Review
SIN-EP

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Es ist also geschehen. Al Pone, der sich in den letzten Jahren einen Namen in der Grazer Rap Szene aufgebaut hat, hat die Zeit der Corona bedingten Isolation sinnvoll genutzt und eine Solo-EP aufgenommen und veröffentlicht.



Die SIN-EP, so heißt das gute Stück, beinhaltet sechs individuelle Lieder, wovon fünf von Grape Juice produziert wurden. Das bemerkenswerte Cover der EP wurde von Julian Hann gezeichnet und stellt Graz bei Nacht dar. Gastauftritte sind rar gesät, jedoch in Form einer Strophe von MDK auf dem Abschlusstrack „Bleib auf“ vorhanden.



In der SIN-EP stellt der Wortschmied Al Pone sein Können eindrucksvoll unter Beweis. Das Werk enthält sowohl technisch versierte als auch nachdenkliche Lieder. In diesem Text erfahrt ihr, welche Dinge die EP besonders auszeichnen und warum ihr euch das Stück holen solltet.



Der Werdegang von Al Pone
Al Pone, der mit bürgerlichem Namen Benjamin Riegler heißt und aus dem kleinen Ort Weiz in der Steiermark kommt, hat sich schon sehr früh für Rap Musik zu interessieren begonnen. Unter anderem ist es vor allem Kool Savas gewesen, der ihn 2006 im Entschluss Rapper zu werden, gefestigt hat. Aber auch die Formation Aggro Berlin, nennt er als wichtige Inspiration für seine musikalische Karriere.



2009 zog Al Pone in die steirische Landeshauptstadt Graz, von wo aus er weitere wertvolle Kontakte knüpfen konnte. Er veröffentlichte in dieser Zeit mehrere inoffizielle Mixtapes und war auch auf vielen Liedern von anderen deutschen Untergrund-Rappern zu hören. Zudem erweiterte er seinen musikalischen Horizont und nahm Rapper wie Raf Camora und Kollegah als zusätzliche Inspirationen auf. Vor allem aber experimentierte er mit unterschiedlichen Stilen und kreierte erste Ansätze seiner Double-Time Rap Technik, für die er heute sowohl von Fans als auch anderen Rappern gefeiert wird.

2015 ist es letztlich das VBT gewesen, bei dem eres immerhin ins 64tel Finale geschafft hat, das seinen Klang noch weiter individualisiert hat. Während Al Pone sein Umfeld, das aus Künstlern wie Spello, Wolfi F., Tommy Z., Fate One und HME besteht, als die wichtigsten Einflüsse auf seinen damaligen Stil beschreibt, sind es mittlerweile überwiegend Künstler aus dem Ausland, wie den Vereinigten Staaten, Frankreich aber allem voran vom Balkan, von denen er sich inspirieren lässt.



Gehe mit der Zeit
Al Pones Rap-Stil ist einzigartig. Seine Individualität wird schon am ersten Lied, das den Titel „Jebiga“ trägt, hörbar. Dabei ist es allem voran sein Flow, der merklichen Eindruck hinterlässt. An manchen Stellen etwa erhöht der Grazer seine Geschwindigkeit beim Rappen, sodass es für einen Normalsterblichen ein hohes Maß an Konzentration erfordert, dem Gesagten zu folgen. Dann aber bremst er sein Tempo wieder und legt den Fokus auf durchgehend geschickte, oft tiefe und immer witzige Punchlines. Auch die Vergleiche sind es, die Hörer des Öfteren zum Schmunzeln bringen:

Ihr sucht Mittel und Wege, wir Suchtmittel und legen, meterlange Bahnen die dich killen und dann wiederbeleben,
kombinier Medikamente dement ohne Mengenangabe oder Bedenken, lediglich mit einer Bibel zum beten (Amen)

, ist nur eine von vielen reim- und flowtechnisch schlicht brillanten Textstellen.



Neben wuchtigen Mehrsilbenreimen sind es auch die Verwendung des Grazer Slangs sowie gelegentliche Einwürfe von bosnischen Wörtern, die Al Pone noch individueller machen. Der Rapper verwendet diese Techniken genau im richtigen Ausmaß, so dass seine Texte immer authentisch klingen und Hörer niemals das Gefühl bekommen, er versuche, jemand anderen darzustellen:

„Geh mit der Zeit oder bleib stehn mit der Zeit - ich sag nur jebiga jebiga jebiga
Medialer Hype oder ewig fehlende Likes - ma jebiga jebiga jebiga“

, heißt es etwa im Refrain von „Jebiga". Der Song dient gleichzeitig als Metapher und verweist mit seinem wechselnden Tempo auf die Zeit, in der wir leben.



Das Lied „Jebiga" macht insgesamt genau das, was ein guter Opener machen muss: Es macht Hörer neugierig.



