Zehn Jahre Stolpersteinverlegung
Eine sich ändernde Erinnerungskultur

Unscheinbar und doch so wichtig: Die Stolpersteine befinden sich bei den ehemaligen Wohnorten der Opfer des Holocaust. | Foto: Hans Braxmeier/Pixabay
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  • Unscheinbar und doch so wichtig: Die Stolpersteine befinden sich bei den ehemaligen Wohnorten der Opfer des Holocaust.
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Seit 1997 werden in Österreich sogenannte Stolpersteine verlegt – in der Steiermark wurden die ersten am 27. Juli 2013 gesetzt. Am heurigen Holocaust-Gedenktag, am 27. Jänner, zog der Verein für Gedenkkultur in Graz Bilanz und erinnerte einmal mehr an das Erinnern der während durch den Nationalsozialismus Verfolgten, Vertriebenen und Getöteten.

GRAZ/STEIERMARK. Über einen Stolperstein soll man, das verrät schon der Name, stolpern. Die kleinen unscheinbaren, am Boden verlegten Gedenktafeln erinnern an die ermordeten, deportierten, vertriebenen, in den Suizid getriebenen und verfolgten Opfer des Holocaust. Name, Wohnort, Geburts- und eventuell Sterbedatum und wo genau die Menschen hingebracht wurden, sofern dies bekannt ist: Mehr ist auf den Stolpersteinen nicht zu lesen. In der Steiermark kümmert sich der Verein für Gedenkkultur darum, dass diese Menschen nicht in Vergessenheit geraten. In Graz, Bruck an der Mur, Frohnleiten, Köflach, Kindberg und Leoben sowie in Schladming, St. Ruprecht an der Raab und Ramsau am Dachstein sind sie bislang zu finden – an die 300 Steine gibt es bereits. Und das bedeutet, dass mindestens 300 Biografien erarbeitet wurden.

Im Oktober 2023 wurden Stolpersteine bei der Uni Graz verlegt. | Foto: Uni Graz/Lunghammer
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Historischer Rückblick

"Stadt der Volkserhebung" – ein Ehrentitel, auf den man stolz war. Adolf Hitler höchstpersönlich hatte ihn im Juli 1938 Graz verliehen, um die steirische Landeshauptstadt für ihren Einsatz zur Eingliederung des austrofaschistischen Bundesstaates Österreich an das nationalsozialistische Deutsche Reich zu ehren, den "Anschluss". Die Nationalsozialistinnen und -sozialisten begannen schon länger vorher damit, Stimmung für die Partei und gegen, in ihren Augen, Gegner zu machen. Das rechnete sich.

Der Künstler initiierte das Projekt Stolpersteine. | Foto: Personenkomitee Stolpersteine
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Laut Historiker Dieter Anton Binder waren gut 2.900 bis 3.000 steirische Jüdinnen und Juden zwischen den Jahre 1938 bis 1945 alleine von Verfolgung betroffen (Dieter A. Binder, "Das Schicksal der Grazer Juden 1938", in: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, Band 18/19, Graz 1988). Und hierbei wird "nur" von Vertreibung und "nur" von den Jüdinnen und Juden gesprochen: Unter den Opfern des Holocaust zählen darüber hinaus Sinti und Sintizze oder Roma und Romnja, Menschen mit Behinderung, "Volksverräter", Homosexuelle, Kriminelle und mehr. Kinder, Frauen, Männer, völlig egal, welches Alter.

Sich verändernde Erinnerungskultur

Am Holocaust-Gedenktag erinnerte der Verein für Gedenkkultur daran, wie sich der öffentliche Raum in Graz durch die Stolpersteinverlegungen nachhaltig geändert hat. Die Stolpersteine bilden auch einen Fokuspunkt für Schulprojekte und Spaziergänge für Interessierte. Um die Bedeutung solchen öffentlichen Erinnerns, aber auch um persönliche Motivation zum Engagement drehte sich die Podiumsdiskussion, die von der kanadisch-österreichischen Journalistin Colette Schmidt geleitet wurde.

Am Podium: Sibylle Dienesch, Heinz Anderwald, Colette Schmidt, Ann Winter | Foto: Verein für Gedenkkultur
  • Am Podium: Sibylle Dienesch, Heinz Anderwald, Colette Schmidt, Ann Winter
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Sie diskutierte mit Heinz Anderwald (Grazer Jüdische Gemeinde), Ann Winkler (Angehörige und Initiatorin einer Stolpersteinverlegung), Sibylle Dienesch (Graz Museum) und Daniela Grabe (Verein für Gedenkkultur). Dienesch unterstrich die Rolle von Museen als Orten der öffentlichen Reflexion einer sich stets verändernden Erinnerungskultur. Gerade der Brückenschlag zu konkreten Bezugspunkten der eigenen Gegenwart sei eine wichtige Aufgabe.

Zentraler Ort des Gedenkens in Graz

Großen Anklang fand eine Anregung von Anderwald, der neben den individuellen Gedenksteinen in den Grazer Straßen einen zentralen besinnlichen Gedenkort für alle, auch die namenlosen Opfer der Zeit des Nationalsozialismus vermisst. Sein Vorschlag wurde unter anderem vom Grazer Klubobmann der Grünen Karl Dreisiebner, der Bürgermeisterin Elke Kahr vertrat, positiv aufgenommen; er versprach, ein solches Projekt in der Grazer Stadtregierung anzuregen.

Die Stadt Graz und das Land Steiermark haben sich finanziell auf die Errichtung eines jüdischen Kulturzentrums geeinigt (adaptiert bei der Synagoge Graz). | Foto: Jüdische Gemeinde Graz
  • Die Stadt Graz und das Land Steiermark haben sich finanziell auf die Errichtung eines jüdischen Kulturzentrums geeinigt (adaptiert bei der Synagoge Graz).
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Einen Teil der vielseitigen Arbeit des Vereins für Gedenkkultur konnten Besucherinnen und Besucher im Graz Museum sehen. Anhand eines Kurzfilms wurde zum Beispiel über das Schicksal der Grazer jüdischen Familie Weinberger von Valentin Bürgschwendtner und einer "Diashow", die Meilenstein der letzten zehn Jahre in 100 Bildern zusammenfasste, berichtet. 

Information:

  • Um das Gedenken an die in Graz gewürdigten Opfer des Nationalsozialismus mit vielen anderen Menschen zu teilen, bietet der Verein für Gedenkkultur auch Gedenkspaziergänge für Jugendliche und Erwachsenengruppen an sowie Vorträge und weitere Veranstaltungen. Dieses Angebot ist für Schul- bzw. Jugendgruppen kostenlos. Individuelle Führungen kosten fünf Euro pro Person.
  • Thematische Schwerpunkte und Route können individuell vereinbart werden.
  • Informationen und Anmeldung unter 0664/478 1966 oder per Mail an vermittlung@stolpersteine-graz.at

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