Leserbrief
Warum weitere Verbauung verhindert werden muss

Nirgendwo in der EU gibt es mehr Straßen und Einkaufszentren als in Österreich.
  • Nirgendwo in der EU gibt es mehr Straßen und Einkaufszentren als in Österreich.
  • hochgeladen von Simon Michl

Marc Ortner, Grüner Gemeinderat in Deutschlandsberg, fürchtet Naturzerstörungen im Namen des Klimaschutzes. In einem Leserbrief stellt er seine Grundsatzposition dar.

Bei Großprojekten sind die ProjektwerberInnen überwiegend technikgläubige Personen, die den hohen Wert einer intakten und unverbauten Natur nicht fassen können. Die Komplexität unseres Ökosystems ist ihnen vollkommen fremd oder sie wird erfolgreich verdrängt, damit das zugrundeliegende materialistische/neoliberale Weltbild nicht in Frage gestellt werden muss. Einen derartigen Verständnishorizont findet man aber nicht nur auf ProjektwerberInnenseite, sondern auch in der Politik (wie z.B. bei LR Seitinger), in den Medien (wie beim CR der Aktiv Zeitung) und in der Bevölkerung.

Weil die vielseitigen Wechselwirkungen in der Natur vielen Menschen verborgen sind, wird auch immer wieder argumentiert, dass Naturzerstörung notwendig ist, um den Klimawandel aufzuhalten. „Naturzerstörung für den Kampf gegen den Klimawandel“ – das ist ein Paradoxon! Der Haken an dieser Logik ist nämlich, dass Naturschutz, Bodenschutz, Klimaschutz und die Rettung der verbliebenen Arten ein großes Ganzes sind. Die einzelnen Bereiche sind so wichtig füreinander wie z.B. Herz und Hirn bei Säugetieren.

Das Maß an Verbauung und Bodenversiegelung hat auch bei uns in Österreich bereits ein so hohes Niveau erreicht, dass es für uns Menschen bereits zur Überlebensfrage geworden ist, die Gebiete zu bewahren, die bis jetzt verschont wurden. Dieser Umstand wird leider nach wie vor aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt. Aber nichts desto trotz – ohne massive Reduktion bis hin zum baldigen Stopp der Flächenversiegelung lässt sich weder der Klimawandel, noch das Artensterben und der zu Grunde liegende Verlust an Lebensraum reduzieren. Aus diesem Grund wird uns die Grüne Energiewende nur dann gelingen, wenn gleichzeitig die Verbauung so gering wie möglich gehalten wird.

Für eine erfolgreiche Wende braucht es einen wissenschaftlich untermauerten Masterplan, bei dem Reduktion an erster Stelle steht – die Energiepolitik muss sich an der Abfallwirtschaft orientieren, denn dort liegt die Priorität bereits auf Vermeidung-Wiederverwendung-Wiederverwertung. Für notwendige neue Anlagen, Einrichtungen und Technologien müssen dringend Anwendungsfelder gesucht werden, die den geringsten Schaden, den geringsten Eingriff in die Natur darstellen.

Die zwei Fragen "Wie viel wird für ein gutes, bewusstes Leben wirklich gebraucht?" und "Wie lässt sich der Bedarf am intelligentesten, mit dem geringsten Schaden am Ökosystem und dem größten Nutzen für den Menschen, decken?" müssen die Basis für diese Wende in der Energie-, Lebensmittel-, Verkehrs- und Raumplanungspolitik sein, sofern sie gelingen soll.

Für die Pumpspeichertechnologie heißt dieser Ansatz, dass Unterfluranlagen die erste Wahl sind. Dafür werden stillgelegte Bergwerke umfunktioniert, wodurch der gesamte Prozess unterirdisch abläuft. Die Zweite ist die Erweiterung eines bestehenden Speichersees, weil so nur der halbe Eingriff notwendig ist. Anlagen mit einem natürlichen Zulauf sind demnach auch sinnvoller als jene Variante, die auf der Koralpe geplant wird, also Anlagen ohne Zulauf. In Zukunft wird diese zentrale Speichertechnologie allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit durch vernetzte dezentrale Batterien (E-Autos, Home-Speicher, große Speicherbatterien) ersetzt werden. Desto mehr Digitalisierung den Energiesektor durchdringt, desto unrentabler werden Pumpspeicher. Genau darin liegt auch der Grund, warum bereits UVP-genehmigte Anlagen nicht gebaut wurden.

Für Lithiumabbau bedeutet es, dass nur Untertageabbau vertretbar ist, möglichst kurze Transportwege bis zur Weiterverarbeitungsanlage (die sich im Idealfall auf bereits zuvor versiegelter Fläche befindet) notwendig sind, hohe Umweltauflagen vorzuschreiben, sowie ein unabhängiges Monitoringsystem und Sicherheitsabstände zu Quellen bzw. Quellenschutzgebieten einzuhalten sind. Was Quellenschutz betrifft, stellt sich die grundsätzliche Frage, warum die Republik Österreich überhaupt Schürfrechte für Gebiete vergibt, wo sich bekanntermaßen Quellen befinden. Ohne Wasser kein Leben – Erze und Mineralien haben deshalb eindeutig nachgeordnete Priorität. Quellen müssten einen viel höheren Schutzstatus genießen, als es bis jetzt der Fall ist.

Für künftige Windkraftanlagen bedeutet ein fundierter, bewusster und rücksichtsvoller Zugang: nur so viel wie unbedingt notwendig, nur dort, wo es dem Anrainerschutz, dem Landschaftsbild und dem Tierschutz zumutbar ist, und nur dort, wo so gut wie die gesamte Infrastruktur (Zufahrtsstraßen) bereits vorhanden ist.

Für die Verkehrspolitik (und die geforderte L601 neu) heißt dieser Ansatz: Bis auf notwendige Zufahrtsstraßen und Umfahrungen kein weiterer Straßenbau sondern Förderung von Radverkehr, Mikro-ÖV, E-Mobilität, Sharing-Ökonomie und vor allem Öffentlichen Verkehr. Österreich hat mit 15 Meter pro Kopf eines der dichtesten Straßennetze (D: 7,9 m; CH: 8,1 m) – allein die hohen Erhaltungskosten erschweren massiv die Entwicklung einer nachhaltigen Infrastruktur. Auch bei Einkaufszentren ist Österreich bei der Verkaufsfläche pro Kopf trauriger EU-Spitzenreiter.

Die Vorgehensweise in der Praxis ist jedoch eine andere! Die Frage nach der Suffizienz – also die Frage „Wie viel Strom und Ressourcen braucht es wirklich?“ wird verdrängt. Naturzerstörung im Namen des Klimaschutzes wird akzeptiert und praktiziert. Ökologische Aspekte spielen eine untergeordnete Rolle, indem die Rechte der Natur systembedingt beschnitten werden. Bei der Standortfrage geht es auch nicht um den möglichst geringen Eingriff und Vermeidung von Versiegelung, sondern die Eigentumsverhältnisse stehen bei der Entscheidung ganz oben. ProjektwerberInnen können durch Jugendfreunde in der Politik, extrem gerissene Anwälte und ein weitreichendes Netz an Beziehungen und Kontakten die Standortfrage für sich entscheiden lassen.

Es herrschen Mechanismen, die weder demokratisch zulässig sind, noch im Dienste einer zukunftsfähigen Wende stehen. Widerstand ist dringend angezeigt – im Dienste unserer Lebensgrundlage und für unsere Kinder!

Marc Ortner

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