Die Nacht ist tot
Pleitewelle im Winter: Österreichs Clubszene stirbt

Die Nachtgastronomie muss auch nach fünf Monaten Stillstand  geschlossen halten: Ursprünglich war ab 1. August die Öffnung für maximal 60 Prozent der zugelassenen Personen und maximal 200 Personen und die Verlängerung der Sperrstunde von 1.00 auf 4.00 Uhr in Aussicht gestellt worden. Doch die Zahl der Neuinfektionen macht die Hoffnung zunichte. | Foto: Pixabay
  • Die Nachtgastronomie muss auch nach fünf Monaten Stillstand geschlossen halten: Ursprünglich war ab 1. August die Öffnung für maximal 60 Prozent der zugelassenen Personen und maximal 200 Personen und die Verlängerung der Sperrstunde von 1.00 auf 4.00 Uhr in Aussicht gestellt worden. Doch die Zahl der Neuinfektionen macht die Hoffnung zunichte.
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Statt fette Beats gibt's fette Pleite: Knapp ein halbes Jahr schon sind die Partytore zu, alle Mitarbeiter gekündigt oder in Kurzarbeit. Österreichs Nachtclubs und Tanzlokale werden ob steigender Corona-Neuinfektionen auch weiterhin nicht öffnen dürfen. Die Konsequenz: Ende des Jahres wird es diverse Partylokale und Clubs, Bars, Beisl, Tanzlokale, Technokeller, Discos und Underground-Schuppen nicht mehr geben. Dafür mehrere Hunderttausend neue Arbeitslose. 

ÖSTERREICH. Hier stirbt ein Stück Kultur. Nachtkultur. Auf die Frage "Wo gehen wir heute Abend hin feiern?" wird es spätestens ab Ende des Jahres lauten: "Nirgendwo hin". Einfach deshalb,  weil's bis dahin keine Clubs mehr geben wird:  Kein Sass, kein Werk, kein Fluc, kein Volksgarten, keine Passage, kein Praterdome in Wien, kein Take Five in Kitzbühel, kein City Beats in Salzburg, keine Mausefalle und P1 in Innsbruck. Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen. Denn in ganz Österreich, Land auf, Land ab, sterben die Clubs. An Corona. Pardon: Mit bzw. durch Corona.

"Szene Ende 2020 tot"

Seit März muss die Nachtgastronomie geschlossen halten, denn Clubs sind der Alptraum aller Virologen: Schwitzende Körper, Leib an Leib, tanzend, trinkend, vielleicht noch aus demselben Glas oder Strohhalm, für Viren eben auch eine Party, finden sie dort doch die  idealen Bedingungen um sich auszubreiten. Auch Clubbetreiber und Partyveranstalter wollen die Corona-Pademie eindämmen und haben dicht gemacht. Still und leise ist es seitdem in den Technoschuppen geworden, statt Raves gibt's jetzt Kündigungen und Kürzungen, statt fetten Beats steht die fette Pleite vor der Tür.

Statt fette Beats gibt's fette Pleite

Veranstalter kämpfen sich durch Kurzarbeitszeit- und Hilfsfondsanträge. Denn keine Branche kann es sich leisten, ein halbes Jahr einfach nichts zu verdienen. 24.000 Jobs hängen dabei alleine in Wien in der Luft, und das sind nur jene, die in der Nachtgastronomie arbeiten. Doch arbeitslos werden auch die Türsteher und Security,-Mitarbeiter die Fotografen und Reinigungskräfte, die Getränke-Liferanten und Soundverleiher, die gesamte Musikwirtschaft und DJs. Um die laute Partyszene ist es jetzt ganz leise geworden. Experten sind sich einig: Müssen die Clubs bis Jahresende geschlossen halten, ist die Szene tot. 

"Sitzkonzerte für Clubs keine Alternative"

"Man muss schon sagen, die Regierung ist bemüht und man würde der Nachtgastronomie gerne erlauben, wieder bis 4 Uhr morgens zu öffnen, etwa mit reduzierter Besucheranzahl",  so Martina Brunner von der Vienna Club Commission, einer Service- und Kontaktstelle für die hiesige Szene, die in regelmäßigem Austausch mit dem Ministerium ist: "Aber die Zahlen der Neuninfektionen schießen hoch, damit stirbt die Hoffnung: Es wird keine Öffnungen geben können, nicht im September, und auch nicht in absehbarer Zeit. Fix ist nix. Nur eines: Clubs werden diese Krise  so nicht überleben. Die bis dato gestatteten Sitzkonzerte mit Mindestabstand und Deadline um 1 Uhr Früh sind für Clubs keine Alternativen." Aktuell liegt der Fixkostenersatz, also ein teil der tatsächlichen Kosten, für den Totalausfall in der Nachtgastronomie bei 75 Prozent, Vertreter fordern von der Regierung 100 Prozent, doch bisher bleibt alles ungewiss.

