Obachlosen-Touren
"Viele dachten, die hat nicht alle Tassen im Schrank"

- Bewegende Touren und Aktivitäten zu gesellschaftlich polarisierenden Themen bietet in Wien das Unternehmen "Shades Tours" an. Im Gespräch mit MeinBezirk.at warf die Gründerin Perrine Schober einen Blick auf ihren Erfolgsweg.
- Foto: ÖkoBusinessPlan Wien / Frank Helmrich
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Bewegende Touren und Aktivitäten zu gesellschaftlich polarisierenden Themen bietet in Wien das Unternehmen "Shades Tours" an. Das Besondere: Die Führungen werden von betroffenen Personen selbst gehalten, die zusammen mit ihren Tourgruppen hinter die Kulissen der Bundeshauptstadt blicken. Die Themenbereiche umfassen "Armut und Obdachlosigkeit" sowie "Sucht und Drogen". Im Gespräch mit MeinBezirk.at warf die Gründerin Perrine Schober einen Blick auf ihren Erfolgsweg.
ÖSTERREICH/WIEN. Bereits 2015 gründete Perrine Schober ihr Unternehmen Shades Tours und schuf damit ein Tour-Konzept, dass es in Österreich bis dato nicht gegeben hat. Schließlich werden die Stadtführungen von Obdachlosen, Wohnungslosen oder ehemals suchtkranken Menschen durchgeführt. Die Gründerin erklärt, wie ihr die Idee für Shades Tours kam, auf welche Hürden sie bei der Unternehmensgründung gestoßen ist und welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf sie hatte.
MeinBezirk.at: "Touren geführt von Obdachlosen" - wie kam Ihnen die Idee zu Shades Tours?
Perrine Schober: Das Konzept habe ich nicht erfunden, sondern das gab es bereits damals in sehr vielen unterschiedlichen Städten in Europa. Ich selbst habe Tourismusmanagement studiert und mich dann auf Tourismus als volkswirtschaftliches Element der Armutsverringerung spezialisiert. Danach war ich eigentlich auf der Suche nach dem perfekten Job für mich und habe beschlossen, dass ich die beiden Thematiken Tourismus und Armutsverringerung zusammenführen möchte. Und als ich dann mal gegoogelt habe, bin ich auf dieses Konzept gestoßen, fand es sehr spannend und habe mir gedacht: "Ah schau, das gibt es in Wien gar nicht. Das könnte hier doch auch funktionieren". Und so habe ich dann Shades Tours gegründet.
Und dann wurde das Unternehmen laufend erweitert...
Genau, mit dem Thema Armut und Obdachlosigkeit haben wir 2015 die ersten Schritte gemacht, 2016 gab es dann eigentlich einen ersten richtigen Launch, wo wir wirklich durchgestartet sind. Und dann haben wir uns immer weiterentwickelt: 2018 haben wir zunächst das Thema "Flucht und Migration" dazu genommen, 2019 kam "Sucht und Drogen" hinzu. Mit der Corona-Zeit haben wir uns wieder ein bisschen verkleinert und jetzt stehen wir eben noch mit den beiden Themen "Armut und Obdachlosigkeit" und "Sucht und Drogen" da.

- Aktuell werden Touren zu den Themen "Armut und Obdachlosigkeit" und "Sucht und Drogen" angeboten.
- Foto: Shades Tours
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Im Grunde lässt sich Ihr Unternehmen in den Tourismus einordnen, richtig?
Ja, eigentlich liegt unser Gewerbe im Tourismus und der Freizeitwirtschaft, weil wir ja Touren veranstalten; also Stadtführungen der besonderen Art. Ich muss aber zugeben, dass unser Konzept eigentlich nichts mit dem typischen Tourismus zu tun hat. Unsere Zielgruppe ist hauptsächlich die lokale Bevölkerung. Das heißt, sehr viele Schulen kommen zu uns, sehr viele Universitäten, sehr viele Unternehmen, die das in Form von Teambuildings oder Exkursionen machen. Es kommen außerdem viele Menschen aus dem Sozialbereich oder dem Gesundheitswesen zu uns; aber auch Einzelpersonen.
Und all Ihre Touren werden von betroffenen Personen geführt?
Also was wir machen, sind sozialpolitische Stadtführungen zu heiklen und polarisierenden Themen. Und wenn wir schon über diese Themen referieren oder sie besprechen, wer, wenn nicht betroffene Personen selbst, sind dann am besten dafür geeigneten, um das auch tatsächlich zu vermitteln. Schlussendlich suche ich mir für diese Aufgabe die besten Mitarbeiter aus; für diese Dienstleistung Obdachlose, Wohnungslose oder ehemals suchtkranke Menschen. Also eigentlich wie jedes andere Unternehmen auch.
Sie haben vorhin bereits erwähnt, dass sie Tourismusmanagement studiert haben, dazwischen haben Sie auch eine Zeit lang für unterschiedliche Entwicklungshilfeorganisationen und eine Unternehmensberatungsfirma gearbeitet. Haben Sie von Anfang an den Plan verfolgt, sich selbstständig zu machen?
Nein, das war reiner Zufall! Ich glaube, ich hätte mir nie gedacht, mal selbstständig zu werden. Dann habe ich aber dieses Konzept gesehen und mir gedacht, das ist spannend, passt zu mir und außerdem gibt es das hier noch nicht. Und natürlich muss man sich auch Gedanken zu seinen Fähigkeiten machen und schauen, was es dafür braucht, um so ein Konzept zu machen, durchzukriegen und ja, eigentlich durchzuboxen – eine Unternehmensgründung ist kein Zuckerschlecken, sondern kann tatsächlich auch ein täglicher Kampf sein. Natürlich auch oder vor allem mit sich selbst. Aber schlussendlich habe ich etwas gefunden, das mir aufgrund meiner Persönlichkeit, Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die ich in meinem Studium erlernt habe, naheliegt.
Sie haben vorhin erwähnt, dass es ähnliche Konzepte bereits im Ausland gab. Standen Sie vor der Gründung von Shades Tours auch mit diesen Unternehmen im Austausch?
Ja, in meiner Recherche-Zeit habe ich sehr viel mit den unterschiedlichen Projektleitern und den Guides in diesen Städten gesprochen: Darüber, was funktioniert, was nicht funktioniert; wie sie es machen, warum sie es so und nicht anders machen. Wir haben also ein bisschen zusammen geschaut, wie ein solches Konzept in Wien funktionieren könnte, was man von diesen Konzepten mitnehmen kann und was man sein lassen muss.

