Teilzeit-Diskussion
Warum viele Frauen nicht Vollzeit arbeiten können
- Die aktuelle Debatte um Teilzeitarbeit, ausgelöst durch die Aussagen von Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP), wird scharf kritisiert. Laut dem Momentum Institut bieten Unternehmen in "Frauenbranchen" überdurchschnittlich viele Stellen nur in Teilzeit an.
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Die aktuelle Debatte um Teilzeitarbeit, ausgelöst durch die Aussagen von Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP), wird scharf kritisiert. Laut dem Momentum Institut bieten Unternehmen in "Frauenbranchen" überdurchschnittlich viele Stellen nur in Teilzeit an. Der Pensionistenverband warnt vor pauschalen Vorwürfen und betont familiäre und gesundheitliche Gründe, während die Grünen auf mangelnde Kinderbetreuung hinweisen und flächendeckende, ganztägige Angebote sowie ein Recht auf Vollzeit fordern, um echte Wahlfreiheit zu schaffen.
ÖSTERREICH. "Teilzeit ohne Grund ist gesellschaftlich nicht tragbar. Wer gesund ist und keine Verpflichtungen hat, muss bereit sein, mehr zu leisten", sagte Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer am Samstag im Ö1-Journal zu Gast und lies damit die Teilzeit-Diskussion erneut hochkochen. Doch liegt es wirklich daran, dass die Leute nicht mehr leisten wollen? Eine aktuelle Auswertung des Momentum Instituts zeigt, dass Unternehmen gerade in weiblich dominierten Branchen viele Stellen nur in Teilzeit ausschreiben. Während im Gesamtdurchschnitt nur etwa jede siebte offene Stelle als reine Teilzeitstelle ausgeschrieben wird, liegt der Anteil in sogenannten "Frauenbranchen" deutlich höher – teilweise bei bis zu 30 Prozent.
Viele Teilzeitstellen in Gesundheits- und Sozialberufen
Im Gesundheits- und Sozialwesen, wo über 75 Prozent der Beschäftigten Frauen sind, sind drei von zehn offenen Stellen ausschließlich in Teilzeit ausgeschrieben. Ähnlich hoch ist der Anteil auch im Erziehungs- und Unterrichtssektor sowie im Handel mit 26 bis 30 Prozent. Auch in den Bereichen Kunst, Erholung, Sport sowie Gastronomie und Hotellerie gibt es bei zwischen 15 und 24 Prozent der Ausschreibungen nur Teilzeit-Jobs. "Eine Vollzeitarbeit zu bekommen ist umso schwerer, je mehr Stellen Unternehmen exklusiv mit Teilzeitkräften besetzen", sagt Barbara Schuster, stellvertretende Chefökonomin am Momentum Institut.
- Im Gesundheits- und Sozialwesen, wo über 75 Prozent der Beschäftigten Frauen sind, sind drei von zehn offenen Stellen ausschließlich in Teilzeit ausgeschrieben. Ähnlich hoch ist der Anteil auch im Erziehungs- und Unterrichtssektor sowie im Handel mit 26 bis 30 Prozent.
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Warum gibt es so viel Teilzeit?
Als einen wesentlichen Grund führt das Momentum Institut die Kostenstruktur an: Unternehmen zahlen bei Mehrarbeit von Teilzeitkräften nur einen Zuschlag von 25 Prozent, bei Überstunden von Vollzeitbeschäftigten sind es hingegen 50 Prozent. Diese finanziellen Anreize führen dazu, dass Unternehmen lieber Teilzeitstellen anbieten und Besetzungen mit Teilzeitkräften bevorzugen.
Barbara Schuster, stellvertretende Chefökonomin am Momentum Institut, schlägt daher vor, die Mehrarbeitszuschläge für Teilzeitkräfte auf 50 Prozent anzuheben. "Erhöht die Regierung im Einvernehmen mit den Sozialpartnern die Mehrarbeitszuschläge auf 50 Prozent auch für Teilzeitkräfte, gäbe es einen Anreiz für Unternehmen, ihren Beschäftigten Vollzeitarbeitsplätze zu gewähren", so Schuster.
- Im Gesundheits- und Sozialwesen, wo über 75 Prozent der Beschäftigten Frauen sind, sind drei von zehn offenen Stellen ausschließlich in Teilzeit ausgeschrieben. Ähnlich hoch ist der Anteil auch im Erziehungs- und Unterrichtssektor sowie im Handel mit 26 bis 30 Prozent.
