Rainer Trefelik
Handelsobmann beklagt "Belastungsorgie" für Betriebe

Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ): Acht von zehn Euro werden noch immer im stationären Handel ausgegeben. | Foto: Roland Ferrigato
11Bilder
  • Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ): Acht von zehn Euro werden noch immer im stationären Handel ausgegeben.
  • Foto: Roland Ferrigato
  • hochgeladen von Mag. Maria Jelenko-Benedikt

Im österreichischen Handel ist zwar ein Trend zu einem verbesserten Konsumklima spürbar, das Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten ist aber immer noch durch Krisen getrübt. Hohe Kostenbelastungen und niedrige Umsätze stellen vor allem im Einzelhandel eine große Herausforderung dar. Welche Hindernisse die KMU sonst noch belasten und viele zum Aufgeben zwingen, erklärt Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), im Gespräch mit MeinBezirk.at.

ÖSTERREICH. Überregulierung und komplexe Vorschriften belasten heimische Betriebe, was zur Schließung vieler Unternehmen führt. Multinationale Anbieter wie Amazon nehmen zudem einen Teil des österreichischen Handelsvolumens weg, Trefelik sieht dadurch auch Bedenken hinsichtlich fairer Wettbewerbsbedingungen. Und obwohl Konsumentinnen und Konsumenten Transparenz und Nachhaltigkeit fordern, ist das tatsächliche Kaufverhalten oft von anderen Faktoren wie Preis und Bequemlichkeit geprägt.

MeinBezirk.at: Das Vorjahr war mit einem Umsatzminus von 0,4 Prozent bzw. real um 3,4 Prozent ein schwarzes Jahr für den heimischen Handel. Sie haben im Februar gesagt, dass sich das Konsumklima bessert und der Handel das Konjunkturtief durchschritten hat. Hält dieser Trend an?
Rainer Trefelik: Der Trend ist zum Glück stark, wenn man die positiven Aspekte bei den Konjunkturindikatoren herauskehrt. Aber die Zahlen sind noch nicht dort, wo sie sein sollten – das macht die Situation derzeit sehr herausfordernd. Und der Handel ist von Emotionen getrieben – das Vertrauen der Konsument:innen ist getrübt.

Warum konkret fehlt das Vertrauen?
Wir befinden uns seit vier Jahren in einem Dauerkrisenmodus. Die Corona bedingte Zäsur mit den Lieferproblemen, der Unterbrechung der Tourismusströme, etc., war viel stärker als gedacht. Ein Geschäft dicht zu machen, das geht schnell. Das Wiederauffahren hat sehr lange gedauert. Die Verkettung der multiplen Krisen hätte wahrscheinlich nicht diesen Impact gehabt, wenn nicht auch noch die Ukrainekrise gekommen wäre. Die Energiekrise, die Teuerungsthemen, die hohen Inflationsraten – das alles bewirkt bei den Konsument:innen eine Kauf-Zurückhaltung, eine Vorsicht. Trotz der zuletzt vorsichtigen Konjunkturprognosen der Wirtschaftsforscher ist Vieles vom Prinzip Hoffnung getragen. Das Problem der Betriebe ist, dass die Kosten- und die Umsatzentwicklung weit auseinanderklaffen.

Im Vorjahr waren um über 14 Prozent mehr Handelsunternehmen insolvent - gegenüber 2022. Besonders betroffen war der Einzelhandel. Wie sieht es im ersten Quartal 2024 aus?
Es gibt noch keine Quartalszahlen. Das Problem ist aber die Schließungswelle von Betrieben, die gar nicht insolvent sind. Hier war der Trend 2023 sehr massiv. Für viele Betriebe, auch Familienbetriebe, zahlt es sich nicht mehr aus, offen zu halten. Viele sagen, es macht einfach keinen Spaß mehr. Das ist derzeit die große Herausforderung. Diese hohen Kostenbelastungen, die sprunghaft auf die Betriebe zugekommen sind und anhalten, die vielen Indexierungen der Verträge. Springen die Umsätze nicht bald an, so wird es Ende des Jahres ganz dunkel werden. Der Handel braucht jetzt einen starken Impuls. Laut Wirtschaftswissenschaftlern ist die Sparquote wieder gestiegen, obwohl die Kund:innen durch die oft hohen Lohnabschlüsse im Vorjahr mehr Geld zur Verfügung haben. Das Geld fließt aber nicht eins zu eins in den Handel zurück. Die Gewerkschaft wollte diesen Aspekt bei den Lohnverhandlungen ausblenden. Jetzt steigen die Arbeitslosenzahlen und die Freisetzungen. Das ist eine schwierige Situation. Aber wir müssen die Lage positiv sehen.

