Chatprotokolle belegen
So beauftragte ÖVP politische Umfragen
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nimmt bei ihren Ermittlungen neuerlich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ins Visier. Auch sein engster Mitarbeiterkreis wird beschuldigt. Dazu kommen mit einem Sprecher des Finanzressorts und zwei Meinungsforscherinnen Personen, die man nicht zum inneren Zirkel gerechnet hätte. Auch die Mediengruppe "Österreich" rückt in den Fokus der Staatsanwälte. Ein Überblick über die Entwicklungen und die belastenden SMS.
ÖSTERREICH. Diese neuerlichen Vorwürfe rund um Inseratenkampagnen für die ÖVP (für alle Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung) rückt die Kanzlerpartei erneut in ein zwiespältiges Licht. Die Regionalmedien Austria erklären die Zusammenhänge anhand der 104-seitigen Unterlagen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSTA), die einen historischen Rückblick vornimmt.
Der ÖVP-Skandal - die Chronologie
6. Oktober: Hausdurchsuchungen in Kanzleramt und ÖVP-Zentrale
*Brisante Chatprotokolle tauchen auf *Die Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Sebastian Kurz und insgesamt neun enge Mitarbeiter. Es gilt die Unschuldsvermutung *Die Vorwürfe lauten auf Verdacht der Untreue, Bestechlichkeit, Bestechung *Das Strafmaß beträgt bis zu 10 Jahre Haft7.Oktober: Grüne entziehen Kurz das Vertrauen *Sondersitzung im Nationalrat *Opposition unterstützt Misstrauensantrag 13.30 Uhr: Kogler trifft Bundespräsident Van der Bellen 16 Uhr: Sebastian Kurz bei Van der Bellen 17 Uhr: SPÖ-Chefin Rendi-Wagner in der Hofburg8. Oktober: Die ÖVP steht geschlossen hinter Kurz Ohne Kurz werde die Partei nicht in der Regierung bleiben, so der gemeinsame Tenor. Man wolle die Koalition mit den Grünen fortführen*Bundespräsident Alexander Van der Bellen führt weitere Gespräche
*Grüne beharren auf neuen Kanzler
9. Oktober: Kurz will im Amt bleiben
*ÖVP lehnt Vorschlag ab, vor Misstrauensantrag das Budget in trockene Tücher zu bringen.
*Die Fronten verhärten sich
10. Oktober: Kurz gibt seinen Rücktritt bekannt
*19 Uhr: Der Kanzler erklärt Rücktritt und gibt seinen Nachfolger, Alexander Schallenberg, bekannt
*19.30 Uhr: Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärt die Regierungskrise für beendet
11. Oktober: Angelobungen *13 Uhr: Schallenberg und Nachfolger Linhart werden angelobt *14 Uhr: Statement des neuen Bundeskanzlers
Ende der Regierung SPÖ-ÖVP
Die seit 2008 regierende "große Koalition“ aus SPÖ und ÖVP verlor in Umfragen zunehmend an Zustimmung. Vor allem die ÖVP mit Pröll und Spindelegger, der Sebastian Kurz 2011 als Staatssekretär für Integration im Bundesministerium für Inneres in die Spitzenpolitik holte, konnten nicht den gewünschten politischen Erfolg verbuchen. Nachdem Kurz im Nationalratswahlkampf 2013 die meisten Vorzugsstimmen aller Kandidaten erreichte und auch Parteiobmann Mitterlehner nicht erfolgreich war, wurde er medial als "Zukunftshoffnung“ und möglicher "Retter" der ÖVP dargestellt.
"Projekt Ballhausplatz"
Ab 2014 leitete der Parteiobmann der Landesgruppe Wien, Gernot Blümel, unter dem internen Titel "Projekt Ballhausplatz" einen Erneuerungsprozess der Volkspartei ein, der 2015 in einem eigenen Bundesparteitag mit Statutenänderung mündete und das Ziel hatte, die ÖVP unter dem damaligen Außenminister Kurz zur Kanzlerpartei zu machen. Dieser entwickelte mit einer Gruppe seiner engsten Vertrauten, wie Blümel, den engsten strategischen Beratern Stefan Steiner, Gerald Fleischmann, Axel Melchior, Thomas Schmid und wenigen weiteren Mitarbeitern, Pläne und Strategien mit dem vorrangigen Ziel, als Parteiobmann die Führung der ÖVP und später die Kanzlerschaft zu übernehmen – in den Projektunterlagen als „Tag der Übernahme“ bezeichnet.
Umfrageergebnisse medial lancieren
Für diesen Plan erarbeitete die Gruppe laut Staatsanwaltschaft eigene Stratgiepapiere. Die Gruppe plante unter anderem auch regelmäßige und thematisch spezifische Umfrageergebnisse zur Einschätzung der aktuellen politischen Lage als Entscheidungsgrundlage für ihre Strategie zu erhalten. Die jeweiligen Umfrageergebnisse sollten zusätzlich durch gezielte Veröffentlichungen und Medienkooperationen (Inserate) auch zum Lenken der öffentlichen aber auch innerparteilichen Meinung benutzt werden. Im Fokus lag immer der Slogan "Mit SK alles besser“ (gemeint ist Sebastian Kurz)
Beinschab-"Österreich"-Tool
Im Zentrum der Verdächtigungen durch die WKSTA stehen auch Vereinbarungen mit der Meinungsforscherin Sabine Beinschab, welche als "Österreich-Beinschab-Tool tituliert wurden. Dieses bestand aus zwei miteinander zusammenhängenden laut WKSTA nach vorheriger Absprache mit Sebastian Kurz getroffenen Vereinbarungen:
Zwischen Thomas Schmid und Helmuth und Wolfgang Fellner soll vereinbart worden sein, dass unter Einbindung von Johannes Pasquali, Johannes Frischmann, und zwei Meinungsforscherinnen im Februar 2017 ein "möglicher Koalitionsbruch“ abgefragt werden sollte, wobei die diesbezüglich strategische Vorgabe darin bestand, dass eine Neuwahlentscheidung nicht der ÖVP und vor allem nicht S. Kurz zugerechnet werden dürfte, heißt es in den WKSTA-Unterlagen.
