Ludwig Bittner zur EU-Erbrechtsverordnung: "Testament jetzt überprüfen!

Bittner: "Jetzt gibt es in ganz Europa nur mehr ein Nachlassverfahren statt mehrerer nationaler." | Foto: Sabine Miesgang
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Am 17. August tritt die neue Erbrechtsverordnung der EU in Kraft. Worum geht es da?
LUDWIG BITTNER: Es geht um die Vereinheitlichung der Verlassenschaftsverfahren in Europa. Bisher wurde jeder Nachlass national extra behandelt. Es gab praktisch ein Nachlassverfahren in jedem Land nach verschiedenem Recht und nach verschiedener Gerichtszuständigkeit. Jetzt gibt es in ganz Europa nur mehr ein Nachlassverfahren statt mehrerer nationaler.

Die Verordnung tritt in allen EU-Staaten in Kraft?
Ja. Nur in Dänemark, Großbritannien und Irland nicht.

"Die EU-Erbrechtsverordnung knüpft nicht an die Staatsbürgerschaft an."

Ein Beispiel: Ein Österreicher stirbt in Prag, wo er seit Jahren wohnt. Heißt das, mit seinem Nachlass befasst sich jetzt ein tschechisches Gericht?
Ja. Und zwar nach tschechischem Erbrecht. Also, nicht nur das Gericht, sondern auch tschechisches Recht – beides haben wir dadurch. Denn die EU-Erbrechtsverordnung knüpft nicht an die Staatsbürgerschaft an, sondern an den gewöhnlichen Aufenthalt. Das ist sehr wichtig.

Es sei denn, im Testament steht etwas anderes, oder?
Eine Variante wäre, in einem Testament auf das Heimatrecht zu optieren. Dann können auch die Erben durch Zuständigkeitsvereinbarung das Gericht des Heimatstaates wählen, statt des Gerichtes im Aufenthaltsstaat.

Wenn die Person, die in Prag lebt, ein Unternehmen, sagen wir eine Tischlerei, in Österreich besitzt und kein Testament gemacht hat, was dann?
Dann gibt es eine tschechische Nachlassgerichtsbarkeit mit tschechischem Erbrecht als Anwendung. Wobei ich sagen muss, dass in Tschechien das Nachlassverfahren hervorragend funktioniert.

Hat die neue Erbrechtsverordnung auch einen Haken?
Zwei. Erstens: die Nachlassverfahren haben in den verschiedenen EU-Ländern unterschiedliche Qualitäten. Zweitens: Das Erbschaftssteuerrecht wurde nicht harmonisiert. Man kann mit einem Nachlass in einem Land mit hohen Steuersätzen unter Umständen mit einer europaweiten Annahme der Erbschaft in eine hohe Steuerlast geraten. Etwa in Belgien, Frankreich und Spanien.

Umgekehrt kann man aber auch einer hohen Steuerlast entgehen.
Ja. Wirtschaftstreuhänder sind bereits sehr intensiv für vermögende Klienten am Planen.

Die neue Verordnung sieht ja auch Vorteile für Paare mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit vor.
Durch den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben sie dann, wenn erwünscht, ein gemeinsames Recht.

Was ändert sich mit der EU-Verordnung noch?
Die Testamente. Man hat ja bisher pro nationalem Nachlass ein Testament gehabt. Also, Sie haben das Testament für die Wohnung in Mallorca in Spanien gemacht und das Testament für den österreichischen Nachlass hier. Alle diese Testamente muss man überprüfen, möglicherweise vereinheitlichen, weil ja die Verfahrensschritte anders gehen und sich die Testamente bisher widersprechen konnten. Jetzt können sie das nicht mehr.

"Das Erbschaftssteuerrecht wurde nicht harmonisiert."

Nach Österreich. Ein zentraler Punkt im neuen Erbrecht ab 2017 ist die Anerkennung von Pflegeleistungen. Was heißt das konkret?
Pflegeleistungen sind bisher manchmal abgegolten worden, manchmal nicht oder schon durch Testamente, Schenkungen oder Übergaben entsprechend honoriert oder womöglich aufgrund irgendwelcher vertraglicher Verpflichtungen notwendig geworden. Alle diese Dinge fängt man natürlich mit einer reinen Anerkennung der Pflegeleistungen nicht ein. Der Gesetzgeber hat jetzt zwar eine Lösung ins Erbrecht hineingebracht, sodass derjenige, der pflegt, eine Art Ersatz durch Vermächtnis bekommt. Eine einfache Lösung wird man für die Pflegeleistungen aber nie finden können.

Was ist, wenn ein Verstorbener jetzt keinen gesetzlichen Erben hat?
Da gab es bisher natürlich den Staat. Der Gesetzgeber hat jetzt eine Auffangregel geschaffen, dass der Lebensgefährte, der keine letztwillige Verfügung zu seinen Gunsten hat, noch subsidiär drankommt. Das heißt, bevor es der Staat kriegt, und der Lebensgefährte nichts kriegt, soll es eben der Lebensgefährte kriegen.

Wie betrifft das neue Erbrecht die Familienbetriebe?
Mit der Erbrechtsreform gibt es eine Möglichkeit, den Pflichtteil zu stunden und diese Stundungsmöglichkeit kann entweder im Testament wahrgenommen werden oder auch dann noch im Verfahren über den Richter. Das ist eine an sich gute Sache. Denn Pflichtteile, die sofort auszuzahlen sind, können einem Betrieb sehr schaden.

Kann die Erbrechtsverordnung der EU das neue österreichische Erbrecht irgendwie aushebeln?
Nein, die Erbrechtsverordnung sieht ja selbst kein Erbrecht vor, sondern nur die Anwendbarkeit nationalen Erbrechts. Also: Habe ich österreichisches Recht, habe ich zum Beispiel die Stundungsmöglichkeit, habe ich eine anderes Recht, habe ich diese Möglichkeit vielleicht nicht.

Im Fall einer Scheidung: Was muss man hier beim neuen Erbrecht berücksichtigen?
Es steht jetzt endlich im Gesetz, dass Testamente im Zweifel bei der Scheidung aufgehoben sind und nicht weiter gelten. Das war zwar schon bisher Rechtsprechung, ist aber ein Detail, das endlich geklärt wurde.

Vielen Dank für das Gespräch.

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