Kältetelefon
"In Österreich erfrieren Menschen auf der Straße"

Foto: Julia Schmidbaur
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Rund 15.000 Menschen in ganz Österreich sind obdachlos. Wenn die Temperaturen sinken, ist ihr Leben zunehmend bedroht. Denn die Kälte tötet. Im reichen Land Österreich sterben noch immer Menschen durch Erfrieren. Das Kältetelefon hilft.

ÖSTERREICH. Wenn es läutet, machen sich die Streetworker auf den Weg. Mit dem Kältebus suchen sie Obdachlose persönlich auf, versorgen sie mit Schlafsäcken, Lebensmittel, Decken und bieten ihnen einen sicheren Schlafplatz in einem Notquartier an. 900 zusätzliche Betten sind es in der Bundeshauptstadt, ungleich mehr im ganzen Land. "Dennoch sterben Menschen in Österreich noch heute auf der Straße", sagt Susanne Peter: "Sie erfrieren. Je kälter, desto angespannter die Lage."

Tod durch Erfrieren

Susanne Peter ist einer jener unsichtbaren Engel, die ihr Leben den Armen und Hilflosen gewidmet hat. Mit 16 Jahren gründete sie die 'Gruft' in Wien, einen Ort, wo Obdachlose Hilfe, Schutz, eine warme Mahlzeit und einen sicheren Schlafplatz bekommen, als Schulprojekt. Heute ist sie leitende Sozialarbeiterin der Gruft, Projektleiterin des Kältetelefons und seit über 30 Jahren Streetworkerin.

Nachts auf der Straße

"Das Kältetelefon gibt es seit sieben Jahren, Geschäftsführer Klaus Schwertner hatte damals die Idee dazu", erzählt Peter von den Anfängen: "Wir hatten uns überlegt: Wie können wir Obdachlose finden und Passanten Obdachlose besser melden." Seit sieben Jahren nun läutet das Telefon, wenn die Temperaturen sinken. Und Peter springt mit ihrem Team auf, geht nachts auf die Straße, in die Parks, sucht die Obdachlosen unter Büschen, hinter Bänken, in selbstgebastelten Zelten. "Im vergangenen Jahr hatten wir 7.000 Anrufe", so Peters: "Wir suchen jeden Obdachlosen persönlich auf, doch bei einem Notfall sollte man die Rettung rufen, die ist in 20 Minuten dort. Wir kommen leider auch oft erst am nächsten oder übernächsten Tag. Wenn wir wissen: Da wohnt jemand im Zelt auf der Donauinseln und ein Mann mit Decke auf einer Parkbank, dann fahren wir als erstes zu dem auf der Parkbank. Der ist akuter in Gefahr."

Kältetelefon gibt's bundesweit

In fast allen Bundesländern gibt es mittlerweile ein Kältetelefon, die Erfahrungen werden untereinander ausgetauscht, das Kältetelefon ausgebaut. "Heute gibt es in Wien 70 Freiwillige am Telefon und 8 Sozialarbeiter auf der Straße, 50 freiwillige Dolmetscher die am Telefon dolmetschen, in den Bundesländern gibt es in etwa 5 bis 20 Personen, die beim Kältetelefon arbeiten", so Peter: "Wenn man jemanden sieht, der obdachlos ist und Hilfe braucht, sollte man die Lage abchecken, versuchen, die Person anzusprechen, die Rettung rufen, wenn die Person nicht reagiert, ansonsten den Platz dem Kältetelefon melden und erreichbar bleiben. Denn oft sind die Plätze im Park für uns nicht so leicht zu finden. Und fragen Sie bitte den Obdachlosen: Brauchen Sie etwas? Was?"

