Im Interview
Bischof Wilhelm Krautwaschl über Glaube und Vertrauen in schwierigen Zeiten

Zuversichtlich: Der steirische Bischof Wilhelm Krautwaschl appelliert an die Steirer, aufeinander zuzugehen. | Foto: Jörgler
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  • Zuversichtlich: Der steirische Bischof Wilhelm Krautwaschl appelliert an die Steirer, aufeinander zuzugehen.
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Das Jahr neigt sich dem Ende zu. MeinBezirk.at hat den steirischen Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl zum großen Bilanzinterview gebeten.

MeinBezirk.at: Der heilige Abend liegt hinter uns – was bedeutet diese Weihnachtszeit für Sie ganz persönlich?

Bischof Wilhelm Krautwaschl: Für mich wesentlich ist, mich selbst einmal nicht so wichtig zu nehmen. Schauen Sie: Gott ist Mensch geworden, Gott – um es genauer zu sagen – ist ein Kind geworden. Das bedeutet für mich, einmal nicht alles nach den herkömmlichen Maßstäben zu messen. Sondern wieder einmal aufmerksam sein, neugierig werden wie ein kleines Kind. Weihnachten ist für mich jedes Jahr wieder die Frage: Schaff ich das noch oder werde ich alt? (lächelt).

Was bedeutet "alt werden" in diesem Zusammenhang?
Wir legen mit der Zeit viel an Spontanität ab, wir tun uns schwer im Jetzt zu leben. Wir sind oft nicht bereit, etwas zuzulassen. Ein Kind hingegen ist neugierig, lebt jetzt und das was jetzt ist, ist wichtig. Das geht uns ab, wir sehen als gelernte Österreicher meistens das Glas halb leer und nicht halb voll.

Was wäre ein Mittel dagegen?
Es braucht Orientierung. Wenn ich nicht weiß, wie es mit mir und meinem Leben weitergeht, dann werde ich mich im Kreis drehen. Ich verstehe daher auch, dass viele Menschen derzeit so reagieren, wie sie reagieren. Weihnachten ist so eine Orientierung, ein Zeichen, dass Gott da ist. Dann kann ich auch wieder das Haupt heben und den nächsten Schritt machen.

Was rät man jenen, die sich mit dem Glauben schwer tun?
Ich würde ihnen genau dazu raten, was sie zu Weihnachten tun: Etwas schenken. Nicht sich selbst ins Blickfeld nehmen, sondern den anderen. Zu entdecken, dass ich nicht alleine glücklich bin, sondern dann, wenn ich etwas schenke, wenn ich gebe, wenn ich liebe. Von dort ist der Weg zu Gott gar nicht mehr so weit.

Ist in der Pandemie dafür überhaupt Raum?
Durch die aktuellen äußeren Umstände, sehen wir nicht, was alles möglich ist. Bei jeder neuen Verordnung überlegen wir, wie wir sie umgehen können. Ja, es sind Einschränkungen, aber sie wollen auch etwas schützen. Grenzen sind uns doch immer gesetzt, wir waren nie grenzenlos. Jetzt erleben wir es halt stärker, sehen nicht, was trotzdem alles möglich wäre.

Ein Beispiel?

Ich denke da immer mit innerer Bewegtheit an den schon verstorbenen vietnamesischen Kardinal Van Thuan, der direkt aus einer Messe in die Einzelhaft geführt wurde und dort neun Jahre verbrachte. Er hat erreicht, dass die Behörden alle zwei Wochen das Wachpersonal tauschen musste, weil er die einfach gern hatte, so wie es halt im Bereich seines Möglichen war.
Menschsein ist immer ein Umgehen mit dem, was möglich ist.

Nach der Pandemie werden Gräben bleiben, oder?
Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren, wo es uns sehr gut gegangen ist, das herrschende Nebeneinander als Miteinander interpretiert haben. Jetzt wird uns bewusst, dass wir es verlernt haben, miteinander zu reden, aufeinander zu hören.

Ihre Meinung zum Impfen?

Wir haben uns als Bischöfe dazu geäußert, dass es dem Staat zusteht, in einer solch herausragenden Situation als "ultima ratio" für das Gemeinwohl die persönliche Freiheit einschränken kann. Was er, seien wir ehrlich, mit jedem Gesetz tut. Zu meiner Selbstbestimmtheit gehört halt auch die Wahrnehmung meiner Umgebung, meiner Nächsten. Für mich war daher vom ersten Moment an klar, dass ich mich impfen lasse, sobald es die Möglichkeit dazu gibt. Ja, es kann immer etwas schief gehen, aber wo ist da mein Vertrauen? Und was riskiere ich, wenn ich es nicht tue? Der liebe Gott hat uns Wissenschafter und Experten geschickt, die binnen kürzester Zeit eine Impfung entwickelt haben. Das nicht ernst zu nehmen, ist eine Überhöhung des Menschen. Auch sich auf Jesus zu berufen und zu behaupten, deshalb werde ich auch ohne Impfung schon nicht krank werden – das ist eine Selbstüberhöhung, die sich als fromm tarnt. Und das ist teuflisch.

Wie schaut Ihre Bilanz des Kirchenjahres aus?
Wir sind unter den verschiedenen Herausforderungen natürlich auch Lernende. Und wir werden nie perfekt sein. Ich erkenne immer mehr, wie menschlich die kirchliche Botschaft ist. Dass es Fehler und Sünden gibt, dass Neuanfang möglich, Barmherzigkeit wichtig ist, dass ein Miteinander gelingt. Der Herrgott fühlt uns in den verschiedensten Situationen auf den Zahn, er fragt: Wie ernst nimmst du es wirklich mit mir, liebe Kirche? Kirche ist halt auch mehr als nur die Messe am Sonntag vormittag, wir müssen Kirche breiter denken. Und es ist auch die Frage erlaubt, was wir nicht richtig gemacht haben.

Wie würden Sie diese Breite definieren?
Ganz klassisch: Das Sonntagsgebot ist ein kirchliches Gebot – die Nächstenliebe ein göttliches. Wir sind sehr auf liturgische Feiern konzentriert, das reicht nicht, das haben wir – schmerzlich – gelernt.

Wie steht es um kirchliches Personal?

Wir haben tatsächlich Nachwuchsprobleme, nicht nur bei den Priestern. Wir brauchen überall Leute, im Religionsunterricht, bei den Pastoralreferenten und vieles mehr. Auch das Ehrenamt hat zu kämpfen. Das ist eine Herausforderung.

Haben Sie einen Neujahresvorsatz?
(Lacht.) Nein, ich schaffe ja nicht einmal die täglichen Übungen, die mir der Physiotherapeut vorschreibt.

Darf ein Bischof solche Schwächen zugeben?
Ja klar, ich gehe ja auch beichten.

Zum Abschluss: Ihre Botschaft an unsere Leserinnen und Leser?
Fürchtet euch nicht, ich verkünde euch eine große Freude, Gott ist Mensch geworden.

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