AK-Wahlen
Präsidentin Anderl: Löhne in Betrieben transparent machen!

Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl im Gespräch mit MeinBezirk.at zum Start der AK-Wahlen. | Foto: Roland Ferrigato
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  • Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl im Gespräch mit MeinBezirk.at zum Start der AK-Wahlen.
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Die Regelarbeitszeit gesetzlich auf 38,5 Stunden verkürzen, ein höheres Arbeitslosengeld, Offenlegung der Gehälter innerhalb der Betriebe: Die Präsidentin der Arbeiterkammer Österreich (AK) Renate Anderl hat klare Konzepte für den Arbeitsmarkt und erklärt, warum es wichtig ist, dass Beschäftigte ihre Stimme bei den heurigen AK-Wahlen abgeben.

ÖSTERREICH. Ab 26. Jänner finden in Österreich Arbeiterkammer-Wahlen für Beschäftigte statt, den Anfang machen die Bundesländer Salzburg und Vorarlberg. Mehr dazu hier. Alle Arbeitnehmerinnen und -nehmer haben mit diesen Arbeiterkammer-Wahlen die Möglichkeit, den Kurs Ihrer Interessenvertretung mitzubestimmen. In jedem Bundesland wird eine eigenständige Wahl abgehalten. Wahlberechtigt bist du in dem Bundesland, in dem du arbeitest.

MeinBezirk.at: Frau Präsidentin, die Wahlbeteiligung bei den AK Wahlen ist zwar 2022 um vier Prozent auf über 40 Prozent gestiegen, könnte aber höher sein. Wie erklären Sie einem ArbeitnehmerIn, warum sie ihre Stimme bei der AK-Wahl abgeben soll? Mit welchen Maßnahmen erhöhen Sie das Interesse an den Wahlen?
Renate Anderl: Das letzte Mal haben wir in Wien eine Wahlbeteiligung von über 42 Prozent geschafft. Aber Luft nach oben gibt es natürlich immer. Wir merken, dass die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen die Arbeiterkammer und ihre Leistungen sehr schätzen. Wir führen jährlich rund zwei Millionen Beratungen durch. Bei jedem Vertrauensindex sind wir immer unter den ersten drei Institutionen, nach Volksanwalt und Polizei. Das Bewusstsein, dass man für uns seine Stimme abgeben muss, um die politische Richtung mitzubestimmen, geht leider oft verloren. Über Kampagnen, aber auch über persönliche Gespräche mit Beschäftigten, weisen wir auf diese Wahl hin. Bei uns dürfen alle mitwählen, die in Österreich einen Arbeitsplatz haben, unabhängig von der Staatsbürgerschaft, und wo sie wohnen.
 
Nun haben wir ja heuer auch Nationalratswahlen. Wie plant die Arbeiterkammer, sich aktiv in den politischen Diskurs im Vorfeld einzubringen, etwa zu Schlüsselthemen im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik? Wie sehr stimmen Sie sich mit SPÖ-Chef Babler bei den verschiedenen arbeitsmarktpolitischen Themenbereichen ab?
Uns ist wichtig, die Anliegen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten: Wie schaut die Arbeitswelt aus? Was macht man in der Arbeitszeit? Wie schaut Arbeitszeit aus? Was kann man hier verändern? Wie geht es unseren Beschäftigten, wenn wir Situationen haben, die eigentlich nicht mehr zeitgemäß sind? Haben wir genügend Gesundheitsversorgung? Wir werden die Stimme von vier Millionen Mitgliedern der Arbeiterkammer und ihrer Anliegen sein.
 
Weil sie die Arbeitszeit angesprochen haben: Welche Haltung vertritt die Arbeiterkammer zur Idee einer 30-Stunden- oder einer 4-Tage-Woche bzw. zur Umsetzung flexiblerer Arbeitszeitmodelle?
Wir haben seit mehr als einem halben Jahrhundert ein Arbeitszeitgesetz für 40 Stunden. Das Gesetz ist nicht mehr zeitgemäß. Wir haben heute in der Mehrzahl aller Arbeitsverhältnisse eine Arbeitszeit von 38,5, aber auch 36, 34, oder in dem ein oder anderen Betrieb auch 30 Wochenstunden. Also alles ist möglich, wie man sieht. Uns wäre wichtig, im Gesetz statt 40 nur 38,5 Wochenstunden zu verankern. Wir müssen uns auch deshalb über Arbeitszeit Gedanken machen, weil wir weitaus produktiver als vor 50 Jahren sind – auch durch die Digitalisierung. Wir brauchen für die Beschäftigten auch Erholungszeiten, eben in Form einer Arbeitszeitverkürzung. Wir brauchen eine Arbeitswelt, die im 21. Jahrhundert zeitgemäß ist.

