Minister Rauch
1450 künftige Anlaufstelle bei Krankheiten und Beschwerden

Bundesminister für Gesundheit und Soziales, Johannes Rauch im Gespräch mit den RegionalMedien Austria | Foto: Roland Ferrigato
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Mit dem Pflegepaket soll der Pflegeberuf attraktiver werden. Das gilt auch für den Status der Kassenärzte. Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch erklärt, wie das geschehen soll, und welche Pläne er in Richtung Verbesserung des Pflege- und Gesundheitssystems sonst noch hegt.

ÖSTERREICH. 76.000 fehlende Pflegekräfte bis 2030, immer weniger Kassenärzte: Das Gesundheitssystem wankt. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) erklärt im Gespräch mit Meinbezirk.at, welche Reformen er in Österreich konkret plant. 

RegionalMedien Austria: Die Novelle des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes wurde kürzlich in einem Initiativantrag im Plenum des Nationalrats eingebracht. Diese Maßnahme des zweiten Teils der Pflegereform beinhaltet u.a., dass diplomierte Pflegekräfte, die angestellt sind, künftig Medizinprodukte selbstständig erstverordnen dürfen. Warum soll das nicht auch für selbständige Pflegekräfte gelten?
Johannes Rauch: Die Neuregelung gilt selbstverständlich auch für alle diplomierten Pflegekräfte, auch für Selbstständige. Unser Bestreben ist es, in der Pflege gut ausgebildeten Personen mehr Kompetenzen zu geben. Das betrifft zum Beispiel auch die Einstufung beim Beantragen von Pflegegeld, bzw. Tätigkeiten, bei denen es bisher erste Vorbehalte gab. Wir sind da noch nicht am Ende. Auch im Gesundheits- und Krankenpflege-Gesetz wird es einen nächsten Schritt geben. Wir wollen den Leuten, die eine gute Ausbildung haben, mehr zutrauen. Das betrifft alle Bereiche. Bei der Pflege gilt, wie kaum woanders: Je ambulanter, desto besser. Denn die Menschen wollen doch solange wie möglich zu Hause gepflegt werden!

Heißt, es wird auch für selbständige Pflegekräfte diese Verbesserungen geben?
Ja natürlich. Im Gesetzesentwurf wird nicht unterschieden, ob diplomierte Pflegekräfte ihren Beruf selbstständig oder in einem Angestelltenverhältnis ausüben. Wir haben mit dem Pflege-Paket Eins eine Milliarde Euro investiert und damit bereits zu besseren Arbeitsbedingungen beigetragen. Wir haben auch in Ausbildung sehr viel investiert. Das funktioniert. Die Nachfrage nach diesen Ausbildungsplätzen steigt. Im zweiten Paket wurden die Kompetenzen erweitert, und in den nächsten fünf Jahren geht es auch um die Absicherung der beschlossenen Maßnahmen. Wir brauchen bis 2030 76.000 Pflegekräfte zusätzlich, was uns vor große Herausforderungen stellt.

Da kommen wir gleich zum nächsten Punkt. Das Hilfswerk fordert, dass Fachkräfte so schnell wie möglich aus dem Ausland geholt werden. Österreich habe seit 2017 nur 130 Fachkräfte aus Drittstaaten geholt, Deutschland hingegen rund 20.000. Was machen andere Länder besser? Welche Stolpersteine liegen noch im Weg? Welche Rolle spielt die Rot-Weiß-Rot-Card im Kontext?
Wir haben in Österreich viel zu lange eine Politik gepflegt, die gegen alles, was von außen kommt, eine Abwehrhaltung eingenommen hat. Man wollte niemanden im Land haben. Es hieß, Ausländer seien gefährlich. Da ist alles vermischt worden: Asylpolitik, Ausländerpolitik, Zuwanderung. Jetzt spüren wir einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Deutschland und vielen anderen europäischen Mitgliedsstaaten. Im Klartext: Wer davon redet, dass wir eine qualifizierte Anwerbung aus dem Ausland nicht brauchen, der lügt die Leute an, und ist dafür verantwortlich, dass wir einen Pflegenotstand haben. Wir brauchen ausländische Pflegekräfte, wir müssen sie aktiv anwerben.