Gekommen um zu bleiben
Das zweite Lied trägt den Titel „Diese Gut“ und ist als Skit gekennzeichnet. Es ist ein von Punchlines geprägter Track, der Al Pone im Angriffsmodus zeigt, jedoch ohne ein konkretes Ziel für seine Angriffe zu benennen. Er spielt dabei mit den Silben einzelner Worte der deutschen Sprache und reimt durch die geschickte Betonung und Verlangsamung dieser Wörter, die bei normalem Sprachgebrauch nicht einmal ähnlich klingen:

„Frag amal nach Al Pone - ja diese gut
Laut Resonanz deiner Crew,
Oida gib dir des, ich step normal in die Booth
Record an Part und die gottverdammte Rapper -Selbstmordrate nimmt zu"



Auch in diesem Lied beglückt Al Pone uns mit taktisch platzierten Double-Time Passagen:

„Doch sie wollen den Songtext simpel
Mit am Ohrwurm drinnen, was zum Kopf mitnicken,
He seids komplett gschissn, Rap is Competition,
Und muss ballern sowie 4-MEC spritzen"

, rappt er in eindrucksvoll schnellem Tempo. Gleichzeitig sagt er, dass er in erster Linie ein Künstler ist, der nichts auf kommerziellen Erfolg gibt, solange er dabei nicht er selbst bleiben kann.



"Diese Gut" dreht die Lautstärke der EP noch weiter auf und zeigt, dass ein Künstler wie Al Pone auf jeder Leinwand malen kann. Er hat das Battlen trotz seiner in den letzten Jahren ausbleibenden Teilnahme auf relevanten Battle-Turnieren ganz offensichtlich nicht verlernt.



Das Leben eines Künstlers
Auf dem dritten Track, der den Titel „Fake it till you make it“ trägt, spricht der Künstler über all jene Dinge, die sich im deutschen Rap seiner Meinung nach in die falsche Richtung bewegen:

„Ich weiß, was ich kann und rapp nicht weil ich muss, sondern weil ich es kann“

, beweist er uns in der ersten Strophe. 



Auch nimmt er in dem Lied alle Rapper ins Visier, die sich hinter teuren Marketing Kampagnen sowie der übermäßigen Verwendung von Auto-Tune vor ihren Hörern verstecken. Genauso greift er aber auch all jene Künstler an, die sich ihre Texte von anderen Rappern schreiben lassen.



Er posaunt zudem ein paar interessante Details über sein eigenes Leben aus. Unter anderem ist er sich seiner chaotischen Art durchaus bewusst und versucht er erst gar nicht, perfekt zu erscheinen oder irgendwelche Schwiegermütter zu beeindrucken. Stattdessen grenzt Al Pone sich mit Strophen wie der folgenden bewusst von seiner Konkurrenz ab:

„Wieder mal zurück aus meinem Wintertiefschlaf, werf Splittergranaten ins Kindertheater wie Kriegsveteranen und schrei wie verrückt bis die Stimme versagt ‚Viva La Graz‘“

Der Geist von Graz ist über die gesamte Spielzeit von der SIN-EP fühlbar.



Produktion
Spätestens nach „Fake it till you make it“ fällt uns Hörern jedoch etwas anderes am Klang der SIN-EP auf: die ausgefeilte und geschliffenen feine Produktion. Grape Juice hat dabei schlicht fantastische Arbeit geleistet. Jeder Beat scheint für den jeweilige Text geschaffen zu sein.



Das Intrumental von „Diese Gut“ wurde von Phat Suspekt produziert und klingt phänomenal. Es ist ein neuartiger Trap-Beat, der sich nach der ersten Wiedergabe in das Gehör einbrennt.



Zudem sind die Beats sehr abwechslungsreich. Von modernen Trap-Beats bis zu ruhigen, melodischen Beats mit Gitarren-Samples wie auf „Nema problema“ ist alles auf der SIN-EP vertreten. Sie vereint klassische Old-School Beats mit neueren Boombap-Instrumentals.



Was die Leute schert
Auf dem Lied „Tag ein Tag aus“ plaudert Al Pone, der selbsternannte „Systemumgeher“, weiter aus dem Nähkästchen. Beispielsweise erwähnt er, warum es so lange gedauert hat, bis er sein erstes eigenes Soloprojekt veröffentlicht hat: Und zwar deshalb, weil er nur das macht, was ihn „schert“. Als Hörer merkt man dabei, wie angewidert der Grazer bereits von Fragen wie „Wann kommt das nächste Album“ bereits ist. Besonders der Refrain von „Tag ein Tag aus“ ist sehr einprägsam:

„Sag nein, schlaf aus, mach nur was mich schert, Tag ein, Tag aus, als ob ich 18 wär, ich bin dir zu assi, sag mir was ist dran verkehrt, mach du weiter was du musst, ich mach nur das was mich schert"



Auch zeigt uns der Künstler mit Strophen wie der folgenden seinen verdrehten Sinn für Humor:

„Wann hört das auf dass ihr so sinnlose scheiß fragen stellt
Ich weiß ja ned mal was ich heut zu Mittag oder Abend esse
Mein Alltag sieht ned besser aus als ich
Schaff es nicht mal aus dem Bett heraus, selbst wenn ich mal nix kiff"



Und doch beinhaltet die SIN-EP nicht nur aggressive und witzige Stücke. Es sind auch Lieder mit nachdenklichem, teils traurigem Inhalt, die zeigen, dass Benjamin trotz seiner expliziten Texte am Ende des Tages ein Mensch mit Gefühlen ist, der schon so einige Schläge vom Leben abbekommen hat.



