Gemeindebund-Präsident Riedl
"Wenn die zweite Milliarde fehlt, wird es manches Projekt nicht geben"

Gemeindebund Präsident Alfred Riedl geht davon aus, dass Österreichs Gemeinden heuer zwei Milliarden euro fehlen werden. Der Bund schießt im Gemeindepaket nun eine Milliarde zu. "Wenn die zweite Milliarde fehlt, dann wird es manches Projekt vielleicht doch nicht geben", so Riedl.   | Foto: gemeindebund.at
  • Gemeindebund Präsident Alfred Riedl geht davon aus, dass Österreichs Gemeinden heuer zwei Milliarden euro fehlen werden. Der Bund schießt im Gemeindepaket nun eine Milliarde zu. "Wenn die zweite Milliarde fehlt, dann wird es manches Projekt vielleicht doch nicht geben", so Riedl.
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Eine Milliarde Euro fließen vom Bund an die heimischen Städte und Gemeinden, wie die Regierung am Montag verkündete. Das sogenannte Gemeindepaket ist zweckgewidmet und darf nur für neue oder geplante Projekte verwendet werden. Ohne kurzfristige Hilfsmaßnahmen fehle den Gemeinden jedoch das Geld, um zu investieren, kritisierte die SPÖ. Der Präsident des Österreichischen Gemeindebunds, Alfred Riedl, spricht im Interview mit den RMA von einem "beachtlichen" Gemeindepaket, dass es in dieser Form noch nie gegeben hat. 

RMA: Herr Riedl, den Gemeinden brechen durch die Corona-Krise bekanntlich die Steuereinnahmen weg. Wie ist es Österreichs Gemeinden in den vergangenen Wochen ergangen – welches Feedback haben Sie als Gemeindebund-Präsident erhalten?
ALFRED RIEDL: Die Gemeinden sind das Rückgrat unserer Republik und Gesellschaft. Die Verantwortlichen, Gemeindemitarbeiter aber auch die vielen Freiwilligen in allen Regionen haben einen wesentlichen Anteil daran, dass wir diese Krise meistern und überstehen können. Das fängt an bei der Kommunikation der Maßnahmen der Bundesregierung, bei den Serviceleistungen für die Bürger, über das Funktionieren der Daseinsversorgung, Abfallentsorgung, Kinderbetreuung usw.. Dafür, dass der Alltag in den letzten Wochen funktioniert hat, waren die Gemeinden und Städte zuständig. Die Krisenmanager, die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, haben tolle Arbeit geleistet. Alles, was jemanden trifft, trifft ihn in der eigenen Gemeinde.

Der Gemeindebund rechnet mit einem Einbruch der Kommunalsteuereinnahmen von bis zu Minus 12 Prozent. Wie geht es den Gemeinden finanziell?
Die Kommunalsteuer ist das eine. Aber dort, wo es größere Kommunalsteueraufkommen gibt, sind ja in der Regel die prosperierenden Gemeinden mit Mehreinnahmen. Es gibt viele Gemeinden, die ausschließlich von den Ertragsanteilen leben. Die Ertragsanteile, die jetzt weg brechen, machen in Österreich in Summe 900 Millionen Euro aus. Die Kommunalsteuer, die durch die Krise weg bricht, macht 300 bis 350 Millionen aus. Beides ist tragisch genug. Ja, es machen sich manche mittlerweile Sorgen, vor allem jene, die keine Kommunalsteuereinnahmen haben. Sie werden schnell an ihre Grenzen kommen, ob sie ihre Mitarbeiter und Mieten noch bezahlen können. Diese Gemeinden brauchen ganz dringend Liquidität. 