"Alle Mitarbeiter gekündigt"

"Wir mussten alle unsere 14 Mitarbeiter kündigen, eine Kurzarbeitsregelung wäre nicht möglich gewesen, seit  März ist geschlossen", sagt Gregor Imhof vom Sass-Club in Wien, der übrigens bei Ausbruch der Pandemie "alles aus den Medien erfahren" hat und "von uns aus, vorweg und eigenständig geschlossen" hat. Für Imhof war das sehr traurig: "Wir sind ein enges Team, wie eine Familie, wir hatten unsere Leute 10 Jahre und das war furchtbar, sie kündigen zu müssen. Wir gaben natürlich allen die Garantie einer Wiedereinstellung, aber das AMS vermittelt unsere Mitarbeiter mittlerweile woanders, im Handel oder als Reinigungskräfte. Und wir wissen ja auch nicht, wie es weitergeht."

"Sterben auf Sicht"

Seit März kämpft sich der Clubbetreiber durch den Dschungel von Anträgen. "Denn die Fixkosten sind ja nur ein Teil der Kosten", so Imhof: "Ein ganz großes Problem wird's werden, wenn wir keine 100-prozentige Fixkostenrückerstattung rückwirkend bekommen, dann gehen sicher mehr als die Hälfte aller Clubs Pleite, das überlebt niemand." Imhof, der selbst beim Härtefallfonds beantragt und 1000 Euro bekommen hat, lebt von seinen privaten Rücklagen: "Das größte Problem ist, dass es sich um eine Konkursverschleppung handelt, es ist ein Sterben auf Sicht." Auch Mike Tscholl vom Loft am Lerchenfelder Gürtel bestätigt: "Irgendwann reicht der Überbrückungskredit nicht mehr aus. Weil wenn es bis Ende des Jahres oder länger dauert, dann wird uns das Geld ausgehen“. Einige Betreiber müssen bereits das Inventar verkaufen, um über die Runden zu kommen.

Horrende Pleitewelle im Winter

"Im Winter droht eine horrende Pleitwelle", so Imhof vom Sass:  In seinen 13 Jahren war der Club erfolgreich und finanziell unabhängig. Nun mussten die Betreiber einen Übergangskredit aufnehmen. "Viele Bars und Clubs werden schließen müssen. Individualität und Diversität in der Clubkultur werden fehlen. Es wird hier sehr viel Raum zerstört, der psychosozial und gesellschaftlich sehr wichtig wäre. Dies wird nachhaltige Folgen für unsere Gesellschaft und Kultur haben."

100 Prozent Kostenersatz rückwirkend

Die aktuelle Regelung sieht vor, dass  Clubs bis 1 Uhr geöffnet haben dürfen.  Eine Verlängerung der Sperrstunde bis 4 Uhr ab Mitte August ist von der Regierung zwar angedacht  worden,  vor allem um die Betriebe vor dem finanziellen Ruin zu retten. Die Entscheidung, ob die Nachtgastronomie ab 15. August bis 4 Uhr öffnen darf, wurde wegen steigender Infektionszahlen weiter verschoben.

Szene wandert ab in Slowakei

Clubbetreiber hatten auch neue Konzepte vorgelegt: Man setzte auf Contact-Tracing, weniger Gäste, Vorverkauf mit Time-Slots bei der Ankunft, mechanische Vorrichtungen als Spuckschutz, Mund-Nasen-Schutz auf der Tanzfläche und an der Bar und nicht zuletzt auf ein überdimensioniertes Belüftungssystem. Doch selbst unter diesen Voraussetzungen wurde Party untersagt, mit dem Erfolg, dass nun privat  und geheim, also illegal gefeiert wird. Oder die Szene wandert aus, in die Slowakei etwa, wo man bis vier Uhr morgens feiern darf.

Sperrt Take Five in Kitzbühel überhaupt auf?

