Weihnachtsgeschichte: Der Adventkalender der kleinen Freuden

Foto: flickr.com // Joe Buckingham

Es war einmal ... eine alte Frau namens Rosalie, die war sehr einsam. Jedes Jahr fürchtete sie sich vor der Weihnachtszeit. Weihnachten: das Fest der Familien, das Fest der Liebe. Doch da Rosalie so einsam und alleine war, konnte sie sich wenig auf Weihnachten freuen. So ging das schon viele Jahre. Doch dieses Jahr sollte alles anders werden. Denn sie stand auf der Liste der guten Weihnachtsfee und die wollte heuer dafür sorgen, dass die alte Dame auch wieder einmal ein schönes Weihnachtsfest feiern konnte.

Ein Weihnachtswichtel wurde zur Erde geschickt und schon am ersten Dezember sollte es losgehen mit den kleinen Vor- weihnachtsvorfreuden. Der Wichtel hatte es sich zum Ziel gesetzt, der alten Dame jeden Tag bis Weihnachten eine kleine Freude zu bereiten. Rosalie wurde mit ei- nem ganz persönlichen Adventkalender bedacht, der ihr Leben wieder ein biss- chen freundlicher und glücklicher ma- chen sollte.

Der Weihnachtswichtel hatte sich ein ganzes Jahr auf seine Aufgabe vorbereitet. Am ersten Dezember fand die alte Dame einen Adventkalender in ihrem Postkasten. Keinen aus Schokolade, nein, der Adventkalender sah sehr alt aus, fast schon vergilbt. Die Ansicht eines kleinen Städtchens war zu sehen, mit vielen geschäftigen Menschen, die alle in Weihnachtsstimmung zu sein schienen. Ein hell erleuchteter Christbaum in der Mitte, ein kleiner Eislaufplatz, ein Maronibrater, ein Kaufmannsladen, strahlende Kinderau- gen, kleine Engelchen, bunte Geschenke, alles war da. Rosalie staunte über diesen schönen alten Adventkalender aus Papier, sie glaubte, sich zu erinnern, dass sie so ei- nen Adventkalender als Kind auch einmal besessen hatte.

Sie öffnete das erste Türchen und da lächelte ihr das kleine Bild eines Kindes ent- gegen. Sie kannte dieses Kind, es war nämlich niemand anderer als sie selbst. Wie konnte das Foto nur in diesen Adventkalender gelangt sein? Ein Werbegag? Rosalie untersuchte den Adventkalender, fand jedoch weder die Aufschrift einer Firma noch ein Logo oder Markenzeichen. Sehr seltsam, vielleicht nur eine zufällige Ähn-ichkeit? So eigenartig ihr die Sache jetzt vorkam, so sehr freute sie sich doch über diesen seltsamen Adventkalender.

Welches Bildchen würde wohl Tür Nummer zwei für sie bereithalten? Rosa- lies Neugierde war so groß, dass sie fast schon nachsehen wollte, doch sie konnte sich gerade noch zurückhalten. Schließlich hätte der Adventkalender sonst seine Funktion verloren. Außerdem wäre dann die ganze Mühe des Wichtels umsonst gewesen, denn wenn die alte Dame die Türchen zu früh geöffnet hätte, wäre die ganze Magie verloren gegangen, die kleinen Freuden hätten sich in Luft aufgelöst und dieser wunderbare Adventkalender wäre nur noch ein Zierbild aus farbigem Papier gewesen.

Am nächsten Tag öffnete Rosalie gleich in der Früh das zweite Türchen. Dahinter versteckte sich eine entzückende Blaumeise. Rosalie mochte Vögel, war jedoch immer sehr traurig, weil sich zu ihrem kleinen Futterhäuschen im 14. Stock noch nie ein Vogel verirrt hatte. Doch heute war das anders. So wie im Adventkalen- der hüpfte und flatterte an Rosalies Fens- ter nun eine Blaumeise herum. „Ein Wunder!“, dachte Rosalie, „ein Vögelchen kommt zu mir!“ Das Futter stammte noch aus dem Vorjahr, doch waren die Sonnenblumenkerne immer noch sehr delikat. So ließ es sich die kleine Blaumeise schmecken und kam von nun an jeden Tag zu Besuch. Was für eine Freude! Schön langsam dämmerte es der alten Dame, dass dieser Adventkalender etwas ganz Besonderes war. Was würde am nächsten Tag auf sie zukommen?