Die Regierung hat am Montag ein Gemeindepaket in Höhe von einer Milliarde Euro geschnürt. Es handelt sich dabei um ein Investitionspaket mit zweckgebundenen Zuschüssen und keine kurzfristige Finanzhilfe. Der Gemeindebund hat einen kommunalen Rettungsschirm gefordert. Hätte es jetzt auch eine rasche finanzielle Hilfe gebraucht? 
Wir haben zu Beginn für die schnelle Liquidität gesorgt: Der Nationalrat hat ein Gesetz beschlossen, sodass jede Gemeinde Kassenkredite verdoppeln kann. Das ist am Ende mehr, als überhaupt ausfallen wird. Natürlich wollen wir selber nicht Kredite aufnehmen, aber der Staat sind wir alle. Zu sagen, Einahmen müssen wieder her, wenn die überall, beim Bund und den Ländern fehlen, wird so nicht funktionieren. Wir haben schnelle Liquidität und eine Milliarde Euro Zuschuss für Investitionen gefordert. Auch bei uns ist der laufende Betrieb zuerst zu sichern und dann können wir wieder investieren. Am Montag war die Debatte, ob das ausreichend ist. Wenn die Wirtschaftsforscher uns zur Zeit sagen, dass uns 900 Millionen fehlen werden, ist das eine optimistische Schönrederei. Wir als Gemeinden gehen von zwei Milliarden aus. Die Gemeinden geben im gesamten Jahr rund 22 Milliarden aus, investieren drei und haben vier Milliarden Euro Personalkosten. Wenn uns jetzt zwei Milliarden fehlen und man auf die Schnelle eine Milliarde bekommt, ist das nicht wenig, sondern 50 Prozent des Worst Case. Wir wissen die genaue Zahl aber nicht, weil das Ende der Krise nicht begreifbar ist. Auch nicht, was am Ende tatsächlich fehlt. 
 
Wird ein Investitionspaket in der Höhe von einer Milliarde ausreichen?

Wenn wir schauen, dass die Menschen eine Arbeit haben und die Wirtschaft in allen Regionen anspringt, dann wird der Ausfall vielleicht gar nicht in der Dimension kommen, wo der Worst Case angesetzt ist. Mit der einen Milliarde und 50 Prozent Zuschuss können wir auf altem Niveau wieder investieren. Wenn die zweite Milliarde fehlt, dann wird es manches Projekt vielleicht doch nicht geben. Hier sind wir sicher auch gefordert, zusätzliche Kredite aufzunehmen. Unterstützung geben uns auch die Länder: Das Land Tirol hat 70 Millionen Euro für die Gemeinden bereitgestellt, in Niederösterreich verhandeln wir gerade. Wenn ich mir die Zusagen anschaue, dann diskutieren wir insgesamt über 250 bis 350 Millionen Euro in allen Bundesländern, die die Länder den Gemeinden an Unterstützungsleistungen geben. Eine Milliarde hat der Bund jetzt zugeschossen, das ist neues Geld. Ein paar hundert Millionen geben die Länder, ein paar Millionen muss die Gemeinde selber mittragen. In der Krise werden alle gefordert sein. Es zahlt immer der Steuerzahler, ob es vom Bund, Land oder der Gemeinde kommt. Das Gemeindepakt ist nicht gering zu schätzen, sondern beachtlich. So etwas hat es noch nie gegeben. 

Ein Kritikpunkt von Städtebund-Präsident Michael Ludwig ist, dass es österreichweit bereits rund 300 Abgangsgemeinden gebe, die vor massiven finanziellen Problemen stehen. Was sollen die Gemeinden tun, die jetzt schon nicht mehr können?
Wir haben verhandelt, dass es auch Mehrfachförderungen gibt. Die Co-Finanzierung darf und kann nicht das Problem sein. Zur Liquidität sind wir auch mit dem Bund noch immer in guten Gesprächen über die OeBFA-Finanzierung (Anm.: Österreichische Bundesfinanzierungsagentur). Da geht es um Haftungen und Konditionen. Das ist noch nicht abgeschlossen. Wenn Sie das alles zusammen zählen, dann sind wir gut drauf. Es reden immer die laut, die viel Kommunalsteuer haben. Natürlich tut das weh, wenn die Kommunalsteuer wegfällt, ich will das nicht klein reden. Diese Gemeinden haben aber in der Regel Geld. Den Sanierungsgemeinden, die Herr Ludwig gemeint hat, sind im ersten Monat die Ertragsanteile um 13 Prozent eingebrochen. Nächstes Monat werden sie um 30 Prozent einbrechen. Die 300 Abgangsgemeinden brauchen jetzt Liquidität. In den Ländern gibt es dazu jetzt Debatten, dass man zig Millionen zuschießt. Jetzt kommt die Zeit, wo infrastrukturschwachen Regionen die Einnahmen fehlen. Diese brauchen als erste die Liquiditätsunterstützung. Gemeinden haben auch selbst die Möglichkeit, sich kurzfristig am Markt zu helfen: Zehn Prozent der Einahmen dürfen aus zusätzlichen Krediten fürs erste aufgenommen werden.

