Sozialhilfegesetz versagt
Armutskonferenz übt scharfe Kritik an der neuen Sozialhilfe

Die neue Sozialhilfe versagt und ist ein "Rückschritt in der Armutsbekämpfung", kritisiert die Armutskonferenz.  | Foto: Armutskonferenz
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  • Die neue Sozialhilfe versagt und ist ein "Rückschritt in der Armutsbekämpfung", kritisiert die Armutskonferenz.
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Die Vertreter der Armutskonferenz waren sich am Donnerstag einig: Die Gesundheitskrise ist in den vergangenen Monaten auch zu einer Sozialkrise geworden. Die schlechte Sozialhilfe-Neu könne diese nicht lösen. 

ÖSTERREICH. Die ersten Erfahrungen mit der Sozialhilfe Neu hätten gezeigt: Die Abschaffung der Mindestsicherung und das verabschiedete neue „Sozialhilfe-Grundsatzgesetz“ ist ein Rückschritt in der Armutsbekämpfung in Österreich, befindet die Armutskonferenz, ein Zusammenschluss von 40 sozialen Organisationen am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Wien. "Das Gesetz verschärft bestehende Armutslagen, degradiert Betroffene zu Bittstellern, wird sie stärker als früher beschämen  und eröffnet neue Hürden und Unsicherheiten", schilfert Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie Österreich. Die Armutshilfe hat in einem Bericht die ersten Erfahrungen mit der neu eingeführten Sozialhilfe zusammengefasst.

Sozialhilfegesetz hat versagt

Oberösterreich und Niederösterreich haben das Sozialhilfegesetz als bisher einzige Bundesländerbereits eingeführt. Weitere Länder werden in wenigen Wochen folgen.  Dort könne man gerade beobachten, wie die neue Sozialhilfe gänzlich versagt. Die Auswirkungen sind dort mittlerweile im Alltag Betroffener sichtbar, schildert Norbert Krammer , bei "VertretungsNetz" Bereichsleiter für Erwachsenenvertretung. „Stellen Sie sich vor, Sie sind psychisch erkrankt. Deshalb haben Sie ein paarmal Termine vor Behörden versäumt oder Nachweise nicht fristgerecht erbracht. In Oberösterreich zum Beispiel kann das zur Folge haben, dass Ihre Sozialhilfe, von der Sie abhängig sind, weil sie aufgrund der Erkrankung nicht arbeiten können, bis auf Null gekürzt und monatelang ausgesetzt wird, und zwar mit dem Argument der ‚Verletzung der Mitwirkungspflichten‘“, erläutert Krammer einen drastischen Fall. "Wie soll das gehen, von Nichts leben?"

Pflegegeld kürzt Sozialhilfe

Auch wer Angehörige mit Behinderungen im selben Haushalt pflegt, wird bestraft: Den neuen Regelungen zufolge wird das Pflegegeld nun als Einkommen der Angehörigen gewertet – und kürzt die Sozialhilfeleistung dramatisch. Vom „Behindertenbonus“ – sofern er überhaupt zugestanden wird – bleibe den meisten Menschen mit Beeinträchtigungen nichts übrig. Eine  bundesweit einheitliche Absicherung von Menschen mit psychischen Erkrankungen könne das Sozialhilfegesetz nicht leisten, lautet das Fazit. 

Geringe Kinderrichtsätze treffen Familien in OÖ hart

Ähnlich sieht das Josef Pürmayr vom Armutsnetzwerk Oberösterreich, wo das neue Sozialhilfegesetz bereits angewendet wird. "Das ist ein schlechtes Gesetzt. Wir merken die Auswirkungen tagtäglich." Er weist auf die geringeren Richtsätze hin, die für Erwachsene und Kinder gelten. Die ursprüngliche Staffelung pro Kind im "Grundsatzgesetz"– für das erste Kind waren 25 Prozent, für das Zweite 15 und das dritte Kind 5 Prozent und ab dem dritten Kind 5 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes vorgesehen – wurde vom VfGH als verfassungswidrig aufgehoben. "

