Nachruf
Gerhard Roth: Ein ganz Großer ist für immer gegangen

Der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller Gerhard Roth unter dem viel zitierten Nussbaum auf seinem Anwesen in Kopreinigg in St. Martin im Sulmtal. Dieser Baum hätte viel zu erzählen ... | Foto: Susanne Veronik
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Der international ausgezeichnete Literat Gerhard Roth ist untrennbar mit  der Weststeiermark verbunden, lebte er doch mehr als 40 Jahre lang in den Sommermonaten in Obergreith und später in Kopreinigg in der Gemeinde St. Martin im Sulmtal.  Gestern ist Gerhard Roth in seiner Heimatstadt Graz im 79. Lebensjahr nach schwerer Krankheit verstorben.

ST. MARTIN IM SULMTAL. Ein Interview mit Gerhard Roth, dem großen Erzähler, Dramatiker und Essayisten - das war mein erstes Treffen kurz vor seinem 75. Geburtstag. Mit einigen Lese-Erfahrungen und vor allem vielen Eindrücken der mehr als realistischen Fotografien von Gerhard Roth im Kopf machte ich mich erfüllt von vorfreudiger Aufregung auf den Weg zu seinem Sommersitz nach Kopreinigg. Vor dem kleinen, alten Haus mit einem gläsernen Zubau hat mich seine Frau Senta herzlich empfangen und zum legendären Nussbaum geführt. In seinem Schatten saß Gerhard Roth und schrieb in ein kleines Notizbuch. Mit einem ersten Lächeln nahm er mir alle Nervosität.

Die Weststeiermark als Stätte der Inspiration

Bei Kaffee, Vogelgesang und unter Beobachtung herumstreichender Katze haben wir uns zu jenem Interview zusammengesetzt, das als Vorschau auf seinen halbrunden Geburtstag und zugleich als Rückschau auf sein bisheriges Lebenswerk zu sehen ist. 

Dabei schweifte unser Blick immer wieder in das weststeirische Hügelland.
Gerhard Roth hat schließlich hier in der Weststeiermark genau jene Stimmung gefunden, die ihn zu seinen berühmtesten Werken inspiriert hat. 

"Ich habe mich vor 40 Jahren dazu entschlossen, zwei Bücher zu schreiben: Eines über die Stadt und eines über das Land, ausgehend von der Zeit in der Monarchie bis zur Gegenwart. Gedauert hat dieses Unterfangen 34 Jahre, in denen die beiden Zyklen "Die Archive des Schweigens" (1980–1991) und "Orkus" (1995–2011) entstanden sind, also 15 Bände mit 6.000 Seiten, darunter auch der viel zitierte "Stille Ozean".

Schriftsteller Gerhard Roth

Fotografien als realistische Zeitdokumente

Die ersten Jahre in der Weststeiermark schilderte Roth als regelrechtes Abenteuer und als Explosion an Eindrücken in einer für ihn ganz neuen Welt. Dabei waren die Einheimischen sehr skeptisch gegenüber dem "zuagroasten" Kosmopoliten. Aber gerade die Fotografie, die Roth als Hilfsmittel zum Festhalten der vielen Impressionen für sich entdeckt hatte, verschaffte ihm Zugang zu den Menschen und Eingang in manche Höfe und Häuser.

Dabei hat Roth das Alltägliche in seiner unerbittlichen Realität festgehalten, also von der Treibjagd über die Hofschlachtungen bis hin zu den Toten, die damals noch zuhause aufgebahrt worden sind. Als Medizinstudent in jungen Jahren war ihm das Schlachten von Tieren bzw. der Tod an sich nicht so erschreckend, wiewohl ihm der Respekt gegenüber Mensch  und Tier beim Fotografieren immer ein Anliegen war. 

"Die Menschen sind hier weder besser noch schlechter als anderswo. Ich auch nicht.
Es gibt hier einfach alles, was es in der ganzen Weltgeschichte auch anderswo gibt. Allerdings waren meine Anfänge nicht einfach, da es die Leute nicht gewohnt waren, dass ich über sie schreibe und sie so sehe, wie ich sie eben sehe."

Gerhard Roth über seine ersten Jahre in der Weststeiermark

Sommerausstellung im Greith-Haus

Zu sehen waren einige dieser Fotografien bei unterschiedlich arrangierten Ausstellungen im Greith-Haus, wie z.B. die Fotoserie "Jagdausflug im stillen Ozean" mit der Künstlergruppe G.R.A.M. mit Martin Behr und Günther Holler-Schuster zum 75. Geburtstag von Gerhard Roth. 

Das Greith-Haus als Kulturhaus im Zentrum der Peripherie ist auf Initiative von Gerhard Roth und Sepp Zmugg, ein benachbarter und weit gereister Lehrer der Weinbauschule Silberberg, nach dem Vorbild des Schriftstellerhauses im Roman "Jenseits von Eden" des US-amerikanischen Autors John Steinbeck entstanden.
Das von den Stararchitekten Szyszkowitz und Kowalski kreierte Kulturhaus bietet eine Bühne für Beiträge von internationalem Format aber auch für regionale Aktivitäten von Kabarett bis zu Musikkapellen. 