Sie war richtig aufgeregt und konnte es gar nicht erwarten, am dritten Dezember das nächste Türchen zu öffnen. Die Blaumeise war schon am frühen Morgen zu Gast und leistete Rosalie vom Fenster aus Gesellschaft.
Mit zittrigen Händen öffnete diese Türchen Nummer drei und fand darin eine Zahlenreihe. Was konnte das sein? Vielleicht eine Telefonnummer? Hoffentlich
war das keine Falle? Wollte sie jemand hereinlegen, hatte es jemand auf ihr weniges Geld abgesehen? Doch nein, das kleine Vögelchen war der beste Beweis dafür, dass dieser Adventkalender etwas Gutes bedeuten musste.

So ging sie zum Telefon und wählte die Nummer. Sie wartete gespannt, wer sich am anderen Ende der Leitung wohl melden würde. „Maria Gernberger“, lautete der Name der Angerufenen. „Maria, bist du es?“ Rosalie erkannte die Stimme einer längst verloren geglaubten Schulfreundin. Nein, war das jetzt schön, sich zu hören. Schon wieder ein Wunder! Ein Treffen für das neue Jahr wurde vereinbart, und die alte Dame freute sich schon wieder.

So ging es weiter. Jeden Tag ein kleines Wunder, jeden Tag eine große Freude.
Am 6. Dezember verbarg sich eine Tür hinter der Tür. Ein guter Hinweis, die Wohnung wieder einmal zu verlassen, dachte Rosalie und begab sich in den Lift. Ein junger Mann hielt ihr lächelnd die Lifttür auf, und unten an der Haustür machte er es schon wieder. Das Lächeln des jungen Mannes war ansteckend und begleitete Rosalie durch den Tag.

Am 7. Dezember versteckte sich der Name eines kleinen Kaffeehauses, das sich ganz in der Nähe befand, hinter dem Adventkalendertürchen. Rosalie war so motiviert, dass sie es wirklich tat: Wild entschlossen ging sie zum ersten Mal allein in ein Kaffeehaus. Sie entschied sich für einen kleinen Tisch in der Ecke. Eine Torte, ein Häferlkaffee und eine Unterhaltung folgten. Denn kaum hatte Rosalie sich gesetzt, nahm eine andere alte Dame an ihrem Tisch Platz, jedoch nicht ohne zuvor höflich zu fragen, ob hier denn noch frei sei. Ein nettes Gespräch entwickelte sich. Die zweite Dame stellte sich als Theresia vor. Sie war öfter hier, und wie es schien, kamen hier viele ältere Leute her, um sich zu treffen. So ein schöner Nachmittag, so eine Freude! Rosalies Leben hatte sich bereits sehr zum Positiven verändert. Mit einem Lä- cheln ging sie abends zu Bett und konnte es kaum erwarten, tags darauf aufzustehen, um ein weiteres Türchen im Advent- kalender zu öffnen.

9. Dezember: Ein Buchtipp. So ging Rosalie gleich in die Stadt, um sich das Buch zu besorgen. Ein Ratgeber zur positiven Lebensführung. Sehr schön. Auf dem Nachhauseweg ging sich noch ein Besuch im Kaffeehaus aus, wo sie auch ihre neue Freundin Theresia wieder „zufällig“ traf.

10. Dezember: Ein Notenschlüssel. Ach ja, das war doch einmal eine große Leidenschaft gewesen, das Zitherspiel. Ganz hinten im Kasten fand Rosalie ihre alte Zither. Die Lieder von damals konnte sie noch immer auswendig spielen. Das war jetzt wieder eine Freude, selbst Musik zu machen, und ein paar Weihnachtslieder waren auch schon dabei. Die Blaumeise lauschte vom Fenster aus und wurde durch die gute Fütterung immer wohlgenährter.

11. Dezember: Eine Schneeflocke. Und wirklich, an diesem Dezembertag begann es zu schneien. Die alte Frau liebte den Schnee.

12. Dezember: Schon wieder eine Telefonnummer. Am anderen Ende meldete sich das städtische Tierheim. Ein Besuch dort folgte: Von nun an begleitete Katze Cleopatra Rosalies Lebensweg. Eine große Freude, die noch viele Jahre lang anhalten sollte.