Welche volkswirtschaftliche Bedeutung hat der stationäre Handel generell in Österreich im Gegensatz zum online-Handel? Welche Rolle spielt der online-Handel in Österreich abseits von internationalen Unternehmen?
Acht von zehn Euro werden noch immer im stationären Handel ausgegeben. Wir hatten im Vorjahr 313 Milliarden Euro Nettoumsatz im gesamten österreichischen Handel. Das ist ein Riesenwert. Wir haben im Handel über 613.000 Beschäftigte, Selbstständige und Nicht-Selbstständige. Und wir haben im Handel über 93.000 Betriebe. Das ist schon ein wichtiger Hebel für die österreichische Volkswirtschaft. Der Online-Handel ist gewachsen und gekommen, um zu bleiben. Multi-Channeling ist absolut wichtig. Aber online ersetzt den stationären Handel nicht. Eine Online-Seite ist für kleine und mittlere Betriebe (KMU) relativ schnell aufgesetzt. Aber die Frage ist, wie halte ich sie am Laufen? Wie kriege ich ausreichend Traffic? Wie erziele ich positive Deckungsbeiträge? Der rasche Aufschwung des Online-Handels hat einen gewissen Zenit erreicht – jetzt registriert man sogar Rückgänge. Man kann online-Aktivitäten aber auch als Marketinginstrument und Servicefaktor für die Kund:innen sehen. Sichtbarkeit im Netz ist für KMU wichtig.
Die internationalen großen Anbieter determinieren die „Customer Journey Experience“, weil sie machen Vieles richtig. Die Logistik von Amazon und Co, der Algorithmus, die Kundenorientierung in Richtung Kunden-Diskussion: Hut ab! Das ist zwar auch für österreichische Betriebe eine große Chance – viele machen über Amazon und andere Marktplätze gute Umsätze. Die Erwartungen der Konsument:innen, zb, was kostenlose Retouren betrifft, sind jedoch für kleine Betriebe kaum zu erfüllen. Die haben vielleicht die finanzielle Kapazität für einen Skoda oder Lada, wollen aber mit einem Ferrari auf der Autobahn mithalten. Das ist schwierig.

Wie viel Anteil nehmen multinationale Anbieter wie Amazon und Co. den österreichischen Handel an Anteilen weg?
Der Onlinehandel macht etwa zehn Prozent des Gesamtanteils aus, das ist aber je nach Branche unterschiedlich. Die Online-Durchdringung im Lebensmittelhandel etwa ist marginal. Rund zwei Drittel der Umsätze aus dem Onlinehandel fließen ins Ausland. Es gibt aber Nischenplayer im Online-Bereich, die machen sensationelle Ergebnisse. Wir haben zb. einen Exportpreis an einen Händler vergeben, der mit Lego international sehr hohe Umsätze macht. Nischen muss man nutzen! Doch jetzt greifen chinesische Giganten, wie Temu oder Shein Amazon an. Hier geht es ebenfalls um faire Wettbewerbsbedingungen: Das heißt, die Lasten, die der stationäre Händler hat, wie Abfallentsorgungsvorschriften, Abfallentschädigungen, all das, was die ARA macht, oder Austromechana, Vergütungen für Urheberrecht oder Elektroschrott, fallen bei internationalen Händlern weg. Die lokalen Händler müssen Abgaben zahlen, sie werden kontrolliert: Gibt es einen Zustellungsbevollmächtigten, wie werden die Sachen wirklich bewertet, wie die Blackbox?, usw. Es geht aber auch um Fairness, was Zölle betrifft: Wie sehen die Zolldeklarationen von Shein oder Temo aus, wird unterdeklariert, wie wird kontrolliert, usw.

Bräuchte es für Österreich einfachere Rahmenbedingungen, um den stationären Handel zu stärken? Und wenn ja, was müsste hier geschehen, bzw. können wir ohne die EU überhaupt die Rahmenbedingungen ändern?
Die EU muss einmal aufhören mit ihren Belastungsvarianten. Ihre Ziele sind ja völlig legitim und unterstützenswert. Aber irgendwann muss man schauen, dass man nicht übers Ziel hinausschießt und die KMU-Betriebe völlig überfordert.

Meinen Sie zum Beispiel, was das Lieferkettengesetz angeht?
Das war die jüngste Ausgeburt davon. Ich meine auch die Entwaldungsverordnung bis zum Kautschuk-Bereich, aber auch der Green Deal mit seinen Rahmenbedingungen. KMU müssen eigene Leute einstellen, die nur damit beschäftigt sind, Meldepflichten und dergleichen einzuhalten, das ist unproduktiv! Das gilt auch für den Finanzbereich. Jetzt kommt auch noch die PSD2-Verordnung*. Da ist eine „Belastungsorgie“ auf verschiedenen Ebenen. Webseiten müssen künftig entsprechend lesbar oder vorlesbar gemacht werden. Das Lieferkettengesetz gilt ja nur für große Betriebe. Aber auch österreichische Lieferanten müssen künftig angeben, wo ihre Zulieferprodukte herkommen, wenn sie diese Betriebe beliefern. Wir überbelasten die europäischen Betriebe, vor allem die KMU, mit all dem. Das geht sich nicht mehr aus. In Österreich kommt das Thema „Golden Plating“ dazu, also, dass wir dazu neigen, Dinge über-zu erfüllen.