Und wie soll das jetzt funktionieren? Was sind die konkreten Pläne. bzw. Stolpersteine?
Wir werden die Anerkennung von Berufsausbildungen im Ausland erleichtern. Das ist momentan bürokratisch und viel zu schwierig. Wir wollen analysieren, wie wir über eine Bundeseinrichtung die aktive Anwerbung von Personal aus dem Ausland besser managen können, so wie das in Deutschland geschieht. Denn es macht in meinen Augen keinen Sinn, wenn jedes Pflegeheim bzw. jedes Bundesland für sich auf die Suche geht. Das heißt, wir wollen eine aktive Anwerbung von Pflegepersonal, Ausbildungen und Spracherwerb auch im Ausland anbieten, und den Menschen dort vermitteln, dass sie sich auch in Österreich fortbilden können, und sie hier gute Arbeitsbedingungen vorfinden. Wir müssen attraktiver werden, sonst werden wir die Fachkräfte nicht bekommen.

Assistenz für Behinderte: Sie haben im Vorjahr angekündigt, dass auf Grundlage von Bedarfserhebungen in den Ländern Ihr Ministerium spätestens 2023 Eckpunkte für einen One-Stop-Shop zur persönlichen Assistenz ausarbeitet. Hat das Pilotprojekt schon begonnen? Gibt es eine einheitliche Anlaufstelle für Unterstützungsangebote?
Die persönliche Assistenz werden wir jetzt im Beruf und in der Freizeit vereinheitlicht, und zwar in Angestelltenverhältnissen, und nicht in prekären Beschäftigungsverhältnissen, also teilzeitbeschäftigt oder geringfügig beschäftigt. Das ist ein Meilenstein. Wir starten in den drei Bundesländern Tirol, Salzburg und Vorarlberg und das soll österreichweit ausgerollt werden. Zusätzlich - und das ist auch Teil der Verhandlungen im Finanzausgleich - überlegen wir, wie wir die Bedingungen für Menschen mit Behinderungen insgesamt verbessern können. Da geht es z.b. um Lohn statt Taschengeld für Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen arbeiten, damit sie nicht mit ein paar Euro abgespeist werden, sondern sozialversicherungsrechtlich und pensionsrechtlich abgesichert sind.

Um die medizinische Versorgung österreichweit zu verbessern, soll der Ausbau von Primärversorgungseinrichtungen (PVE) beschleunigt werden. Heißt: eine Verdreifachung auf 127 Zentren bis 2025. Und im Zuge der Reform des Gesundheitssystems sind 100 zusätzliche Stellen für Kassenärztinnen und -ärzte geplant. Oberösterreichs Ärztekammerpräsident Peter Niedermoser sieht das insofern kritisch, weil es ja nicht an den Zentren, sondern an den Ärzten mangle.
Sogar VertreterInnen der Ärztekammer schätzen inzwischen die PVE als Zukunftsmodell ein, auch wegen der langen Öffnungszeiten, weil sie für alle rasch erreichbar sind, und das Angebot, für die PatientInnen sehr breit ist. Wir haben bereits 40 PVE, 33 weitere sind aktuell geplant, fünf davon für Kinder. Das bedeutet einfach eine bessere Versorgung für die Bevölkerung, auch im ländlichen Raum. Und darum geht es ja. Man findet nicht mehr so leicht einen Landarzt bzw. Landärztin, die alles allein abwickelt. Künftig sollen sich dort unterschiedliche Berufsgruppen austauschen und bieten die bestmögliche Versorgung hin kürzester Zeit. Darum investieren wir hier viel Energie und Geld.

