Soziologe Stephan Moebius
Über den Wert von Bräuchen und Traditionen
Bräuche und Rituale sind gerade in der Weihnachtszeit besonders präsent. Es wirkt selbstverständlich, gewisse Traditionen zu pflegen - manches scheint einfach schon immer da gewesen. Aber woher kommen Bräuche eigentlich, warum halten wir an ihnen fest und wofür können sie gut sein? Die Woche hat bei Stephan Moebius nachgefragt. Er beleuchtet das Thema aus einer kultursoziologischen Perspektive.
GRAZ. "Bräuche haben immer einen starken rituellen und symbolischen Charakter. Das bedeutet, es handelt sich bei Bräuchen nicht einfach um bloße Gewohnheiten, sondern Menschen schreiben diesen Handlungsmustern eine tiefere Bedeutung zu." Deshalb seien Bräuche auch ein wichtiges kulturelles Merkmal, sagt Soziologe Stephan Moebius. Sie können Identität und Orientierung stiften und damit ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen.
Zu Weihnachten ist beispielsweise die Gabe von Geschenken wesentlich. Dieses Ritual habe vor allem die Funktion, soziale Beziehungen zu stärken und zu revitalisieren, erklärt Moebius. Diese Wirkungsweisen von Ritualen nehmen wir zumeist gar nicht aktiv wahr, denn sie sind ein selbstverständlicher Bestandteil unserer Kultur – ihre Wirkung entfalten Bräuche und die damit verbundenen Rituale aber zum Glück auch ohne dass wir uns dessen vollends bewusst sind.
Halt und Orientierung
In schwierigen Lebensphasen können Rituale unterstützend wirken, weil sie Halt und Orientierung geben. "Man denke zum Beispiel an die vielen Bräuche, die mit dem Thema Tod und Sterben in Verbindung stehen", erwähnt Moebius. Auch das mit Bräuchen verbundene Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören, kann bei der Bewältigung von einschneidenden Erlebnissen hilfreich sein. In Zeiten einer Krise, wie sie derzeit rundum präsent sind, sind Gewohnheiten und Rituale für viele Menschen deshalb besonders wichtig, weiß der Soziologe.
"Gemeinsam mit Traditionen ist Bräuchen und Ritualen die Funktion, sozialen Sinn, Orientierung, Identität und Zusammenhalt zu stiften."
Stephan Moebius
Schwieriger Situationen erfordern teilweise, dass einige der gewohnten Handlungsmuster zugunsten krisengerechter Handlungen verabschiedet werden müssen. "Oft hängen wir aber nostalgisch an bestimmten Bräuchen und sind irritiert, wenn sich Rituale und Gewohnheiten ändern." Die damit verbundene, oft schmerzliche Erfahrung, treffe jene Menschen besonders stark, die nicht über ausreichend soziale und emotionale Ressourcen verfügen, um mit solch einem Verlust von Sicherheit umgehen zu können. Laut Moebius müsse bedacht werden, dass sich Gesellschaften verändern – nicht nur in Zeiten der Krise. Und so seien auch Bräuche dynamisch in ihrer Beschaffenheit.
Das könnte dich auch interessieren:
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.