Sind diese vielen Regelungen vielleicht mit ein Grund, warum so viele Betriebe den Hut drauf werfen?

Genau, und da müssen wir ein bisschen aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Europa ist keine Insel der Seeligen. Wir machen ein europäisches Lieferkettengesetz, aber dann lassen wir Millionen Pakete von Shein hinein, von denen wir nicht wissen, was drin ist. Wir wissen in vielen Fällen doch, dass hier Prüfzertifikate fehlen, oder dass hier Schadstoffe enthalten sind.

A propos Über-Regulierungen und Lieferkettengesetz: Viele Konsumentinnen sind ja kritischer geworden und fordern mehr Transparenz, was die Herkunft der Produkte angeht bzw. wollen umweltfreundliche bzw. unter fairen Bedingungen entstandene Produkte kaufen. Kommen solche Verordnungen wie das Lieferkettengesetz nicht ihren Ansprüchen und Bedürfnissen entgegen?
Da bin ich etwas skeptisch. Oft ist zwischen dem, wovon ich sage, das ich es gerne hätte und dem, wie ich dann die Kaufentscheidung tätige, ein relativ hoher Gap, weil wenn die von Ihnen angesprochenen Dinge den Konsument:innen in der Breite wirklich so wichtig wären, dann hätten Shein und Temu wahrscheinlich nicht diesen Hype. Allein, wenn man die Distanz der Transportwege betrachtet. Die Transportkosten für ein Paket, das zb. von China nach Graz, geschickt wird, das kann sich nicht ausgehen. In der Corona-Zeit verspürten wir einen starken Trend in Richtung Regionalität und Nachhaltigkeit, der in gewisser Weise anhält. Aber gerade in Zeiten der Teuerung ist es dann doch eine Frage des Preises. Und da beißt sich dann ein bisschen die Katze in den Schwanz. Wenn ich lokal produziere, lokale Dienstleister beschäftige, dann muss ich auch die lokalen Lohnerhöhungen schlucken, die muss ich weitergeben. Das sind Wettbewerbsnachteile. Dazu kommt, dass die Markttransparenz durch das Internet in Bezug auf Produkte und Preise viel höher geworden ist. Ich kann die Levi's 501 in der Alserstraße nicht teurer anbieten, als Amazon. Der Kunde steht mit dem Handy da und vergleicht. Ein anderes Beispiel: Gerade beim Lebensmittelhandel wird sehr viel auf regionale Produkte geschaut. Ich kenne einen Lebensmittelhändler, der hat einen wahnsinnig hohen regionalen Anteil. Aber er sagt, nur regionale Eier aus der Freilandhaltung anbieten, geht nicht, weil sonst die Kund:innen ausbleiben. Das heißt, der Kunde ist komplexer und heterogener geworden. Das wird die große Herausforderung im Handel. Amazon mit der Bandbreite der Produkte schafft es durch die Marktplatzfunktion, aber der stationäre regionale Händler schafft das nicht. Der muss andere Stärken hineinbringen.

Am 12. Mai ist Muttertag. Was erwarten/erhoffen Sie sich umsatzmäßig im Vergleich zum Vorjahr?
Ich bin, ehrlich gesagt, immer skeptisch, was die Zahlenvergleiche zum Muttertag, zu Ostern oder an sonstigen Tagen betrifft. Wir sollten doch auch ein bisschen reflektieren, warum wir schenken. Doch einfach, um Freude und eine gute Stimmung zu geben. Und das kommt wieder dem Handel zugute.

*Mit der PSD2-Verordnung gibt es klare Regeln für die Nutzung von Zahlungsauslösediensten für das Initiieren von Überweisungen im Onlinebanking oder von Kontoinformationsdiensten zur Abfrage und Auswertung von Kontodaten. Das bedeutet, dass man sich z.B. bei einem Einkauf im Internet nicht extra in das Online-Banking des Kreditinstituts einloggen muss, sondern die Überweisung über einen auf der Händlerseite angebotenen Zahlungsauslösedienst beauftragen kann.

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN


Aktuelle Nachrichten aus Österreich auf MeinBezirk.at

Neuigkeiten aus deinem Bezirk als Push-Nachricht direkt aufs Handy

MeinBezirk auf Facebook: MeinBezirk.at/Österrreichweite Nachrichten

MeinBezirk auf Instagram: @meinbezirk.at


Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.