SOS Mitmensch zeigt Fälle auf
Rassismus gegen Muslime im Vorjahr gestiegen

Minarett in Telfs: Die Marktgemeinde ist Spitzenreiter bei muslimischen Schülern in Tirol. | Foto: RegionalMedien Austria
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Zum vierten Mal hat SOS Mitmensch einen Bericht über antimuslimischen Rassismus in der österreichischen Politik herausgebracht. Für das Jahr 2021 wurden fast 70 Vorfälle dokumentiert. Die Organisation hat einen Forderungskatalog an die Regierung veröffentlicht.

ÖSTERREICH. SOS Mitmensch beobachtet mit großer Sorge, dass antimuslimischer Rassismus in der Spitzenpolitik in Österreich bislang keine politischen Konsequenzen nach sich ziehe. Neben zahlreichen FPÖ-Spitzenpolitikerinnen und -politikern, wie etwa FPÖ-Obmann Herbert Kickl und FPÖ-Nationalratspräsident Norbert Hofer, seien auch Mitglieder der ÖVP, wie etwa Integrationsministerin Susanne Raab, an der kollektiven Abwertung und Ausgrenzung von Musliminnen und Muslimen beteiligt, kritisiert SOS Mitmensch. Erstmals veröffentlicht SOS Mitmensch eine Erklär-Webseite zu antimuslimischem Rassismus.

„Es ist schockierend, dass Personen in hohen politischen Positionen ihre Stellung missbrauchen, um Vorurteile und teilweise sogar offenen Hass gegen Menschen alleine aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit zu schüren“

, kritisiert Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch, die Agitation von Teilen der Politik. Laut Pollak beträfen die von SOS Mitmensch dokumentierten Rassismus-Fälle nahezu die gesamte FPÖ-Parteispitze. Darüber hinaus seien auch antimuslimisch-rassistische Tendenzen bei Teilen der ÖVP erkennbar, so Pollak, der als Beispiel Äußerungen von Integrationsministerin Susanne Raab nennt, wonach muslimische Mädchen hierzulande lediglich „Gäste“ seien.

Abwertung und Ausgrenzung 

Von Seiten der FPÖ sei im Jahr 2021 erneut die Corona-Pandemie als Aufhänger für mehrere Wellen von antimuslimisch aufgeladenen Falsch- und Verschwörungsgeschichten missbraucht worden, so SOS Mitmensch. Ein wiederkehrendes Motiv sei auch die pauschale Abstempelung von Kopftuch tragenden Frauen als defizitbehaftet. Darüber hinaus falle die Skandalisierung von Feiertagsgrüßen an Musliminnen und Muslimen durch die FPÖ und die gezielte Nichtadressierung zu religiösen Feiertagen durch Teile der ÖVP auf, so die Menschenrechtsorganisation. SOS Mitmensch betont, dass es bei antimuslimischem Rassismus nicht um die kritische Auseinandersetzung mit Religion gehe, sondern um die kollektive Abwertung und Ausgrenzung von Menschen allein aufgrund einer Vorurteils- und Hassideologie.

Jede Woche Vorfälle in der Spitzenpolitik

„Die Dichte an politischer Agitation gegen Muslim*innen war im ersten Halbjahr 2021 sehr hoch und hat dann im zweiten Halbjahr aufgrund der Korruptionsaffären und der Diskussion über die Impfpflicht abgenommen“, konstatiert Pollak. Insgesamt habe es im Gesamtjahr im Durchschnitt mehr als einmal pro Woche einen antimuslimisch-rassistischen Vorfall durch Vertreter*innen der Spitzenpolitik gegeben, und das sei erschreckend, betont der SOS Mitmensch-Sprecher. Noch dazu habe keiner der Vorfälle für die Verantwortlichen negative politische Konsequenzen gehabt, berichtet Pollak.

„Um Bewusstsein über antimuslimische Abwertungs-, Ausgrenzungs- und Feindbildkampagnen zu fördern, haben wir jetzt erstmalig eine Erklär-Webseite zu antimuslimischem Rassismus online gestellt. Wir führen anhand von Fallbeispielen aus, was antimuslimischer Rassismus ist, wie er auftritt, was er anrichtet und worin sich rassistische Aussagen von legitimer Kritik unterscheiden“, so Pollak.