Die Arbeitslosigkeit steigt wieder. Mit welchen Maßnahmen sollten arbeitslose Menschen mindestens abgesichert werden, um nicht in die Armut zu fallen?
Wir fordern seit Jahren, dass das Arbeitslosengeld auf 70 Prozent angehoben wird, denn es ist für Menschen, die arbeitslos werden, sehr schwierig, von 100 Prozent Einkommen so viel Geld zu verlieren – häufig von einem Tag auf den anderen. Ganz viele Arbeitslose kommen unverschuldet in diese Situation: Betriebe sperren zu oder bauen Beschäftigte ab. Wenn sich jemand verändern will, hat er meistens schon seinen Plan. Und schließlich müssen wir Arbeitslose schneller vermitteln. Dazu gehört noch bessere Beratung und Weiterbildung. Vor zwei Jahren hat die Regierung versprochen, über eine Arbeitslosenversicherung zu sprechen. Eine solche Reform wurde leider nicht mit uns diskutiert und unsere Vorschläge letztendlich in die Schublade gelegt.
 
Welchen Handlungsbedarf sehen Sie bei der Qualifizierung und Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Bezug auf Fachkräftemangel?
Fachkräftebedarf ist da, aber wir haben viel Potenzial im Land, auch bei Menschen, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind. Weiterbildung muss für alle gelten, leider haben sich sehr viele Betriebe davon verabschiedet, selbst Fachkräfte auszubilden oder jungen Menschen mit Lehrausbildungen eine Chance zu geben. Früher konnte man im zweiten Bildungsweg im Betrieb selbst die Facharbeiterausbildung nachholen. Viele Frauen wollen gerne Vollzeit arbeiten und sich weiterbilden. Da fehlen uns die Rahmenbedingungen. Auch in der Pflege müssen es nicht immer die Frauen sein, die sich darum kümmern.
 
Die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern ist immer noch enorm hoch – Frauen verdienen um fast 30 Prozent weniger als Männer. Wie wollen Sie das verändern?
Wir machen kleine Schritte in die richtige Richtung, aber diese gehen eindeutig zu langsam. Am Ziel sind wir noch lange nicht. Betriebe müssen zb. Einkommensberichte legen oder bei Stellenausschreibungen den Lohn angeben. Ziel der Arbeiterkammer ist es, Löhne in Betrieben transparent zu machen. Denn nur wenn ich weiß, was mein Kollege, der neben mir sitzt und die gleiche Arbeit macht, verdient, kann ich gegen ungleiche Bezahlung auftreten. Meist bleiben ja unsere Einkommen streng geheim. Offenlegung hat aber nichts mit Neid oder Gehässigkeit zu tun! Beispiel: Ein großer steirischer Betrieb hat eine Stelle inklusive Einkommen ausgeschrieben. Eine Kollegin, die dort in einer Halle genau an einem im Inserat beschriebenen Arbeitsplatz beschäftigt war, verdiente weniger als ausgeschrieben, worauf sie sich um die Stelle bewarb. Das sorgte im Personalbüro für Verwirrung, aber so kam heraus, dass Frauen für den gleichen Job geringer bezahlt wurden. Die Kollegin bekam daraufhin ein höheres Gehalt. An dem Beispiel sieht man, wie wichtig die Offenlegung der Gehälter ist.

Mietpreisdeckel, Abschaffung der kalten Progression, Energiekostenzuschüsse: Die Regierung hat ja gegen die Teuerung einiges gemacht. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um der finanziellen Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die Teuerung entgegenzuwirken?
Wir haben im Sommer 2022 der Bundesregierung einen Maßnahmenkatalog vorgelegt, in dem es darum ging, dort, wo der Markt sich selbst nicht mehr reguliert, in die Preise einzugreifen, bei Energie, Mieten, Lebensmitteln. Das waren Maßnahmen zur Senkung der Inflation. Die Mietpreisbremse kam viel zu spät, der Mietpreis ist immer noch zu hoch. In anderen Bereichen wurde kaum in die Preise eingegriffen, um die Inflation schneller zu senken. Die Bundesregierung hat sehr viel Geld in die Hand genommen, um mit Einmalzahlungen den Menschen, den Beschäftigten, zu helfen. Das hilft auch – kurz. Ich sage bewusst kurz, weil es kurzfristig ist. Nach ein bis zwei Monaten steht man wieder vor der Situation. Maßnahmen zu setzen, um die Inflation einzudämmen, wären viel, viel wichtiger gewesen. Innerhalb der Europäischen Union zählen wir immer noch zu den Ländern mit einer sehr hohen Inflation. Wir haben erst im Dezember erlebt, dass sie nicht weiter runtergeht, sondern wieder etwas steigt. Nicht die Löhne tragen dafür die Verantwortung. Das haben schon andere Expertinnen und Experten festgestellt. Es sind die Gewinne vieler Unternehmen, die die Inflation hinauftreiben. Das hat die Nationalbank festgestellt. Es geht darum, wie kommen wir mit der Inflation runter? Das ist das Wichtigste, damit sich die Menschen mit ihren Einkommen wieder mehr leisten können. 

