EU vorgeschriebenen 77 % zu kommen, ist realistisch“, hält Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin des Fachverbandes Lebensmittelindustrie, für den Getränkeverband fest. „Bis 2029 aber müssen wir 90 % getrennt sammeln. Und dazu braucht es gerade jetzt nach der Coronakrise die wirtschaftlich vernünftigste sowie die ökologisch nachhaltigste Lösung. Das wird ohne ganzheitliche Betrachtung und unter genauer Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Abfallwirtschaftssystems nicht gehen. Wir benötigen realistische Kostenberechnungen entlang der gesamten Wertschöpfungsketten, Antworten auf Convenience-Fragen, zielgenaue Prognosen zu volkswirtschaftlichen Effekten, müssen Umwelt- und Klimaschutzfaktoren berücksichtigen und damit den europäischen Kreislaufwirtschaftszielen Rechnung tragen“, begrüßt Koßdorff den nun gestarteten weiteren Prozess, um faktenbasiert Handlungsoptionen auszuarbeiten.

Reclay fordert modernes Einweg-Pfandsystem

Christian Abl, Geschäftsführer der Reclay UFH GmbH und Teilnehmer des Runden Tisches, fordert eine Neustrukturierung der bestehenden Sammel- und Recyclingsysteme in Österreich. Zwei wesentliche Aspekte davon sind die Einführung eines modernen Einweg-Pfandsystems und die Verbesserung der Recyclingfähigkeit mittels Optimierung aller Verpackungen. „Nur so werden wir die Kapazitätsengpässe der bestehenden Recyclingsysteme überwinden und die definierten EU-Sammel- und Recyclingquoten erreichen“, so Abl. Der zweite wichtige Aspekt einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft ist die Frage der Recyclingfähigkeit: „Wir müssen bei allen Verpackungen – unabhängig vom Material – eine praktische Recyclingfähigkeit fördern. Das bedeutet eine verpflichtende Einführung von Mindesteinsatzquoten von Rezyklaten für alle Verpackungen. Auf diese Weise fördern wir die Recyclingwirtschaft und schaffen eine Perspektive für die Verpackungshersteller, die durch die derzeitigen Anti-Plastik-Initiativen des Handels zunehmend unter Druck gesetzt werden. Darüber hinaus wird die Qualität von Verpackungen durch Vermischung von weniger PET-Fraktionen verbessert“, erklärt Abl.

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