Aber woher sollen wir die Ärztinnen und Ärzte nehmen? Wir wollen ja keine "Geister-Zentren" aufbauen.
Dass wir in Österreich zu wenig Ärztinnen und Ärzte haben, ist eine Fehlinformation. Wir liegen da sogar im Spitzenfeld der EU. Wir bilden in Österreich über die letzten 15 Jahre auch immer etwa gleich viele ÄrztInnen aus. Es gibt aber den Trend, nicht mehr in die Kassenpraxis zu gehen, sondern in die Wahlarztpraxis, weil dort bessere Verdienstmöglichkeiten sind, weil man dort die Öffnungszeiten selbst gestalten kann. Darum wollen wir jetzt die Arbeitsbedingungen für die niedergelassenen Kassenärzte verbessern. Wir wollen für den Bereich mehr Geld invetieren. Im Gegenzug dazu wird das Angebot steigen.

Können Sie sich vorstellen, dass AllgemeinmedizinerInnen auch als FachärztInnen anerkannt werden?

Genau daran arbeiten wir gerade. Der Facharzt für AllgemeinmedizinerInnen ist ein wesentlicher Schritt, der sich im Finale befindet. Das wird auch kommen. Das ist ein lang gehegter Wunsch der MedizinerInnen und auch der Ärztekammer.

ÖGK-Obmann Andreas Huss denkt über die Abschaffung des Wahlarztsystems nach, weil "diese intransparente Vermischung der beiden Systeme – privater und öffentlicher Gesundheitsversorgung“ gebe es in ganz Europa nicht, wie er bei Diskussionsrunde der RegionalMedien zur Pflege sagte. Wird das Nebenbeschäftigungsverbot im Kassenbereich aufgehoben?
Die Nebenbeschäftigung ist vor allem dort ein Problem, wo Ärztinnen und Ärzte in Landesspitälern arbeiten und gleichzeitig eine Wahlarztpraxis betreiben. Das zu regeln, liegt aber in der Zuständigkeit der Länder. Von einem Verbot halte ich nichts, ich halte davon etwas, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Also, es muss attraktiver werden, Kassenverträge zu bekommen. Hingegen sollte es weniger attraktiv werden, eine Wahlarztpraxis zu öffnen. WahlärztInnen sollen künftig auch an die ELGA angebunden werden.

Wenige ÖsterreicherInnen schaffen die Aufnahmsprüfung zum Medizinstudium, weil v.a. deutsche KollegInnen sich hier anmelden. Gleichzeitig gehen diese dann wieder in ihre Heimat zurück, und hinterlassen ein Loch. Konkret: Von den derzeit rund 15.380 Medizin-Studenten in Österreich kommen 35 Prozent aus dem Ausland. Mehr als drei Viertel der deutschen MedizinstudentInnenen verlassen nach der Beendigung ihres Studiums Österreich, wie eine neue Studie im Auftrag der nö Landesregierung zeigt. Sind Sie für Beschränkungen des Studienzugangs für deutsche StudentInnen, wie das gerade in NÖ gefordert wird?
Wir müssen uns auf dem Boden der europäischen Gesetzgebung bewegen. Es gibt eine Studien- bzw. Niederlassungsfreiheit. Deshalb ist ein Verbot, nach Österreich zu kommen, und hier zu studieren, problematisch. Wir kämpfen mit dem Problem, dass ausländische StudentInnen wieder weggehen, weil die Arbeitsbedingungen in der Schweiz, England und Deutschland besser sind. Unsere Aufgabe ist es, die Arbeitsbedingungen so attraktiv zu gestalten, dass die Leute in Österreich bleiben. Ein zweiter Punkt betrifft die Zugangsregelungen zum Medizinstudium. Diese sollten praxisnäher gestaltet werden. Neben Auswendiglernen muss hier die Sozialkompetenz eine wichtigere Rolle spielen. Das ist im Bildungsministerium gerade ein Thema. Der wichtigste Punkt ist: Es muss uns gelingen, dass die Menschen, die ein Medizinstudium absolvieren, auch in den niedergelassenen Bereich gehen, also Kassenverträge annehmen, und nicht alle in die Wahlarztpraxis gehen.