Die Arbeiterkammer stand im Spätsommer in der Kritik: Während Arbeitnehmer mit der Teuerung kämpfen, sind die Einnahmen aus der AK-Umlage - diese wird monatlich mit den Sozialversicherungsbeiträgen von Löhnen und Gehältern abgezogen - von 565,5 Millionen Euro 2022, auf 572 Millionen Euro in 2023 gestiegen. Das Geld soll unter anderem in eine Rücklage für die AK-Wahlen fließen. Für was genau? Wohin fließt es noch? Stimmt es, dass damit auf internationalen Finanzmärkten spekuliert wird?
Das ist nicht wahr, dass damit auf internationalen Finanzmärkten gehandelt wird, und wir spekulieren nicht. Aber natürlich haben wir Rückstellungen, wie jeder andere Betrieb auch – ob es für den Urlaub ist, oder für Pensionen. Wir haben 35 Millionen Euro für die AK-Wahl zurückgestellt. Das heißt aber nicht, dass die Wahl diese Summe kostet. Auch wir spüren die gestiegenen Preise – etwa bei Portokosten. Wir haben neben den Rückstellungen aber auch viele Leistungen für unsere Mitglieder ausgebaut. Seit fünf Jahren gibt es kostenlose Mietrechtsberatungen für unsere Mitglieder,. Das müssen wir jetzt weiter ausbauen, weil durch die Inflation viele Beschäftigte nicht mehr wissen, ob ihr Mietvertrag korrekt ist. Wir haben kürzlich eine Pflegegeldberatung eingerichtet. Auch hier kämpfen wir für unsere Mitglieder bis vor Gericht für ein höheres Pflegegeld. Wir strecken mit dem „Lohngarantiefonds“ unseren Mitglieder Lohn vor, den sie nicht bekommen haben und gerade vor Gericht mit unserem Rechtsschutz erstreiten. Das Geld, das wir von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bekommen, geben wir also eins zu eins zurück. Und schließlich fließt ein Teil der Rücklagen in die Instandhaltung unserer 100 Gebäude, in denen wir Beratungstätigkeiten durchführen. 

Die FPÖ hat einen Antrag zur Abschaffung der AK-Pflichtmitgliedschaft eingebracht, auch die Neos kritisieren diese. Ist die Pflichtmitgliedschaft noch zeitgemäß, oder würde mit einer Abschaffung das Sozialpartnermodell kippen?
Wenn wir bei allen Vertrauensumfragen an dritter Stelle sind und jährlich über zwei Millionen kostenlose Beratungen durchführen, so denke ich, dass die gesetzliche Mitgliedschaft auf jeden Fall noch zeitgemäß ist. Selbstverständlich gibt es Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die uns weder im Bereich Konsumentenschutz, in der Pflege oder im Steuer- und Arbeitsrecht brauchen. Aber mit dem Solidaritätsgedanken und in einer Zeit, wo der Druck in der Arbeitswelt immer größer wird, merken wir, dass die Beratung auch immer mehr an Bedeutung gewinnt und die Beschäftigten wissen, wo sie ihr Recht durchsetzen können. Neben der Wirtschafts-, Ärzte- und Apothekerkammer, die ja auch Mitgliedsbeiträge einheben, ist dieses Modell auch in der Arbeiterkammer für mich unumstritten. Es ist die beste Institution, die wir haben. Viele Länder beneiden uns darum. Viele Beschäftigte im Niedriglohnbereich haben nicht das Geld, sich einen Juristen leisten zu können, der vielleicht ein zweijähriges Gerichtsverfahren durchführt.

Sind Sie der Meinung, dass Altkanzler Alfred Gusenbauer wegen der Signa-Pleite sich aus der SPÖ-Partei zurückziehen sollte?
Ich verstehe die Diskussion überhaupt nicht. Wenn jemand viel Geld verdient, hat er sich noch nichts zuschulden kommen lassen. Ich sehe hier keine Gesetzesübertretung, die er gemacht hat und daher verstehe ich die Aufregung nicht. Gusenbauer ist nicht in den höchsten Gremien der Sozialdemokratie, er ist einfaches Mitglied. Das kann er ruhig auch weiterhin bleiben.

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