Kultur kurios: Brauchtum
Die eben gelaufenen Gemeinderatswahlen haben uns gezeigt, daß „Kultur“ für die Parteien eher kein Thema war. „Bildung“ kam gelegentlich zur Sprache. Meist beschränkte man sich auf das Stichwort „Volkskultur“.
Wenn wir von Volkskultur reden, dann meint das ganz wesentlich auch Brauchtum. Brauchtum wird allgemein meistens mit alten Bräuchen der bäuerlichen Welt assoziiert. Das ist freilich eine eher saloppe Sicht der Dinge.
Wissenschaft und organisierte Brauchtumspflege haben da weit mehr Klarheit und differenzierte Sicht zu bieten. Ich habe im 2014er Jahrbuch „Volkskultur Steiermark“ nachgeschlagen. Helga Maria Wolf stellt etwa fest: „Bräuche kommen nicht aus der Volksseele. Sie werden von Einzelnen, Gruppen oder Organisationen erfunden.“
Daraus folgt für die Autorin: „Bräuche sind flexibel und hybrid.“ Sie betont die menschliche Natur in solchen Prozessen: „Die Entstehungsursachen von Festen sind komplex, die Entstehungswege oft unklar und inkonsequent.“ Ich halte das für eine gute Nachricht.
In einer kleinen Reflexion über Volkskultur [„Volk und Kultur“] habe ich hier schon betont, daß es bei einem Teil dieses Feldes um jene Stunden geht, wo Arbeit und Alltagsorganisation ruhen, wo den Menschen beim Ausleben ihrer kreativen und emotionalen Bedürfnisse kein Boss, kein Institut, keinerlei Art Autorität zuruft, was sie tun sollen. Es geht in diesem Bereich ganz stark um Selbstbestimmung.
Brauchtum hat aber andrerseits starke soziale Aspekte. Das leuchtet sofort ein, wenn man bedenkt, daß die Frage nach dem Ich kaum brisanter ist als jene nach dem Wir sowie nach dem Verhältnis zwischen ich und Wir. (Das tauchte in der Wahlwerbung beispielsweise als Frage nach „Identität“ auf.)
Elsbeth Wallnöfer macht es an einer Stelle knapp greifbar: „Als Brauchtum generell gilt, was von einer Gemeinschaft in regelmäßigen, periodisch wiederkehrenden Szenarien abgehalten wird, gesellschaftlich in Gebrauch und, im wahrsten Sinn des Wortes, ein Ereignis ist.“
Wallnöfer betont, daß ausnahmslos alle Völker, „egal welcher Religion sie angehören“, solches Verhalten zeigen.
Bei Kunst Ost und der „Kulturspange“ geht es um Genres, die als „profane Bräuche“ bezeichnet werden. Das ist ein Teil regionaler Kulturarbeit und in diesem Zusammenhang eine nähere Betrachtung wert. Profane Bräuche finden wir in der Region nämlich auch reichlich vor, wiederkehrende Inszenierungen bei Zusammenkünften, die seit Jahrzehnten gepflegt werden.
Leopold Neuhold erinnert daran, daß das Wort „Brauch“ erst ab dem 16. Jahrhundert eine Bedeutung erhielt, die als „gesellschaftliche Sitte“ verstanden werden kann. Neuhold präzisiert: „Was man denn so gewöhnlich tut“, auch wozu eine gewisse gesellschaftliche Verpflichtung bestehe.
Da ist also nie von „Ewigkeit“ oder „uralt“ die Rede, sondern was seit wenigstens zwei Generationen bekannte Ereignisse sind, sollte wohl im Themenzusammenhang „Brauchtum“ Beachtung finden. Landeshauptmann-Stv. Hermann Schützenhöfer beginnt sein Vorwort zum Jahrbuch mit der Feststellung: „Jede Tradition hat einmal als Neuheit begonnen…“
Nun noch ein kurzer Blick, der in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurückreicht, wo der Fachdiskurs interessante Positionen schuf.
Hermann Bausinger merkte in seinem Standardwerk „Volkskultur in der technischen Welt“ an: „Volkskundliche Kategorien suchen nicht in erster Linie die sozialen Grundlagen oder die motivgeschichtlichen Zusammenhänge kultureller Güter zu erfassen, sondern die besonderen Formen der Geistigkeit, welche auf bestimmten sozialen Grundlagen bestimmte kulturelle Güter hervorbringen.“
Bausinger deklarierte sein Buch als „den Versuch, solche Kategorien für die Volkskultur in der technischen Welt zu suchen“.
Das sind sehr anregende Gedanken für regionale Kulturarbeit, für ein kulturelles Engagement auf der Höhe der Zeit. In diesem Zusammenhang scheint es mir nicht so rasend wichtig, sich über das „Hüten von Traditionen“ den Kopf zu zerbrechen, sondern über die mögliche Kenntnis unserer jüngeren Sozial- und Kulturgeschichte.
Aus eben dieser wenigstens skizzenhaften Kenntnis unserer unmittelbaren Vorgeschichte und einer Deutung der Prägungen, die wir daraus bezogen haben, kann sich ein sehr kontrastreiches, vielschichtiges Bild der Motive und Ziele für zeitgemäßes kulturelles Engagement ergeben.
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