Laut ÖGK sind ohnehin 97 Prozent der über 8.000 Kassenstellen in Österreich besetzt. Also wir reden da eigentlich von nur drei Prozent, die hier vor allem in den ländlichen Regionen fehlen. Wie kann eine so geringe Zahl an offenen Stellen dazu führen, dass ein Kassenärztemangel mit – in einigen Fächern – monatelangen Wartezeiten auf Termine herrscht und die Zahl der Wahlärzte (derzeit sind es 11.000) seit Jahren stetig steigt, weil es offensichtlich einen Markt dafür gibt?
Erstens gibt es dabei regionale Unterschiede, auch von den Fächern her. Wir haben einen massiven Mangel bei KinderärztInnen. Künftig können sich zwei Kinderärzte mit einem Vertreter eines anderen Gesundheitsberufs zusammenschließen und eine Kinder-Primärversorgungseinheit bilden. Prinzipiell müssen wir für die PatientInnen eine neue Logik aufbauen: Die erste Anlaufstelle soll digital sein, dann ambulant, dann erst stationär. Das heißt, es muss das digitale und ambulante Angebot ausgebaut werden, etwa so, dass man über digitale Angebote oder Telefon (1450) profunde Hilfe bekommt und einem der Weg durch das österreichische Gesundheitssystem gewiesen wird. Sodass man mit bestimmten Symptomen, die man angibt, einen Termin im Umkreis von 20 Kilometern bei niedergelassenen ÄrztInnen erhält, um dort die Ursache abklären zu lassen. In anderen Ländern, wie Finnland und Israel kappt das gut. Man muss nicht gleich ins Spital gehen, wenn man Beschwerden hat.

Wäre es eine Option, dass Ärzte nur dann eine Wahlarztordination betreiben dürfen, wenn sie Vollzeit angestellt sind?
Ja, das wäre eine Option. Aber Dienstgeber in den Landesspitälern sind die Bundesländer. Ich glaube, dass es dafür ein bisschen Mut bräuchte. Es ist auch eine Frage der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung. Pflegepersonal und Ärzteschaft sind oft sehr überlastet und auch mit bürokratischen Verpflichtungen eingedeckt. Da gehört Vieles digitalisiert, damit diese Berufsgruppen dafür da sein können, wofür sie da sein sollten, nämlich für die direkte Arbeit mit Patientinnen und Patienten, und nicht am Computer oder am Papier.

Ist das auch ein Schritt mehr in Richtung Telemedizin? Weil in Österreich sind wir da noch relativ weit entfernt.
Da ist enorm viel Potenzial. Und da entwickelt sich weltweit extrem viel und schnell. Wir haben es im Zuge der WHO-Konferenz in Genf diskutiert, im Kreis der europäischen Gesundheitsminister. Das hat das Potenzial für Patientinnen und Patienten, viel rascher zur präzisen Abklärung zu kommen, bis hin zur Möglichkeit, Befunde in Österreich mit internationalen Datenbanken abzugleichen. Beispielsweise lassen sich zweifelhafte Krebs-Befunde mit künstlicher Intelligenz analysieren, mit einer Treffsicherheit von über 90 Prozent anstatt wie derzeit knapp über 80 Prozent. Und ich glaube, es hat auch Potenzial, rasche, niederschwellige und einfachere Hilfe in Anspruch nehmen zu können, als in den Spitalsbereich gehen zu müssen.

Gibt es da konkrete Pläne für Österreich?
In der Frage der Digitalisierung gibt es gemeinsam mit Staatssekretär Tursky den Plan, das ELGA-System dafür fit zu machen. Denn wir haben mit der ELGA ein wirklich gut funktionierendes System und somit einen Startvorteil. Egal, ob Röntgenbild, Medikation oder Befund: Diese Dinge müssen für PatientInnen Zeit ihres Lebens an einer Stelle gesammelt werden, wo man sie in einem sicheren System immer abrufen kann, jederzeit verfügbar. Das ist die Zielsetzung.

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