Stefan Rud vom Take Five in Kitzbühel sieht die Sache ebenso dramatisch: " Wir sind ja ein Saisonbetrieb und haben im Sommer geschlossen,  aber ob wir im Winter tatsächlich aufmachen könne, das ist ungewiss. Wir sind da komplett von der Politik abhängig. Die Lage ist nicht lustig, aber wir müssen abwarten, wie alle im Land. Aber die Pleitewelle im Winter unter den Clubs wird  wahrscheinlich kommen. "

Salzburgs Citybeats rechnet mit Öffnung Ostern 2021

"Wir haben unser Nachtlokal Citybeats seit 12. März geschlossen und bisher Null Umsatz. Das Personal wurde komplett mit Wiedereinstellungszusage entlassen", so Franz Busta, Geschäftsführer des beliebten Szenelokals in Salzburg. Normalerweise feiern weit über 1000 Personen im Citybeats, die Kosten sind auch im geschlossenen Zustand sehr hoch. "Mittlerweile rechnen wir damit, das bis Frühjahr nächsten Jahres kein normaler Betrieb möglich ist", so der Geschäftsführer: "Das schlimme dabei ist, das es von der Politik keine direkten Entscheidungen für die Zukunft gibt. Aber als Betrieb muss man vorausplanen können."

"Wollen nicht viele kleine Ischgls haben"

Busta übt Kritik an  der Politik: "Man hört heraus, das bei der Politik das Problem Ischgl in Verbindung zu allen Nachtlokalen ein Problem ist. So nach dem Motto: Wir wollen nicht viele kleine Ischgl haben! Also müssen wir damit rechnen, das sie den Winter abwarten werden was passiert.
Dann sollten sie das aber gleich sagen das es so ist und uns nicht von Woche zu Woche weiter vertrösten." Finanziell hält sich der Club mit Vereinbarungen, Geldreserven und einer Finanzierung über Wasser.  Ans Aufsperren kann noch lange nicht gedacht werden: "Es gibt zwar in der Gastronomie kein Betretungsverbot mehr aber sehr viele Anordnungen. Ein großes Problem ist die Sperrstunde 1 Uhr. Wir brauchen die normalen Sperrzeiten bis mindestens 4n Uhr Früh. Und das Virus befolgt sowieso keine Uhrzeit." Ein Nachtlokal funktioniere nicht mit einem Meter Abstand, mit Masken, nur reservierten Plätzen. Im Grunde dürfe man auf Grund der aktuellen Situation nicht aufsperren, weil man trotz aufgestellter Regeln als Lokalbetreiber nicht garantieren kann ob sich die Gäste auch daran halten würden. "Und wir müssen jederzeit bei einem positiven Fall damit rechnen, das wir dann wieder schließen müssen."

Nachtlokal wegen Gesundheitspolitik sinnlos

Busta fordert von der Politik hundertprozentigen Kostenersatz für die Zeit bis zur Wiedereröffnung, auch rückwirkend, sowie die Aufhebung der derzeitigen Sperrstunde auf die normale Sperrstunde um vier Uhr. "Außerdem sollte die Regierung alle Maßnahmen neu überdenken und auf die derzeit tatsächlichen Situation anpassen." Laut Citybeats-Chef werde der Club die Krise finanziell und wirtschaftlich überleben, "weil wir davor gut gearbeitet haben aber das finanzielle Problem wird uns noch viele Jahre nachhängen. Wir sind aber zuversichtlich das wir uns, sobald es wieder losgeht, früher oder später wieder erholen werden. Unser Betrieb war davor sehr erfolgreich und wir sind überzeugt, dass er es auch danach wieder sein wird. Nur zulange darf es nicht mehr dauern!" Er rechnet mit einem normalen Betriebsablauf im Frühjahr, spätestens Ostern 2021. "Doch wenn es dann noch immer nicht geht, werden wir uns überlegen müssen, ob es im Zeitalter übertriebener Gesundheitspolitik überhaupt noch Sinn macht, ein Nachtlokal zu betreiben. Der wirtschaftliche Schaden ist für uns und viele andere Menschen und Firmen enorm. Dennoch: Ich hoffe, dass auch andere Lokale es wirtschaftlich schaffen, zu überleben."

Bordelle: Ja, Clubs: Nein

Clubs dienen als Nährboden der Jugendkultur. Bilderbuch, Wanda,  Mavi Phoenix, sie alle hatten ihren ersten Gig hier. Umso abstruser ist, warum sogar Bordelle wieder aufsperren durfte, Clubs, wichtige Treffpunkte für die Jugendlichen, aber nicht.  In einer Umfrage des Marktforschungsinstitutes marketagent gaben 82 Prozent der Jugendlichen an, dass sie während des Lockdowns ihre Freundinnen und Freunde am meisten vermissten. 62 Prozent fehlten die Möglichkeit zum Ausgehen und Feiern. Ein  wichtiger Grund, rasch eine Lösung zu finden, denn wenn es offiziell nicht gestattet wird, steigt die Gefahr, dass man dies eben illegal nachholt.

Quellen: Ohne uns
Vienna Club Commission

Wegen Party: Jugendliche verursachten Corona-Cluster in St. Wolfgang
Droht den Wiener Clubs das Aus?

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