75 Jahre Liebenauer Prozess
Holocaust: Erinnern an die NS-Verbrechen

Beim Liebenauer Prozess wurden vier Täter angeklagt, zwei davon wurden schlussendlich zum Tode verurteilt. | Foto: APA/Universalmuseum Joanneum
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  • Beim Liebenauer Prozess wurden vier Täter angeklagt, zwei davon wurden schlussendlich zum Tode verurteilt.
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Auf einem der Todesmärsche im Frühjahr 1945 gelangten zehntausende Jüdinnen und Juden aus unterschiedlichen Konzentrations- und Vernichtungslagern in Europa quer durch die Steiermark in das Lager Graz-Liebenau. Vor 75 Jahren fand auch der Liebenauer Prozess statt, bei dem vier Täter über das, was hier geschah, Rechenschaft ablegen mussten.  Die Uni Graz beleuchtet mit "Holocaust vor der Haustür" den Prozess.

GRAZ/STEIERMARK. Der nationalsozialistische Völkermord kostete rund 18,7 Millionen Menschen das Leben, davon rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden. Generell hier nicht miteingerechnet ist die Opferanzahl der politisch Verfolgten und jener, die aufgrund ihrer Homosexualität ermordet wurden.

Holocaust, das ist weit mehr als Konzentrations- und Vernichtungslager. Was mit Diffamierung, Ausgrenzung, Verfolgung und Deportation begann, endete in in der "Vernichtung lebensunwerten Lebens". Damit dieser "Apparat" – dieses Verbrechen an der Menschlichkeit, der Völkermord und das Kriegsverbrechen – irgendwann zur Rechenschaft gezogen werden konnte, brauchte es Zeuginnen und Zeugen, aber auch Täterinnen und Täter, die bezeugen. Wie die, die vor 75 Jahren im Liebenauer Prozess ausgesagt haben.

Der Prozess

Die Verbrechen, die im Lager Liebenau verübt wurden, wurden im September 1947 durch den General Military Court untersucht. Vier Personen wurden angeklagt: der Lagerleiter, der einstige Lagerführer und dessen Vorgänger sowie der Lagerpolizist. Der Prozess endete mit zwei Todesurteilen: Nikolaus Pichler und Alois Frühwirt wurden am 15. Oktober 1947 wegen Mordes sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem österreichischen Kriegsverbrechergesetz "zum Tode durch den Strang" verurteilt. Eine weitere Haftstrafe wurde ausgesprochen, der vierte Mann kam mit einem Freispruch davon.

Zur Verantwortung ziehen

Zeuginnen und Zeugen aus Graz-Liebenau konnten mitunter darüber berichten, wie sie durch Zwangsarbeit am Bau des Südostwalls beteiligt wurden und aufgrund des Vormarschs der Roten Armee im April 1945 ins Konzentrationslager Mauthausen, dem größten auf österreichischem Boden, gebracht werden sollten. Ziel war es, KZ-Häftlinge von Außenlagern in Stammlager zu bringen – drei davon gab es in das KZ Mauthausen. Erschöpfung, Hunger oder Erschießungen: Nicht viele überlebten die Todesmärsche.

Die Gedenktafel vor Ort wurde voriges Jahr beschädigt ... | Foto: Marie O.
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Um das, was passiert ist, stets in Erinnerung zu halten und für Gerechtigkeit zu sorgen, gab es in der Endphase des Zweiten Weltkrieges und gibt es nach wie vor Prozesse und Gerichtsverfahren für Täterinnen und Täter. 

  • Das gut 190 Betten große Barackenlager im Süden der Landeshauptstadt war das größte Zwangsarbeiterinnen- und arbeiterlager Graz'. 
  • 1940 wurde es als sogenanntes Umsiedlerlager V gegründet, ab April 1945 als Zwischenstation für die Todesmärsche eingerichtet.
  • Wie überall da, wo Menschen waren, wurden auch hier von Schuhen bis Zahnbürsten "Reste", Erinnerungen gefunden. Das Interesse daran, was hier geschah, wurde allerdings erst mit der Planung zum Bau des Murkraftwerkes groß. Bei ersten Planungs- und Umbauarbeiten wurde Geschichte freigegeben.
  • Eine Gedenktafel mit der Möglichkeit eines virtuellen Rundgangs vor Ort soll an die Geschehnisse erinnern. 
Eine Stolperwelle erinnert an die Menschen, die hier arbeiten mussten und starben. | Foto: Marie O.
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Nachkommen am Wort

"Der Holocaust fand auch vor unserer Haustür statt", erinnert die Grazer Zeithistorikerin Barbara Stelzl-Marx an die grausamen NS-Verbrechen in der Steiermark. In ihrem Buch "Das Lager Graz-Liebenau in der NS-Zeit" versucht sie anhand von Dokumenten und der zeitgenössischen medialen Berichterstattung die menschlichen Schicksale zu rekonstruieren. 

  • Das Lager in Graz-Liebau wurde 1940 errichtet und diente zuerst als Unterkunft für "umgesiedelte Volksdeutsche". Bis zu 5.000 Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter waren zu Hochzeiten hier.
  • Viele, die auf dem Weg ins KZ Mauthausen hier Station machten, erkrankten an Flecktyphus, medizinische Hilfe wurde jedoch verwehrt.
  • Wer überlebt hat, wurde über Leoben und Eisenerz ins KZ Mauthausen gebracht. Am Präbichl kam es zur Erschießung weiterer 200 Menschen. 
  • 53 Leichen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg im Lager Graz-Liebenau exhumiert.
  • Später wurde hier das Flüchtlingslager "Am Grünanger" errichtet.
  • Das Mauthausen-Komitee hat sich dafür stark gemacht, dass die Ausgrabungsstätte erhalten bleibt.
Aufnahme der Ausgrabungen  | Foto: Marie O.
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Am 10. Oktober setzt sie sich mit renommierten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern sowie auch erstmals mit Nachkommen von Tätern mit der Thematik auseinander. In Kooperation mit der Uni Graz steht der Liebenauer Prozess im Fokus. "Der Liebenauer Prozess erregte 1947 große Aufmerksamkeit, danach geriet das Thema für viele Jahrzehnte in Vergessenheit", sagt sie. Es sei, so die Historikerin, im wortwörtlichen Sinn Gras über das Lager, die verübten Verbrechen, aber auch die Spuren der Opfer gewachsen.

Barbara Stelzl-Marx wurde heuer für ihre Arbeit am Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung geehrt.  | Foto: LandSteiermark/ Robert Frankl
  • Barbara Stelzl-Marx wurde heuer für ihre Arbeit am Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung geehrt.
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"Es stellt sich etwa die Frage, wie aus liebevollen Familienvätern Täter werden konnten? Wie die Vergehen geahndet wurden und welche Formen der Erinnerungskultur sich etablierten?" Eine Rolle spielt deshalb auch, wie Nachkommen damit umgehen. Die Auseinandersetzung der Schuld- und Vermächtnisfrage, damit, wer verübt, ausgeübt hat und wie sich das auf die eigene Familienbiografie auswirkt, steht im Zentrum. 

Mehr zu diesem Thema:

Erinnerungskultur in der Steiermark
Forschung rund um Lager Liebenau geht weiter

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