Bei Minusgraden ein Bett auf der Bank

Bevor es das Kältetelefon 2012 gab, blieben Obdachlose oft ihrem Schicksal überlassen und waren der Kälte hilflos ausgeliefert. "Ich bin froh, dass die Stadt Wien heute immerhin mehr als 900 zusätzliche Notquartierplätze anbietet. Heute kann man einen Platz vermitteln, vor 2012 war das nicht möglich, auch haben wir heute mehr Streetworker." Wichtig ist für Susanne Peter, dass man Obdachlosen heute besser helfen kann, damit sie nicht erfrieren. "Wir können uns das nicht vorstellen, wie das ist, bei Minusgraden auf der Straße zu schlafen." Dann wird Peter ernst: "Aber man muss es auch aushalten, dass manche Obdachlose das Angebot nicht annehmen."

Immer mehr Junge sind Obdachlos

Obdachlosigkeit kann jedem passieren, ob jung und alt, männlich und weiblich. Viele werden nach einer Scheidung aus der Bahn geworfen, oft sind es Menschen, die in Heimen aufgewachsen sind und Gewalt in der Kindheit erlebten. "Bei Frauen handelt es sich oft um eine versteckte Obdachlosigkeit. Oft bleiben sie in einer Beziehungen wegen den Kindern. Häufig sind diese Beziehungen von Gewalt geprägt."  Jedenfalls sind die Personen auf der Straße jünger geworden und es sind mehr psychisch Kranke obdachlos, so Peter. Dann schweigt sie. Denn im vergangenen Jahr ist ein Betroffener erfroren. Hilfe kam für den Obdachlosen zu spät. Doch nicht nur die Kälte birgt Gefahr, oft zünden Menschen auf der Straße ein Feuer an, um sich zu wärmen. Auch dabei kam es in den letzten Jahren zu Todesfällen – sie sind am Feuer, das sie wärmen sollte, einfach verbrannt.

Vier Jahre zum Vertrauen

Eindrucksvoll berichtet Peter von einem Obdachlosen: Drei Jahre sprach sie mit ihm, immer hinter verschlossener Klotüre. Er lebte in einer Toilettenanlage auf der Donauinsel. "Er nannte diese Toilette seine Villa, aber er wollte sich nie von mir helfen lassen." Vier Jahre dauerte es, bis der Mann endlich Vertrauen schöpfen konnte und Susanne Peter ihm helfen 'durfte'. "Wir wissen nicht, was die Menschen erlebt haben, wie ihr Vertrauen missbraucht wurde, so dass sie lieber mit den Tieren als mit Menschen leben."

Das Leben den Armen gewidmet

Seit 1986 widmet Peter ihr Leben den Armen und Hilflosen, strebt nicht nach Reichtum und Gewinn. "Mein Gewinn ist das Strahlen im Gesicht eines verwahrlosten Obdachlosen, der nach Jahren wieder die erste Dusche nehmen kann, der strahlt, weil er seine Menschenwürde zurückbekommen hat." Peter lächelt. Bald ist Weihnachten, und sie hat nur einen Wunsch: "Ich wünsche mir, dass wir akzeptieren, dass es Menschen mit Problemen gibt und dass wir einfach helfen, ohne zu denken, wer ist schuld. Ich wünsche mir, dass man nicht sagt: 'Das sind Sozialschmarotzer, die sind nichts wert, weil sie nicht arbeiten. Das ist nicht richtig: Das sind Menschen, die voller Scham sind, die ihre Würde verloren haben und die unsere Hilfe brauchen. Ich wünsche mir, dass man sich sagt: 'Egal, du bist in Not, du bist auf der Straße, du brauchst meine Hilfe und ich helfe dir jetzt!"

Wenn Sie den Schlafplatz eines obdachlosen Menschen bemerken und rasch und unkompliziert helfen möchten, rufen Sie uns bitte unter dem Kältetelefon, 01-480 45 53, an. Das Telefon ist von November bis Ende April rund um die Uhr, an sieben Tagen in der Woche besetzt. Sie können uns auch eine E-Mail an kaeltetelefon@caritas-wien.at schicken. Spenden unter www.gruft.at möglich.

Lesen Sie auch den Kommentar: Lassen wir nicht zu, dass es still wird um die Armen

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