Kalsdorf bei Graz
So steht es um unsere Psyche

Wie werden wir nach der Krise mit anderen Menschen umgehen? Die Kalsdorfer Psychotherapeutin Silke Ferlic erklärt, was jetzt wichtig ist. | Foto: KK
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  • Wie werden wir nach der Krise mit anderen Menschen umgehen? Die Kalsdorfer Psychotherapeutin Silke Ferlic erklärt, was jetzt wichtig ist.
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Psychische Belastungen nehmen zu. Kalsdorfer Psychotherapeutin Silke Ferlic erklärt warum und was helfen kann.

WOCHE: Wie haben Sie das letzte Jahr als Psychotherapeutin erlebt?
Silke Ferlic: In der Zeit des ersten Lockdowns war es überraschend ruhig. Vielleicht war es für einige Menschen sowas wie eine verordnete Auszeit aus dem gewohnten Alltag, der ja für manche ohnehin als sehr belastend beschrieben wurde. Nach dem ersten Lockdown gab es die kollektive Hoffnung jetzt langsam in die so notwendige Sicherheit von außen des altbekannten Alltags zurückkehren zu können, da war zuerst im Allgemeinen eine positivere Stimmung zu erkennen. Nach und nach wurde allerdings klar, dass es für eine wesentlich längere Zeit notwendig sein wird, einen anderen Alltag als zuvor zu leben. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Belastungen deutlich spürbarer, da die Sicherheit von außen und auch die Perspektive fehlte.

Haben die Anfragen zugenommen?
Ja, gegen Ende letzten Jahres dann deutlich, diese Wahrnehmung bestätigte sich auch im Austausch mit Kolleg*innen.

Wie ist das spürbar?
Zusammenfassend wirkten Klient*innen erschöpfter und belasteter in ihren Problematiken, was ich folgendermaßen erklären würde. Die veränderte Situation fordert neue Alltagroutinen und damit veränderte Verhaltensmuster. Für Verhaltensveränderungen muss das Gehirn bewusste Leistungen erbringen, die mehr an Energie in Anspruch nehmen als beim Durchführen von gewohnten Abläufen, durch die es dem Gehirn möglich ist, quasi in einen Energiesparmodus zu schalten. Im Moment ist also grundsätzlich mehr an Energie notwendig und die bisher so gewohnten „Aufladestationen“, die diesen Ausgleich bisher hergestellt haben, stehen im Moment vielleicht nur eingeschränkt oder gar nicht zur Verfügung. Wir sprechen hier im Gesamten von einer massiven Lebensveränderung, die bis zur Existenzbedrohung gehen kann. Diese neuen Umstände können Belastungen, Ängste, Sorgen und andere psychische Probleme entstehen lassen oder bestehende massiv verstärken. Meist schwindet die Zuversicht zur Bewältigung mehr und mehr und die Kraft und Energie zur Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit kann nicht mehr aufgebracht werden.

Welche Zielgruppe ist aktuell am stärksten betroffen?
Grundsätzlich ist es schwierig eine Zielgruppe hervorzuheben. Ich denke, dass es mit der Summe und der Intensität der Belastungen sowie der Veränderungen der jeweiligen Person und ihrem Umfeld zusammenhängt. Je mehr Einschränkungen und Veränderungen zum bisher gewohnten Alltag bestehen, umso größer würde ich die Belastung einschätzen. Davon sind zurzeit wahrscheinlich Kinder und Jugendliche am meisten betroffen, da sie für die Entwicklung ihrer Identität u.a. ganz dringend soziale Lernfelder außerhalb der eigenen Familie brauchen.
Wie kann man mit der aktuell noch immer beklemmenden Situation umgehen lernen? Was hilft?
Es ist wichtig zu wissen, dass wir unsere Emotionen immer in der Gegenwart empfinden. Unsere Gefühle sind direkt mit unseren Gedanken verknüpft und was wir denken empfinden wir auch genau hier und jetzt im Moment. In meinem Arbeitsalltag zeigt sich, dass Gedanken meistens nicht in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit oder in der Zukunft stattfinden. Gedanken an Zukunftssorgen oder an negative Erfahrungen der Vergangenheit kann man nicht denken, ohne die dazugehörigen belastenden Emotionen zu spüren. Die Fähigkeit, seine Gedanken in der Zeit reisen lassen zu können bedeutet im Umkehrschluss, dass man darauf Einfluss nehmen kann. Es ist möglich, seine Gedanken zu steuern und bei Bedarf zu lenken.

Vielleicht können Sie unseren Lesern ein paar Tipps geben.
Ich rate gerne, Achtsamkeit im Kleinen zu üben. Damit meine ich die Konzentration auf die eigenen Sinnesorgane zu richten, in dem man bewusst sein Umfeld und seine eigenen Handlungen beobachtet, wahrnimmt und darauf achtet, was guttut und was weniger. Es gibt viel zu sehen, zu riechen, zu schmecken und zu spüren z.B. beim Haare waschen. Welchen Geruch hat das Haarshampoo, wie spürt sich die Kopfhaut an, wenn man sie wie beim Friseur massiert oder einmal ganz bewusst faulenzen und jeden Teil seines Körpers in der Entspannung spüren. Vielleicht ist da noch der eine Polster oder die andere Decke notwendig, um es richtig genießen zu können? Alles was bewusst geschieht und gut tut ist erlaubt. Mit dieser Achtsamkeit im Kleinen kommt man auch mit seinen Bedürfnissen besser in Kontakt und kann das was gut tut beliebig oft wiederholen. Ganz nebenbei kann sich der Organismus und die Psyche von den Auswirkungen der belastenden Gedanken erholen.

Ein Blick in die Zukunft: Welche psychischen Erkrankungen werden zunehmen?
Wir werden es meiner Einschätzung nach vermehrt mit Angst- und Panikstörungen, Depressionen, Erschöpfungssymptomen und vermutlich auch mit Suchtproblematiken zu tun haben.

Wie werden wir nach der Krise mit anderen Menschen umgehen? Die Kalsdorfer Psychotherapeutin Silke Ferlic erklärt, was jetzt wichtig ist. | Foto: KK
Die Praxis in Kalsdorf bei Graz | Foto: KK
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