Sie haben die strukturschwachen Gemeinden angesprochen, die bereits vor Corona Schwierigkeiten hatten. Wie wird sich die Krise dort langfristig auswirken?
Wenn wir aus der Corona-Zeit etwas gelernt haben – und jede Krise ist auch eine Chance – dann ist das, dass es eine bessere Infrastruktur in der modernen Kommunikationstechnik braucht. Homeschooling wird nicht funktionieren, wenn man kein Netz hat. In den strukturschwachen Gebieten muss es die gleichen Chancen geben, damit sich neue Betrieben ansiedeln können, weil es plötzlich etwa ein gutes Glasfasernetz gibt. Die Wirtschaft zu beleben, wird in den innenalpinen Bereichen und Randlagen nicht so leicht möglich sein. Das geht nur, wenn wir dort gezielt die notwendige Infrastruktur bauen. Da sind wir auf einem guten Weg. Ich gehe davon aus, dass wir als Gemeinden dazu selber in der Lage sind, weil wir jetzt Finanzmasse in jede Gemeinde tragen. Unsere Milliarde wir auf jede einzelne Gemeinde herunter gebrochen. In Niederösterreich haben wir zum Beispiel einen Breitbandfonds geschaffen, wo Gemeinden und Land 100 Millionen hineinlegen. Das sind Bund und Landesmittel, um auch die strukturschwachen Regionen mit zunehmen. In entlegenen Regionen braucht es eine höhere Förderung. Das einzige, das überall wirken könnte, ist technologische Infrastruktur, die Chancengleichheit herstellt.

Es gibt in Österreich Regionen, die großteils vom Tourismus leben und durch die Corona-Pandemie mit massiven Einbußen kämpfen. Dort hofft man jetzt auf einen starken Sommer. Bräuchte es aus Ihrer Sicht für diese Regionen nicht ein eigenes Hilfspaket?
Grundsätzliche gebe ich Ihnen recht, dass wir besondere „Verlierer“ in der Wirtschaft wahrnehmen und letztendlich auch in der Prosperität der Gemeinden. Das ist der Tourismus. Solange die Grenzen nicht offen sind, wird es nicht geben, was es vorher gegeben hat. Der Inlandsmarkt wird nur einen Teil auffangen. Hier wird immer deutlicher, dass es eine landesweite Abstimmung braucht. Man muss in den den touristischen Regionen, so wie in allen anderen Strukturen, die Gemeinden absichern. Wichtiger ist es, die betriebliche Struktur zu sichern. Das ist der Kern der Prosperität in diesen Regionen. Was sich vor Krisenzeiten von selbst finanziert hat, wird jetzt eben länger dauern.

Österreichweit stellt die ÖVP die meisten Bürgermeister. Hätten Sie sich von der Regierung erwartet, die Gemeindefinanzen früher zu regeln? Warum hat man bis jetzt mit dem Gemeindepaket gewartet?
Das hat nicht lange gedauert, wir wissen nicht, was am Ende ausfällt. Die Wirtschaftsforscher reden noch immer von 900 Millionen und wir von zwei Milliarden. Wenn jetzt schon 50 Prozent kommen, dann ist das beachtlich schnell. Das kann man klein reden, ist aber nicht korrekt. Aus meiner Sicht hat die Regierung schnell regiert. Wir haben uns im Gemeindebund, der überfraktionell ist, über alle Parteigrenzen hinweg abgestimmt und die Forderung nach einer Milliarde Euro einstimmig beschlossen. 

Damit die Wirtschaft in Österreich anspringt, braucht es öffentliche Investitionen. Ist mit dem Gemeindepakt das Thema gelöst – Was braucht es langfristig gesehen für die Gemeinden?
Wenn wir in die regionale und lokale Wirtschaft investieren wollen– und wohin die Investitionen fließen ist immer so ein Thema – war für uns auf lokaler Ebene immer die Botschaft: Es ist wichtig, lokal zu investieren. Denn das kommt der lokalen Wirtschaft, die ein Konjunkturmotor ist, zu. Der trifft alle Regionen und schafft Arbeitsplätze. Bei einem Paket von einer Milliarde an Investitionen reden wir auch von tausenden Arbeitsplätzen, die geschaffen oder gesichert werden. Die Leute können in den Regionen arbeiten und die Betriebe haben wieder Kommunalsteuer zu zahlen. Es kann nur einen Neustart geben, wenn die Gemeinden sofort investieren können.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor einer zweite Corona-Welle. Könnten die heimischen Gemeinden das verkraften? 
Wir sind schon gute Krisenmanager. Mann muss aber sagen, dass es Eigenverantwortung braucht, was für jeden jetzt einleuchtend sein sollte. Wenn wir vorsichtig genug sind und uns mit dem nötigen Abstand begegnen, dann wird mir wenig bange. Einige wenige meinen, es halten sich eh alle nicht daran, warum soll ich mich daran halten? Das ist wohl das Gefährlichste.

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