Das erfolgreiche Bespielen dieses "Kulturhauses im Zentrum der Peripherie" bezeichnete Roth als Fitzcarraldo-Unternehmen "denn man weiß ja nie, ob das Angebot im Kulturhaus angenommen wird oder nicht." 

Gerhard Roth setzte sich daher über sein Netzwerk sehr dafür ein, dass auch Künstler in St. Ulrich ausstellten, an die man sonst nicht so leicht herankam, also von Herbert Brandl  als Lokalmatador von internationalem Rang bis hin zur Performancekünstlerin Valie Export, die zu jenem halbrunden Geburtstag von Gerhard Roth ebenfalls im Greith-Haus ausstellte.

Das Greith-Haus wird heuer in seinem 22 Bestandsjahr dem großen Künstler eine Ausstellung widmen: "Wir planen eine Sommerausstellung mit Venedig-Fotografien, die Gerhard Roth bei seinen Reisen aufgenommen hat. In die Auswahl werden wir seine Frau Senta vorrangig einbinden, schließlich ist Senta Roth Obfrau des Kulturvereines Greith-Haus", so Isabella Holzmann als künstlerische und kaufmännische Leiterin im Greith-Haus.

Erinnerung an den 75. Geburtstag

Es war ein extrem heißer Tag, als Gerhard Roth nach einem großen Empfang in Wien auf der Terrasse des Greith-Hauses zur Feier seines 75. Geburtstages geladen hatte. LH Hermann Schützenhöfer hat dem Schriftsteller ebenso gratuliert, wie LT-Präs. Bettina Vollath, LR Christopher Drexler, Jugendfreund Hans Schullin, "Schiffkowitz" von STS sowie Barbara Frischmuth und eben Valie Export. 

Goldene Ehrennadel der Gemeinde St. Martin für Gerhard Roth

Nach diesem großen Festreigen hat sich Gerhard Roth für sein schriftstellerisches Schaffen zurückgezogen. Mit dem Roman "Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe" hat Gerhard Roth seine Venedig-Trilogie abgeschlossen, in der wiederum seine analytische Beobachtungsgabe für Orte, Stimmungen und Menschen sowie die Beschreibung der Abgründe in den verschiedenen Persönlichkeiten zu tragen kommt.
Der Abschluss dieser Trilogie inklusive Bildband war für mich Anlass für einen weiteren Besuch bei Gerhard Roth am Holztisch unter seinem geliebten Nussbaum.

Wiederum begleitete mich Nervosität, schließlich hatte ich vor, meinen allersten Podcast für "SteirerStimmen" zu gestalten. Bereits gezeichnet von seiner Krankheit gab mir Gerhard Roth geduldig Auskunft zu meinen vielen Fragen. "Für mich häufen sich Wunder über Wunder in der Lagunenstadt", erklärte er beim Durchblättern des wuchtigen Bildbandes, das ein Venedig der anderen Art voller hintergründiger Ansichten und Geheimnisse zeigt.

"Es ist seltsam. Als ich vor 40 Jahren hierher gezogen bin, habe ich mir gedacht: Wenn ich einmal alt bin, werde ich hier sitzen und über Venedig schreiben. Und genau so ist es gekommen."

Gerhard Roth zu seiner Venedig-Trilogie

"Die Imker"

Mit ungebrochener  Begeisterung sprach er über seine Familie, die Anfänge als Schriftsteller, das verborgene Venedig und nicht zuletzt über seine Vorliebe für König Fußball seit seiner Kindheit - schließlich war Gerhard Roth Ehrenbotschafter des SK Sturm Graz.
Wir haben uns über seine große Begeisterung für Bienen und für das Imkern unterhalten. Roth schwebte ein Buch vor, in dem er den Bogen der letzten 40 Jahren bis in die Gegenwart spannt mit all den Problemen, die ein Imker heutzutage hat.
Diese Vorhaben hat er mit ungebrochener Schaffenskraft verwirklicht: "Die Imker" erscheint posthum am 25. Mai 2022 als 800 Seiten starker Roman im S. Fischer Verlag.

Schreiben als Lebenselexier

Bis zuletzt war Gerhard Roth schriftstellerisch aktiv. Zuletzt hatte er ein Buch unter dem Titel Titel: "Die Jenseitsreise" als apokalyptische Vorschau in Arbeit.

Unvergessen bleibt nicht nur das künstlerische Werk von Gerhard Roth, sondern vor allem seine Persönlichkeit, die von Respekt gegenüber den Menschen geprägt war.

"Ich respektiere jeden Menschen, denn jeder Mensch ist mir in irgendetwas überlegen."
Gerhard Roth

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