Vorbilder haben Gremien geschaffen

Von der österreichischen Bundesregierung fordert SOS Mitmensch, sich an Ländern wie Deutschland oder Norwegen ein Beispiel zu nehmen, wo inzwischen Gremien ins Leben gerufen wurden, die sich mit Muslimenfeindlichkeit befassen. „Es ist ein schwerwiegendes Versäumnis, dass die österreichische Bundesregierung bislang keine einzige Handlung gegen antimuslimischen Rassismus gesetzt hat. Nicht einmal eine von der Regierung anerkannte Definition gibt es bislang“, kritisiert Pollak.

Antimuslimische Beispiele aus dem Vorjahr

Formen des antimuslimischen Rassismus 2021 Folgende Formen des antimuslimischen Rassismus in der österreichischen Politik sind im Bericht über das Jahr 2021 unter anderem erfasst:

  • Muslim*innen werden als unwert dargestellt, Geldleistungen vom Staat zu erhalten: etwa, wenn, entgegen der Faktenlage, Kindergeldzahlungen an Eltern, die in Österreich arbeiten, aber deren Kinder nicht in Österreich leben, mit Muslim*innen verknüpft und Muslim*innen zu Sündenböcken dafür gemacht werden, dass Geld „für unsere arbeitslosen Steirer“ fehlen würde.
  • Muslim*innen werden zu Sündenböcken für unpopuläre politische Entscheidungen gemacht: etwa, wenn angedeutet wird, Muslim*innen wären schuld an Lockdowns während der Corona-Pandemie
  • Muslim*innen werden kollektiv als Bedrohung dargestellt, etwa, wenn ein Politiker die „Zuwanderung aus islamischen Ländern“ pauschal mit „töten“ in Verbindung bringt, oder wenn islamische Einrichtungen und muslimische Organisationen durch eine im Extremismuskontext präsentierte „Islam-Landkarte“ Bedrohungszusammenhang gesetzt werden. pauschal in einen Muslim*innen werden pauschal als defizitbehaftet abgewertet: etwa, wenn kopftuchtragende Frauen als prototypisch für Personen mit Leseproblemen und für das „Nichterreichen von Bildungsstandards“ dargestellt werden.
Der von SOS Mitmensch präsentierte Bericht dokumentiert für das Jahr 2021 mehr als 70 antimuslimisch-rassistische Äußerungen im politischen Kontext. | Foto: Symbolfoto/Artur Aldyrkhanov/Unsplash
  • Der von SOS Mitmensch präsentierte Bericht dokumentiert für das Jahr 2021 mehr als 70 antimuslimisch-rassistische Äußerungen im politischen Kontext.
  • Foto: Symbolfoto/Artur Aldyrkhanov/Unsplash
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  • Muslim*innen werden als „ewige Fremde“ abgestempelt: etwa, wenn fixe Grenzlinien zwischen „den Muslimen“ und „den Österreichern“ gezogen werden, oder wenn Muslim*innen kollektiv als „Ausländer“ dargestellt werden, oder wenn ein rein christliches „Wir“ formuliert wird, das Muslim*innen kollektiv ausschließen soll, oder wenn Muslim*innen pauschal die Fähigkeit zur „Integration“ abgesprochen wird, oder wenn Muslim*innen pauschal in Verbindung mit Begriffen wie „Überfremdung“ und „Bevölkerungsaustausch“ gebracht werden, oder wenn Muslim*innen pauschal eine „Herzensbindung“ zu Österreich abgesprochen wird, oder wenn muslimische Mädchen nicht als nicht als Teil der österreichischen Bevölkerung, sondern als Personen, die sich in „europäischen Gastgebergesellschaften“ aufhalten, bezeichnet werden. 
  • Es wird kollektiver Neid gegen Muslim*innen geschürt: etwa, wenn Muslim*innen als privilegierte Personen präsentiert werden, die sich nicht an alle Regeln und Gesetze halten müssten, oder wenn Verschwörungsgeschichten in den Raum gestellt werden und 123 beispielsweise behauptet wird, die Politik würde sich bei ihren Corona-Maßnahmen an islamischen Feiertagen ausrichten.
  • Negative Phänomene werden auf Muslim*innen reduziert: etwa, wenn bezüglich der Nichteinhaltung von Corona-Regeln ausschließlich Fälle mit mutmaßlichen Muslim*innen als handelnden Personen herangezogen werden, oder wenn negative Phänomene wie „Kriminalität“ oder „Arbeitslosigkeit“ mit Muslim*innen verknüpft werden, oder wenn religionsbezogene Corona-Cluster, sobald mutmaßlich Muslim*innen betroffen sind, plötzlich zu einem „neuen Problem“ erklärt werden und ausschließlich die Überwachung „islamischer Gebetsstätten und Vereinslokale“ gefordert wird, oder wenn Gewalt gegen Frauen auf „Zuwanderer aus islamischen Ländern“ reduziert wird, oder wenn „der Islam“ als einzige ideologische Quelle des Patriarchats genannt wird.
  • Religionszugehörigkeits-Zählungen werden durchgeführt, um die Bevölkerung zu spalten, Bedrohungsbilder zu kommunizieren und gegen Muslim*innen aufzuwiegeln: etwa, wenn alleine das Vorhandensein von Muslim*innen und/oder die Zunahme der Anzahl an Muslim*innen ohne weitere Begründung per se als etwas Negatives, Gefährliches oder Skandalöses dargestellt wird, oder muslimische Schüler*innen pauschal als Bedrohung „unserer heimischen Kultur- und Werteordnung“ bezeichnet werden.