Während des Wahlkampfes wurden Umfragen beauftragt, die die beste Themensetzung ermöglichen sollten („Fragen zur kalten Progression“) sowie mögliche Mitbewerber betrafen („Kriterienkatalog SPÖ, „Fragen zur Reformpartnerschaft, Bewertung Sebastian Kurz, Christian Kern“) und zu entsprechenden Veröffentlichungen führten: Etwa wurde kurz nach der Anfang Juli 2017 erfolgten Bekanntgabe der Nominierung von Irmgard Griss durch die NEOS eine Umfrage beauftragt, die zu gewünschten "Österreich"-Berichten (zB mit der Schlagzeile „1. UMFRAGE: Griss bringt NEOS nur 1 Prozent Sensation: Ex-Hofburg-Kandidatin Irmgard Griss dürfte den NEOS kaum Vorteile bringen.“) führte.
Gegen Ende des Wahlkampfs schließlich wurden Umfragen erstellt, welche die Anzahl der Unentschlossenen und deren Wünsche erheben sollten, wobei Veröffentlichungen laut den Vorwürfen der gezielten Mobilisierung der eigenen Funktionäre dienen sollten. Auch wurden die Erfolge bei TV Konfrontation abgefragt und mit dem eindeutigen Sieger Sebastian Kurz veröffentlicht, wobei (laut WKSTA zumindest einmal) sogar das gewünschte Ergebnis vorab besprochen worden sein soll.
Auszüge aus Chat-Protokollen
27.06.2015: Teilnehmer:
Karmasin Sophie
Fellner Wolfgang
Helmuth Fellner
Sender:
Thomas Schmid
Text:
Liebe Fellners, ausgemacht war: DO: BREXIT. Sa: Maschinensteuer. So: Wirtschaftskompetenz und Standort, Schuldenabbau und Einsatz von Steuergeld. Erschienen ist jedoch – private Story von Schelling. Das ist eine echte Frechheit und nicht vertrauensbildend. Wir sind echt sauer!!!! Mega sauer.
31.08.2016: Teilnehmer:
(geschwärzt)
Sender:
Helmuth Fellner
Text:
Gemeinsam sind wir richtig gut!!! :) morgen 10:00 Interview! Danke und schönen Abend
06.09.2016 Teilnehmer:
Sebastian Kurz
Sender:
Thomas Schmid:
Text:
Habe echt coole News! Die gesamte Politikforschung im Österreich wird nun zur Beinschab wandern. Damit haben wir Umfragen und Co im besprochenen Sinne :-))
08.12.2016 Teilnehmer:
Sebastian Kurz
und ………… (geschwärzt)
Sender:
Thomas Schmid
Text:
Politico ist der Hammer! Große Ehre! VP 18, SP 28 und FP 35 laut Beinschab! LG t
Sender:
Sebastian Kurz
Danke dir!
Gute Umfrage, gute Umfrage!
08.01.2017 Teilnehmer geschwärzt:
Sender:
Johannes Frischmann
Text:
Der Beinschab hab ich gestern noch angesagt was sie im Interview sagen soll
Sender:
Thomas Schmid
Text:
Emoji – „klatschende Hände“
Text:
So weit wie wir bin ich echt noch nie gegangen
Text:
Geniales Investment
Text:
Und Fellner ist ein Kapitalist
Text:
Wer zahlt schafft an
Text:
Ich liebe das
03.05.2017 Teilnehmer:
Gernot Blüml
Sender:
Thomas Schmid
Text:
Bist du mit Österreich zufrieden?Helfen Sie dir in Wien? Oder kann es besser werden – sag mir da Bescheid. Vor allem ob du da eine Umfrage brauchst. Wann kann ich die morgen anrufen? LG t
Sender: Gernot Blümel
Text:
Daaaaaanke Thomas! :-) reden wir morgen wegen Österreich. Kann ab 10 jeder Zeit tel. Danke!!
16.08.2017 Teilnehmer:
Sebastian Kurz
und ……….(geschwärzt)
Sender:
Thomas Schmid
Text:
Bei sozialen Themen kommen wir an SPÖ ran. Muss beim Rechnen aufpassen sonst wird es unglaubwürdig. Vor allem Wirtschaftswert war wichtig!
24.02.2018 Teilnehmer:
Lefebre Jim,
und ……. (geschwärzt)
Sender:
Lefebre Jim
Text:
:-D die Umfrage nimmt keiner, „schaltet“ doch gleich ein Inserat
Sender:
Thomas Schmid
Text:
Daher haben wir das Beinschab ÖSTERREICH Tool entwickelt
Text:
Erfolgreich!
17.08.2017 Teilnehmer
………. (geschwärzt)
Sender:
…… (geschwärzt)
Text:
Hi! Kann ich die letzten beiden Wellen abrechnen? Und: gib noch Bescheid, was wir mit den restlichen Fragen machen.
Sender:
Thomas Schmid
Text:
Die Kosten für die offenen packst du dann in die Studie zur Betrugsbekämpfung rein
Text:
OK
Sender:
…… (geschwärzt)
Text:
Du meinst Betrugsbekämpfung + die 3 Wellen eine Rechnung
Sender:
Thomas Schmid
Text:
Ich erklär dir das nach meiner Rückkehr persönlich
Kurz fordert "Unschulds-", statt "Schuldvermutung"
1 Kommentar
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.