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Recht auf Vollzeit als Lösung
Ein weiteres Problem sind geteilte Dienste mit Schichten am frühen Morgen und späten Abend, die Teilzeitkräfte häufig annehmen müssen. Dies betrifft vor allem Branchen wie Reinigung, Pflege oder Gastronomie. Ein "Recht auf Vollzeit" könnte hier Abhilfe schaffen: Große Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten müssten Teilzeitbeschäftigten dann einen Vollzeitjob anbieten, wenn diese ihre Arbeitszeit erhöhen möchten.
Aktuell gibt es in Österreich rund 139.000 Teilzeit-Unterbeschäftigte, die ihre Wochenarbeitszeit im Durchschnitt um elf Stunden erhöhen wollen. Die Unternehmen könnten somit bereits jetzt rund 1,5 Millionen zusätzliche Arbeitsstunden pro Woche nutzen.
Weitere Maßnahmen zur Verbesserung
Neben dem Angebot an Vollzeitstellen braucht es laut Momentum Institut weitere Schritte, um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen. Dazu gehören der Ausbau von Kinderbetreuung und Pflegeeinrichtungen, die Verringerung der geschlechtsspezifischen Lohnlücke sowie eine bessere Bezahlung in Frauenbranchen. Weniger sinnvoll sei hingegen ein Umbau der Steuersätze bei Lohn- und Einkommensteuer, da dies oft zu einer Umverteilung von gering bezahlten Frauen zu höher bezahlten Männern führe.
- Neben dem Angebot an Vollzeitstellen braucht es laut Momentum Institut weitere Schritte, um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen. (Symbolfoto)
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"Teilzeit hat nichts mit Faulheit zu tun"
Auch Birgit Gerstorfer, Präsidentin des Pensionistenverbands, weist die Kritik von Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer an Teilzeitarbeit zurück. Teilzeit sei oft notwendig – etwa wegen Kinderbetreuung, Pflege oder Gesundheit – und werde auch von Arbeitgebern gefördert. Statt Schuldzuweisungen fordert sie bessere Rahmenbedingungen: mehr Kinderbetreuung, Pflegeeinrichtungen, flexible Arbeitszeiten und faire Bezahlung. Nur so werde Vollzeitarbeit attraktiver – nicht durch Druck oder Sanktionen.
Kritik der Grünen
Die Grünen kritisieren ebenfalls, dass echte Wahlfreiheit für Eltern nicht gegeben ist. Sprecherin Barbara Neßler erklärt: "Solange es keine flächendeckende, ganztägige Kinderbetreuung gibt, ist jede Debatte über Teilzeit scheinheilig." Meri Disoski ergänzt: "Teilzeit ist kein Luxus, das zeigen diese Zahlen einmal mehr! Sie betrifft vor allem Frauen und ist das Resultat von fehlender Kinderbetreuung, unfairen Arbeitsbedingungen und mangelnder Gleichstellung. Teilzeit bedeutet oft prekäre Löhne, weniger Pension, mehr Altersarmut. Von 'zu attraktiv' kann keine Rede sein – das ist Zynismus pur!"
Denn laut einer Recherche der Grünen verhindert in Österreich oft das unzureichende Angebot an ganztägiger Kinderbetreuung eine Vollzeitbeschäftigung – vor allem für Frauen. Laut Statistik Austria erfüllen nur 63 Prozent der Einrichtungen für unter Dreijährige und 57,8 Prozent für Drei- bis Fünfjährige die sogenannten VIF-Kriterien, die eine Berufstätigkeit in Vollzeit ermöglichen würden. Besonders schlecht schneiden Oberösterreich (39,3 Prozent) und Tirol ab, wo fast 30 Prozent der Einrichtungen nicht einmal halbtägige Mindeststandards erfüllen.
- Laut Statistik Austria erfüllen nur 63 Prozent der Einrichtungen für unter Dreijährige und 57,8 Prozent für Drei- bis Fünfjährige die sogenannten VIF-Kriterien, die eine Berufstätigkeit in Vollzeit ermöglichen würden.
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Auch in der schulischen Nachmittagsbetreuung zeigt sich ein Ost-West-Gefälle: Nur 35,1 Prozent der Volksschulkinder besuchen eine ganztägige Schulform, inklusive Hort sind es 48,7 Prozent. In Wien liegt die Quote bei 58,4 Prozent, in Tirol nur bei 17,5 Prozent.
Die Grünen fordern einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag, flächendeckende Ganztagsschulen mit durchgehender Betreuung – auch in den Ferien – sowie familienfreundliche Öffnungszeiten. Nur so könne echte Vereinbarkeit von Beruf und Familie gelingen.
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