  • Jegliche religiöse Praxis von Muslim*innen wird pauschal und undifferenziert abgewertet und als Bedrohung für die Sicherheit dargestellt: etwa, wenn das Begehen islamischer Feiertage auf eine Stufe mit „Islamismus“ gestellt wird, oder jegliche Gebetshäuser für Muslim*innen (und nur Gebetshäuser für Muslim*innen) pauschal als Bedrohung markiert werden, oder der Ruf von Muezzins mit der „Abschaffung“ eines gesamten Landes oder eines gesamten Kontinents in Verbindung gebracht wird.
  • Muslim*innen werden auf Vertreter*innen einer radikalen islamistischen Ideologie reduziert und diese Vertreter*innen als repräsentativ für alle Muslim*innen dargestellt, etwa, wenn eine nichtrepräsentative Niqabträgerin als „Repräsentantin der Muslim*innen in Deutschland“ ins Bild gesetzt und jede*r einzelne*r Muslim*in mit dem Begriff „Islamisierung“ in Verbindung gebracht wird, oder wenn sämtliche Asylsuchenden pauschal mit „Moscheen mit radikal-islamistischem Background“ in Verbindung gebracht werden.
  • Feiertagsgrüße an Muslim*innen werden abgewertet und skandalisiert: etwa, wenn Ramadan-Feiertagsgrüße des österreichischen Bundespräsidenten als „unwichtig“ dargestellt und Muslim*innen damit als unwichtiger Teil der Gesellschaft abgewertet werden.
  • Muslim*innen werden auf reichweitenstarken Kanälen keine Feiertagsgrüße ausgerichtet, während andere Religionsgemeinschaften auf diesen Kanälen Feiertagsgrüße erhalten: etwa, wenn Politiker*innen auf Facebook zu den jeweiligen hohen Feiertagen Grüße an Katholik*innen, Protestant*innen, orthodoxe Christ*innen und Jüd*innen richten, aber nicht an Muslim*innen. 
  • Kritik an der offiziellen Vertretung von Muslim*innen in Österreich wird mit der Forderung nach kompletter Auflösung der Vertretung verbunden: etwa, wenn nach einer umstrittenen Wiederöffnung einer Moschee die Auflösung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gefordert und der Glaubensgemeinschaft (ohne Anzeige zu erstatten) pauschal die Rechtsstaatlichkeit abgesprochen wird.
  • Räume zur Ausübung von Religion werden ausschließlich bei Muslim*innen pauschal abgelehnt: etwa, wenn gefordert wird, die Politik solle „Maßnahmen gegen die Ausbreitung islamischer Infrastrukturen zu entwickeln“. 124
  • Das Wort „Islamisierung“ wird zu einer Kategorie und einem Instrument der pauschalen rassistischen Ausgrenzung gemacht: etwa, wenn das Wort nicht in Zusammenhang mit Religion oder fundamentalistischen Religionsströmungen verwendet wird, sondern jede*r einzelne*r angenommene oder tatsächliche Muslim*in als „Islamisierungs“-Akteur*in dargestellt wird.
  • Muslim*innen – und nur Muslim*innen – wird das Recht auf religiös konnotierte Bekleidung abgesprochen, etwa, wenn ein Politiker pauschal sagt, „das Kopftuch hat in Europa nichts verloren“.
  • Es wird gefordert die Grenzen ausschließlich oder insbesondere für Muslim*innen bzw. ausschließlich oder insbesondere für Menschen aus „islamischen“ oder „muslimischen“ Ländern zu schließen: etwa, wenn ein „Stopp der Zuwanderung aus muslimischen Ländern“ gefordert wird.
  • Negative Taten von Personen, bei denen eine muslimische Religionszugehörigkeit vermutet wird, werden ohne sachlich überprüfte Grundlage mit ihrer angenommenen Religionszugehörigkeit und/oder religiösen Einrichtungen in Verbindung gebracht: etwa, wenn nach Sachbeschädigungen und einen versuchten Einbruch zu Silvester die „Überprüfung von Moscheen“ gefordert wird.
  • Negative Taten von Personen, bei denen eine muslimische Religionszugehörigkeit vermutet wird, werden mit den Namen der Betroffenen in Verbindung gebracht: etwa, wenn ein Politiker in Bezug auf Sachbeschädigungen und einen versuchten Einbruch zu Silvester in Wien Favoriten schreibt, man müsse „das Kind beim (orientalischen) Namen nennen!“.
  • Für Personen mutmaßlich muslimischer Herkunft werden nach mutmaßlichen Straftaten, besonders radikale und menschenrechtswidrige Strafen gefordert: etwa, wenn nach Sachbeschädigungen und einen versuchten Einbruch zu Silvester nicht nur die Bestrafung der Tatverdächtigen, sondern auch ihrer Familie gefordert wird.
  • Rassistische Kommentare gegen Muslim*innen in Sozialen Netzwerken werden nicht oder erst nach Tagen oder Wochen gelöscht.
Bemerkst du ebenfalls einen Trend zu Rassismus gegen Musliminnen und Muslime?