So ging das Tag für Tag. Der Weihnachtswichtel hatte sich für jeden Tag etwas Neues einfallen lassen, wie er der alten Dame eine Freude machen konnte. Die Kaffeehausbesuche wurden häufiger, die Blaumeise kam unermüdlich geflogen, brachte hin und wieder ein paar Blaumeisenfreunde mit und die Katze war begeisterte Zuseherin bei den täg- lichen Vogelbesuchen.

Rosalie spielte regelmäßig auf ihrer Zither, meldete sich für das Seniorenturnen an und erstand einen eleganten Hut. Am 22. Dezember wurde seit vielen Jahren erstmals wieder ein Christbaum gekauft und am 23. Dezember stand das Baumschmücken auf dem Programm.

Natürlich war Rosalie besonders gespannt, was sich hinter dem Türchen des
24. Dezember verbarg. Das wusste sie noch aus der Kindheit, dass am 24. Dezember immer etwas ganz Besonderes hinter dem Türchen wartete. Etwas enttäuscht zeigte sich Rosalie schon, als sie lediglich ein weihnachtlich geschmücktes Telefon entdeckte. Keine Nummer.

Doch kurze Zeit später klingelte das Telefon und die neue Kaffeehausfreundin war am Apparat. Sie fragte Rosalie, ob sie nicht heute Nachmittag ins Kaffeehaus kommen wolle und dort für die alten Menschen, die sonst allein gewesen wären und hier gemeinsam Weihnachten feierten, mit ihrer Zither aufzuspielen. Sie entschuldigte sich noch für die späte Anfrage und dass sie es verstehen würde, wenn Rosalie an Weihnachten andere Verpflichtungen habe. Doch hatte die Kaffeehausfreundin den Satz noch gar nicht richtig zu Ende gesprochen, als ihr Rosalie schon ins Wort fiel: „Ja! Ich komme sehr, sehr gerne!“

Die Weihnachtsfreude war groß im Herzen der alten Dame. Ja das war die schönste Freude, Weihnachten nicht allein feiern zu müssen, sondern im Kreis von Menschen, die sich auf sie und ihr Zitherspiel freuten. Rosalie wurde im Kaffeehaus herzlich empfangen und war der Star des Abends. Immer wieder wurde sie gebeten, ein weiteres Lied zu spielen, und ein großer Zauber lag an diesem Abend in der Luft. Denn es war der Weihnachtsabend, und dieser Abend ist magisch. Das Fest der Liebe lässt Wunder wahr werden und öffnet die Herzen.

Rosalie hatte 24 Freudentage hinter sich und konnte ihr neues Glück kaum fassen. Auch über Weihnachten hinaus veränderte sich ihr Leben zum Positiven.
Die Blaumeise kam mit ihren Freunden alle Jahre wieder zum Vogelhaus in den 14. Stock geflogen. Rosalies neue Freund- schaften vertieften sich und das Zither- spiel wurde zum fixen Programmpunkt im Kaffeehaus. Katze und Frauchen er- freuten sich gleichermaßen aneinander und das Treffen mit der alten Schulfreun- din stand schon fix im Kalender.

Der Weihnachtswichtel war sehr zufrieden. Zu wem er wohl nächstes Jahr kommen wird? Das weiß nur die Weihnachtsfee, denn sie schickt ihre Wichtel zu den Menschen auf die Erde, um deren Leben ein bisschen wunderbarer zu gestalten. Denn, Wunder wollen geschehen. Nicht nur in der Weihnachtszeit!

Information zur Autorin und dem Buch

Nina Stögmüller

Die begeisterte Schreiberin und (Koch-)Buchautorin arbeitet seit 17 Jahren im Pressebereich. 1999 wurde sie leitende Redakteurin im OÖ Landespressedienst. 2005 wechselte sie in die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Oberösterreichischen Landesmuseen und seit Anfang 2008 ist sie Pressesprecherin bei der VKB-Bank. Nina Stögmüller ist stellvertretende Sprecherin des Frauennetzwerkes im OÖ Presseclub und begeisterte Netzwerkerin.

Informationen zum Buch

Titel: Adventkalender erzählen: Ein Lese- und Märchenbuch
ISBN: 978-3-7025-0764-0
Umfang: 156 Seiten
Preis: € 22,00
Shop: http://www.pustet.at

2 Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN


Aktuelle Nachrichten aus Österreich auf MeinBezirk.at

Neuigkeiten aus deinem Bezirk als Push-Nachricht direkt aufs Handy

MeinBezirk auf Facebook: MeinBezirk.at/Österrreichweite Nachrichten

MeinBezirk auf Instagram: @meinbezirk.at


Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.