In Oberösterreich ist das auch geschehen. Die Richtsätze wurden allerdings so verändert, dass im Vergleich zum Grundsatzgesetz erst beim fünften Kind eine merkbare Verbesserung, was die Höhe der Zuschüsse betrifft, festgestellt werden kann." Die Richtsätze seien viel zu gering, so Pürmayr. Für das erste Kind wird in Oberösterreich nun 25 Prozent des Alleinstehendenrichtsatzes zuerkannt, für zwei Kinder jeweils 20 Prozent, für drei Kinder im gemeinsamen Haushalt jeweils 15 Prozent, ab 4 Kindern jeweils 12,5 Prozent und ab fünf Kindern jeweils 12 Prozent. "Haushalte mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern haben monatlich jetzt circa 80 Euro weniger zur Verfügung. Bei drei Kindern summiert sich das im Vergleich zur bedarfsorientierten Mindestsicherung bereits auf 250 Euro", rechnet Pürmayr vor. Mit vier Kindern gebe es gar eine Reduktion von 390 Euro. Eine dramatische Verschlechterung im Vergleich zur Mindestsicherung, befindet er. Problematisch sei auch, dass die Wohnbauhilfe der neuen Sozialhilfe zur Gänze abzuziehen sei, was bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung nicht der Fall war. 

Volkshilfe: Pandemie führt zu wachsender Armut

Die Länder würden nach Aufhebung der Staffelung im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz die Spielräume zum Großteil nicht ausnützen, "und das obwohl sie die Möglichkeit hätten, die höhe der Leistungen für Kinder selbst zu bestimmen", führt Erich Fenninger von der Volkshilfe weiter aus.  So erhält in Niederösterreich eine Familie mit vier Kindern im Vergleich zur Mindestsicherung (bei angenommenem „vollen Bezug“) nun monatlich um rund 400 Euro weniger Sozialhilfe-Unterstützung. In Salzburg erhält eine alleinerziehende Person mit einem Kind eine geringere Leistung von Minus 222 Euro monatlich, bei zwei Kindern steigt dieses Minus auf über 700 Euro. "Und das alles unter dem Motto: wer arm ist, ist selber schuld. Wer schuld ist, darf nichts bekommen", kritisiert Fenninger: 

Erich Fenninger von der Volkshilfe fordert eine Reform des "schlechten Sozialhilfegesetz".  | Foto: Armutskonferenz
  • Erich Fenninger von der Volkshilfe fordert eine Reform des "schlechten Sozialhilfegesetz".
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Die Coronapandemie habe die Situation noch verschärft und führe zu einem Anwachsen von Armut. Bereits vor der Krise war in Österreich jedes fünfte Kind armutsbetroffen: 2019 galten 303.000 Kinder in Österreich als armutsgefährdet. Der Bedarf an akuter Hilfe werde immer größer, so Fenninger: In den Volkshilfe-Sozialberatungsstellen verzeichnet man einen Zuwachsvon 75 Prozent der AntragstellerInnen, die um Hilfe ansuchen. Darunter seien zahlreiche Familien, die zuvor nie von Armut betroffen waren, nun aber ihren Arbeitsplatz verloren haben oder über ein viel geringeres Einkommen verfügen.

Delogierungswelle droht

Alexander Machatschke von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe rechnet im kommenden Jahr mit einer großen Welle von Delogierungen, spätestens im Herbst. Die neue Sozialhilfe verschärfe auch die Situation für Wohnungslose durch die Aufteilung von 40 Prozent auf Wohnbedarf und 60 Prozent für Lebensunterhalt. Bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung waren dies noch 25 Prozent für Wohnbedarf und 75 Prozent für den Lebensunterhalt. Wohnungslose Menschen erhielten nun 15 Prozent weniger Leistung, haben aber trotzdem oft nicht nachweisbare Wohnkosten zu zahlen. So gestalte es sich auch schwierig, etwas für künftige Kautionen oder Provisionen anzusparen.

Reform der Sozialhilfe gefordert

Die jetzige Fassung des Sozialhilfegesetzes sei so uneinheitliche und zerstückelt wie noch nie, also dasgenaue Gegenteil von „bundeseinheitlich“, lauter der Befund der Armustkonferenz. Sie fordert die Bundesregierung daher auf, die Sozialhilfe umfassend zu reformieren. "Zweitens: die Einführung einer Kindergrundsicherung", betont Fenninger. Und drittens ein rascher Beginn der Arbeit am nationalen Aktionsplans gegen Armut, unter Einbeziehung von Experten und Sozialorganisationen. Dieser hätte bereits im Jänner starten sollen, so Fenninger. 

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