Kein Problem
Das erste dieser Lieder trägt den Titel „Nema Problema“, was auf Bosnisch so viel wie „kein Problem“ bedeutet. Es entpuppt sich nach der ersten Wiedergabe als ein verbales und inhaltliches Meisterstück. Al Pone lässt uns dabei für drei Minuten hinter die Fassade seiner Rapper-Persönlichkeit blicken und gibt intime Details zu seiner prekären Lebenssituation preis:

„Wilkommen in meiner verkehrten Welt, gebe Kids Lebenstipps aber führ meines als ob ich noch eins auf Reserve hätt"

Offen zugebend, dass er im Laufe seines Lebens viele Fehler gemacht hat und immer noch macht, steht er trotzdem zu jedem Einzelnen von ihnen und versucht, seine Lernerfahrungen an andere weiterzugeben.



Er sagt uns in dem Stück auch, warum er kein herkömmliches Leben anstrebt, um sich infolgedessen für alle verstellen zu müssen. So erzählt er uns von alten Schulkollegen, die ihre jeweilige Lebenssituation mit einem Haus, einer Frau und mehreren Kindern nach außen hin im Griff zu haben scheinen. Die Ernüchterung erfolgt jedoch schnell:



„Man glaubt es so lange, bis man solchen Leuten dann zufällig in einem Puff begegnet



„Nema Problema“ zeigt, wie vernarbt und dick Al Pones Haut durch seine Erlebnisse bereits ist. Es dient Hörern aber auch als Erinnerung, in jeder Lebenssituation stark zu bleiben und sich für niemanden zu verstellen:

„Sie haben gesagt, aus mir wird niemals was, sie haben gesagt, ich hatte Chancen doch zu viel verpasst, sie haben gesagt aus mir wird niemals was, vielleicht hatten sie recht und vielleicht geb ich einen Fick auf das"



Liebe für die Stadt
Im Abschlusslied der SIN-EP, das den passenden Titel "Bleib auf" trägt, öffnet sich sowohl Al Pone als auch sein einziger auf dem Projekt befindender Gast MDK ihrem Publikum noch ein Stück mehr. Gemeinsam geben sie intime Details über die Nacht- und Partyszene vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Graz preis. Beide Rapper berichten dabei von ihren jeweiligen Erfahrungen mit Substanzen, die einem das Einschlafen erheblich erschweren können.



Dabei ist es vor allem MDK, der mit seinem in Mundart gerappten Double-Time Passagen beeindruckt. Während ich Al Pones Double-Time Technik schon genügend oft gelobt habe, so ist es doch ein Umbruch in dem Stil des erstgenannten. Die Stelle aus dem Refrain:

„Bis mei Erinnerung zur Gänze von dem Tog erlischt, lieg in meim Zimmer drinnen, Augn zua, ka Schlof in Sicht“

beschreibt den Inhalt von "Bleib auf" zu einem großen Teil.



In Al Pones Fall ist es wieder einmal seine Ehrlichkeit, die ihn noch fassbarer und menschlicher macht. Die Passage:

„Frage mich immer wieder wieso ich das mach, zu einem Teil ist es die Sucht, zum anderen Liebe für die Stadt“

, hinterlässt dabei einen merklichen Eindruck bei uns Hörern. Auch verweist sie erneut auf die Einzigartigkeit von Graz und Al Pone zeigt uns damit, wie dankbar er der steirischen Landeshauptstadt, seiner Stadt, für viele seiner Erlebnisse letztendlich ist.



Mit der SIN-EP ist Al Pone ein Kunststück gelungen. Er vereint darin alle seine über Jahre aufgebauten Qualitäten. Egal ob das ein einzigartiger Flow, schier endlose mehrsilbige Reimketten oder blitzschnelle, trotzdem aber gut verständliche Double-Time Passagen sind.



Jedoch sind es letztendlich die tiefgängigen und persönlichen Nummern, die der SIN-EP ihre Seele geben.  Al Pone steht zu jeder Entscheidung, die er in seinem Leben getroffen hat, auch wenn manche dieser ihn in Schwierigkeiten gebracht haben. Diese Authentizität erzeugt eine starke Empathie für den Grazer-Rapper.



Es heißt immer, gut Ding benötige Weile. Hört man die SIN-EP, so kann man diesen Spruch tatsächlich etwas abgewinnen. Ich habe das Gefühl, dass wir noch eine Menge von Al Pone hören werden und mit dieser EP zeigt er uns, dass er in die richtige Richtung geht.



Fazit: Diese gut.

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