„Fakten statt Mythen“ in Graz
Asylkoordination und UNHCR warnen vor verengter Asyldebatte

Moderatorin Colette M. Schmidt diskutierte mit Lukas Gahleitner-Gertz (l.) von Asylkoordination Österreich und Christoph Pinter, UNHCR Österreich. | Foto: #soziallandretten
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  • Moderatorin Colette M. Schmidt diskutierte mit Lukas Gahleitner-Gertz (l.) von Asylkoordination Österreich und Christoph Pinter, UNHCR Österreich.
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Österreich hat in den vergangenen zehn Jahren mehr Schutztitel an Flüchtlinge erteilt als 18 EU-Staaten zusammen. Warum es damit dennoch nicht getan ist, einfache Antworten nicht funktionieren und die aktuelle Diskussion über die Aktualität der Menschenrechtskonvention am Thema vorbeigeht, war Thema einer Podiumsdiskussion im Grazer Rathaus. Die Diskutanten: Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich und Christoph Pinter, Leiter von UNHCR Österreich, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. 

STEIERMARK/GRAZ. Bei kaum einem Thema herrsche ein derart großes Missverhältnis zwischen Meinung und Wissen wie bei Asyl und Migration, machte Lukas Gahleitner-Gertz das Grundproblem aus. In der allgemeinen Diskussion gehe es meist nicht um Erkenntnisgewinn. Auch habe er nicht das Gefühl, dass eine echte Auseinandersetzung mit der Realität gesucht werde, meinte Gahleitner-Gertz.

Doch um eine sachliche Diskussion führen zu können, brauche es Fakten statt Mythen – genau darum ging es am Donnerstagabend bei einer Podiumsdiskussion im Grazer Rathaus. Auf Einladung der Asylkoordination Österreich sowie der Initiative #soziallandretten diskutierten dort, wo sonst die Spitze der Stadtpolitik sitzt, Gahleitner-Gertz und Christoph Pinter, Leiter von UNHCR Österreich. Moderiert wurde der Abend von Colette M. Schmidt. 

Österreichs Verantwortung und der Blick über Europa hinaus

Gahleitner-Gertz erinnerte daran, dass Österreich im EU-Vergleich tatsächlich viele Geflüchtete aufgenommen habe. Doch könne man sich mit dem Argument, „wir haben schon so viel getan“ nicht einfach aus der Verantwortung ziehen. „Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass es weiterhin Flüchtlinge gibt. Es geht darum, gemeinsam darauf hinzuwirken, dass mehr Staaten in der Welt sicherer werden.“ Dafür brauche es verstärkte Kooperation, auch innerhalb eines europäischen Rahmens.

Öffentliche Zahlen seien schwer zu bekommen, meinte Lukas Gahleitner-Gertz im Rahmen der Diskussion. Aktuell befänden sich jedoch rund 577 Asylwerberinnen und Asylwerber in der Steiermark in Landesgrundversorgung.  | Foto: Land Steiermark/Peter Drechsler
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Der oft geforderte Ruf nach „Hilfe vor Ort“ sei ein wichtiger Ansatz, habe aber verschiedene Dimensionen und entbinde die europäischen Staaten nicht ihrer Verantwortung, betonte Pinter. Flüchtlinge würden meist zuerst in Nachbarländer fliehen und dort oft über Jahre ausharren. UNHCR könne in dieser Phase viel leisten. Problematisch werde es jedoch, wenn diese Nachbarstaaten zu wenig internationale Unterstützung erhielten. „Dann zeigt der Blick in die Vergangenheit, dass sich die Situation von Flüchtlingen verschlechtert – oft entstehen Spannungen und Konflikte.“ Das führe zu Weiterwanderung, wie etwa im Syrienkonflikt oder nun bei Afghanistan zu beobachten sei. 
 

Skepsis gegenüber externen Aufnahmezentren

Konzepte, wie das jüngst diskutierte Aufnahmezentrum in Uganda, betrachten die Experten kritisch. Das UNHCR sei offen für neue Wege, erklärte Pinter, doch viele Fragen blieben ungeklärt: „Man löst damit aber nicht Probleme wie die fehlende Kooperationsbereitschaft von Staaten bei der Rückführung abgelehnter Asylsuchender. Es bleiben auch viele menschenrechtliche Fragen offen.“

Gahleitner-Gertz unterstrich, dass Europa zunächst bei sich selbst beginnen müsse. „Warum fangen wir nicht in Europa an, über Mindeststandards umzusetzen, bevor wir über Uganda sprechen“, sagte er und verwies auf teils prekäre Verhältnisse in europäischen Asylsystemen, etwa in Ungarn oder Griechenland. 

Bevor man etwa über Pläne für ein Aufnahmezentrum in Uganda spreche, sollte Europa seine Hausaufgaben machen und einheitliche Mindeststandards in allen Mitgliedsstaaten umsetzen, betonte Christoph Pinter.  | Foto: Yves Herman / REUTERS / picturedesk.com
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Menschenrechtskonvention „notwendiger denn je“

Ein weiterer Schwerpunkt des Abends war die Frage, ob die Menschenrechtskonvention noch „zeitgemäß“ sei. Für Gahleitner-Gertz ist diese Debatte verfehlt: „Sie ist aus dem Grund heraus entstanden, dass es Rechte gibt, die allen Menschen zustehen, aufgrund ihres Menschseins.“ Staaten könne man nicht das Recht einräumen, einzelne Gruppen davon auszunehmen. „Die Konvention schreibt die Gleichheit der Menschen fest. Dass sie von Regierungen – also jenen, deren Macht sie beschränken soll – unter Beschuss genommen wird, ist geradezu der Beweis dafür, dass sie weiterhin notwendig ist.“

Auch Pinter hielt wenig von der Infragestellung der Genfer Flüchtlingskonvention: „Sie legt fest, wer Flüchtling ist und welche Rechte und Pflichten Flüchtlinge haben. Mit dem Thema, dass in Österreich die Verfahren zu lange dauern oder mit anderen Probleme in der Ausgestaltung des Asylwesens durch die Staaten hat dies nichts zu tun.“ 

Asylkoordination und UNHCR informieren im Rathaus über Asyl und Migration. | Foto: MeinBezirk/Sarah Konrad
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EU-Asylpakt als entscheidende Bewährungsprobe

Mit Blick auf 2026 bezeichnete Pinter das gemeinsame europäische Vorgehen im beschlossenen EU-Asyl- und Migrationspakt als „Nagelprobe“ für die Union: „Man hat sich zusammengerauft und es gibt die Chance, ein gut gemanagtes Asylsystem in der EU zu etablieren, das die Verantwortung nicht allein an die Länder mit Außengrenzen delegiert. Das geht nur mit politischem Willen.“ Hoffnung gebe ihm, dass es in der Entwicklung des Asylwesens immer wieder überraschende Wendungen und Lösungen gegeben habe. 

So sei etwa das Vorhaben der früheren türkis-blauen Regierung zur Schaffung einer Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen unter neuen Rahmenbedingungen „zu einer gut abgesicherten Struktur ausgestaltet worden: ‘Da ist wirklich etwas gelungen.’“ Auch wenn dies womöglich gar nicht im Sinne der Erfinder gewesen sei. 

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