Forderungen von SOS Mitmensch

Auf Grundlage des vorliegenden Berichts fordert SOS Mitmensch:

  • Alle politischen Kräfte in Österreich, die sich innerhalb des demokratischen Spektrums positionieren, müssen sich deutlich gegen antisemitische, antimuslimisch-rassistische und sonstige rassistische Spaltung stellen.
  • Das Ausnutzen, der Corona-Pandemie für herkunftsbezogene, religionsbezogene und/oder rassistische Spaltungs-, Neid- und Hassrhetorik muss scharf verurteilt werden.
  • Jegliche Forderung nach kollektiver Ausgrenzung, Entrechtung oder Diskriminierung von Muslim*innen muss von allen demokratisch gesinnten Parteien und Politiker*innen scharf zurückgewiesen werden.
  • Jegliche Kampagne, die kollektiv gegen Muslim*innen aufwiegelt und aufhetzt, muss von allen demokratisch gesinnten Parteien und Politiker*innen scharf verurteilt werden. 
  • Der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus muss politische Chef*innen-Sache werden und von der Bundesregierung entschieden angegangen werden. Gleiches gilt auch für den Kampf gegen andere Formen des Rassismus und der auf die Religionszugehörigkeit oder Nichtreligionszugehörigkeit abzielenden Spaltung, Hetze und Diskriminierung. 
  • Parteien und Politiker*innen, die rassistische Kampagnen betreiben, dürfen nicht mit Regierungsmacht ausgestattet werden.
  • Die österreichische Bundesregierung sollte internationalen Beispielen folgen und ein Expert*innen-Gremium berufen, das sich spezifisch mit antimuslimischem Rassismus beschäftigt und einen Handlungsplan zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus entwickelt.
  • Als Grundlage für die Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus braucht es eine von der Bundesregierung anerkannte Definition. Auch dazu sollte raschest möglich eine Arbeitsgruppe installiert werden. 
  • Alle Mitglieder der Bundesregierung, der Landesregierungen sowie alle Vorsitzenden der im Parlament und in den Landtagen vertretenen Parteien müssen ein klares Bekenntnis abgeben, dass Muslim*innen, genauso wie Angehörige anderer Religionsgemeinschaften und Menschen ohne Religionsbekenntnis, ein wichtiger Bestandteil Österreichs sind.
  • Die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller in Österreich lebenden Menschen, unabhängig von Religionszugehörigkeit oder Nichtreligionszugehörigkeit, muss von allen politischen Akteur*innen als Grundwerte unserer Demokratie anerkannt werden. 
  • Antirassistische Grundwerte müssen in Bildungsprogramme für junge Menschen ebenso wie in Bewusstseinskampagnen für Erwachsene einfließen.

Hier geht es zum Rassismus-Bericht von SOS Mitmensch
Hier geht es zur Erklär-Website von SOS Mitmensch
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