Van der Bellen in Kiew
Selenskyj: "Man kann nicht neutral bleiben"
Der österreichische Bundespräsident versicherte der Ukraine weiterhin Solidarität und Unterstützung gegen den russischen Angriffskrieg. Perspektiven auf ein rasches Ende des Konflikts sah Alexander Van der Bellen nach dem Gespräch mit Präsident Selenskyj nicht.
ÖSTERREICH. Im Vorfeld des EU-Ukraine Gipfels am Freitag reist Bundespräsident Alexander Van der Bellen nach Kiew und trifft dort den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky. Die Ministerin Leonore Gewessler und Minister Martin Kocher und österreichische Hilfsorganisationen begleiten ihn.
"Europäische Werte unter Attacke"
„Ich habe bei meiner Angelobung klar gesagt, dass ich auch in den kommenden sechs Jahren sehr genau hinsehen werde, wenn es um den Schutz der Demokratie und den Erhalt unserer europäischen Werte geht“, so Bundespräsident Van der Bellen: „In der Ukraine sind diese europäischen Werte und die Demokratie gerade buchstäblich unter Attacke. Als Zeichen der Solidarität und der fortgesetzten Unterstützung, führt mich diese Reise gleich zu Beginn meiner zweiten Amtszeit nach Kiew.“ Mit seiner Reise will Van der Bellen Solidarität und Unterstützung zeugen. Denn Österreich sei militärisch neutral, aber nicht politisch.
Van der Bellen vergleicht Krieg mit Kolonialismus
Die Ukraine sehe sich einem Angriffskrieg ausgesetzt, der seinesgleichen suche, meinte der Bundespräsident bei der Anreise. Dieser sei vergleichbar mit Kolonialkriegen aus dem 19. Jahrhundert. Die Bevölkerung sei vor die Wahl gestellt worden: „Entweder akzeptiert ihr, eine Provinz Russlands zu sein, die von Moskau aus regiert wird, oder es ist alles kaputt.“ Präsident Selenskyj bedankte sich für die Hilfe, übte aber auch Kritik. Es sei wichtig gewesen, dass der Bundespräsident bei seinen Besuchen in Butscha und Borodjanka mit eigenen Augen gesehen habe, welche Zerstörungen und welches Leid die russischen Aggressoren in der Ukraine verursacht haben: „Man kann nicht neutral bleiben, wenn Menschen ums Leben kommen.“ Es müsse stärkere Sanktionen gegen Russland als Aggressor geben, forderte Selenskyj.
Hilfsorganisationen begleiten Bundespräsidenten
Die österreichische Delegation reist auch mit konkreten Hilfen im Gepäck an, wie etwa dringend benötigten Generatoren oder Baumaterialien für den Bau von 200 Häusern, die Wienerberger zur Verfügung stellt. „Wir unterstützen die ukrainische Bevölkerung mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen“, betont Van der Bellen: „Seit Kriegsbeginn wurden 119 Mio. Euro staatliche Hilfe zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus ist die Spendenbereitschaft der österreichischen Bevölkerung enorm. Alleine über die Spendenaktion von NACHBAR IN NOT kamen bisher 55 Mio. Euro zusammen.“
Van der Bellen besucht Orte der Kriegsverbrechen
Eine mit Blumen geschmückte und mit Stofftieren verzierte Grabstelle erinnert im Garten der Orthodoxen Kirche von Butscha an die Gräuel, die die 35.000-Einwohnerstadt in der Nähe von Kiew im Vorjahr erlebte. Bundespräsident Alexander Van der Bellen besuchte am Mittwoch zu Beginn seiner Reise in die von Russland angegriffene Ukraine den Ort, an dem im März des Vorjahres Massengräber mit Hunderten Leichen gefunden worden waren. 419 Leichen zeigten Anzeichen von Schussverletzungen oder Folter.
Kocher und Gewessler ebenfalls vor Ort
Von Energie- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler werden zudem weitere 5 Mio. Euro für den „Ukraine Energy Support Fund“ zum Wiederaufbau beschädigter Energieinfrastruktur bereitgestellt. Insgesamt stellt Österreich damit 10 Millionen Euro für den Fund bereit: „Wir dürfen nicht zusehen, wie Putin den Winter als Waffe benutzt – und bei seinen brutalen Angriffen auf die Ukraine ganz gezielt versucht, die kritische Infrastruktur zu treffen. Millionen Menschen sind bei eisigen Temperaturen ohne Strom und oftmals ohne Heizung und Wasserversorgung.
Es ist mir wichtig, dass Österreich hier einen Beitrag zur Unterstützung der ukrainischen Zivilbevölkerung leistet“, betont Gewessler. Ebenfalls in der Ukraine dabei ist Wirtschaftsminister Martin Kocher. Er hat im September 2022 gemeinsam mit der ukrainischen Wirtschaftsministerin und Vize-Premierministerin Julija Swyrydenko eine Rahmenvereinbarung unterzeichnet, die die Basis für die zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Ukraine und speziell für die Beteiligung am Wiederaufbau bildet.
Kritik seitens der FPÖ
FPÖ-Chef Herbert Kickl kritisierte den „Solidaritätsbesuch“ des Bundespräsidenten und einiger Regierungsmitglieder und das „Ignorieren“ der Neutralität. Das Staatsoberhaupt entwickle sich immer mehr in Richtung eines „Staatsgefährders an der Spitze unserer Republik“. Kritik kam auch vom russische Botschafter in Österreich, Dmitri Ljubinski, nach Van der Bellens Aussage, Wladimir Putin führe einen „Kolonialkrieg gegen die Ukraine“. Ljubinski: „Die heroische Mission der russischen Streitkräfte trägt im Gegenteil einen befreienden und – wenn man schon analoge Begriffe verwenden will – dekolonisatorischen Charakter.“
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