- Die Zielgruppe der Touren ist die lokale Bevölkerung. Häufig nehmen Schulklassen an den Führungen teil.
- Foto: Shades Tours
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Sind Sie während Ihrer Gründungs- bzw. Startphase auf Hürden gestoßen? Womit hat man zu kämpfen, wenn man sich selbstständig macht?
Also administrativ bin ich auf keine Hürden gestoßen, das war bei mir relativ leicht. Schließlich war Shades Tours damals nur ein Einzelpersonenunternehmen, zu dem es ein passendes Gewerbe gibt. Ich habe mein Touren-Konzept speziell auch mit der Wirtschaftskammer und mit den Fremdenführern besprochen, um die Unterschiede abzustecken. Das war mir wirklich ganz wichtig abzuklären. Aber ich glaube, das Schwierigste in der Gründungsphase ist natürlich, dass viele mit der Situation überfordert sind. Und dann kommt hinzu, dass wir in Österreich nicht so eine Kultur oder Mentalität haben, dass man es jemanden gleich zutraut, sich selbstständig zu machen. Ich habe das Gefühl, man muss sich da häufig beweisen. Also im Prinzip muss man ein Unternehmen schon gegründet haben, bevor eine andere Person wirklich glaubt, dass man eine Gründung auch überleben und das Ganze schaukeln kann.
Und in meinem Fall gab es ja nicht nur das Thema Gründen an sich. Ich habe mich selbstständig gemacht, wo sich viele sowieso schon denken "Okay, das ist schon mal eine schwierige Sache"; aber dann suche ich mir auch noch ein Thema aus, das nochmals schwieriger und komplexer ist. Immerhin arbeite ich mit obdachlosen Menschen zusammen, bei denen sowieso nur wenige davon ausgehen, dass die überhaupt arbeiten wollen. Also da haben sich sicher viele nochmals gedacht: "Die hat nicht alle Tassen im Schrank. Die glaubt an Utopia".
Und mit sich selbst hat man auch zu kämpfen, oder?
Natürlich hat man auch mit sich selbst zu kämpfen. Schließlich hat jeder seine Dämonen, also etwa eigene Unsicherheiten; und natürlich bringt man sich auch selbst immer wieder nochmals durcheinander. Das sind dann Fragen, wie "Glaubst du wirklich, dass du das kannst?", oder "Willst du das wirklich machen?". Dann gibt es am Anfang auch noch die Angst, in eine Bringschuld zu kommen. Man glaubt dann, man muss jetzt anfangen, weil man es schon herumerzählt hat.
Sind Ihnen auch Hürden aufgefallen, mit denen speziell Frauen zu kämpfen haben? Wurden Sie zu Beginn von allen "ernst" genommen?
Ich glaube, dass es nicht immer selbstverständlich und leicht ist, dass sich Frauen selbstständig machen können. Ich hatte damals keine Verantwortung und war niemanden irgendeine Rechenschaft schuldig. Ich hatte in der Anfangsphase keine Beziehung, auf die ich Rücksicht nehmen musste; ich hatte keine Kinder. Also dahingehend hatte ich nichts zu verlieren und konnte diesen Schritt der extremen Unsicherheit auch wagen. Ich glaube aber nicht, dass ich speziell als Frau irgendwelche Schwierigkeiten hatte, weil – es klingt vielleicht komisch – das Soziale wird ja meistens auch den Frauen zugeschrieben. Von dem her gab es keine Schwierigkeiten. Aber für meine Eltern war das am Anfang nicht leicht: Ich bin die jüngste Tochter, da wollten sie eigentlich nicht sehen, dass ich mit Anfang 30 in eine unsichere Phase meines Lebens komme. Sie wollten lieber, dass ich mich eher auf das Familienleben bzw. ein potenzielles Familienleben konzentriere. Aber wie gesagt, ich wurde nicht als Frau, sondern vom Thema her schon mal unsicher angeschaut. Ich glaube, das war per se schon irgendwie sehr konfrontierend für viele Menschen; da war das Geschlecht schon nahezu nebensächlich.

- Bereits 2015 gründete Perrine Schober "Shades Tours".
- Foto: Ludwig Schedl
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Nochmals zurück zu Shades Tours: Sie haben zunächst in Wien gestartet, ihr Portfolio laufend erweitert und dann auch Touren in Graz angeboten?
Ja, da hatten wir auch Führungen, aber das haben wir dann eingestanzt. Wir haben das kurz vor Corona, also 2019, angepeilt und auch schon aufgesetzt, aber nach Corona musste ich den zweiten Standort aufgeben. Das war mir einfach einer zu viel.
Und jetzt hat sich das Unternehmen von der Corona-Zeit wieder gut erholt?
Genau, es erholt sich. Aber ich muss sagen, ich habe in der Zeit einfach auch gelernt, dass ich mit meinen Ressourcen haushalten muss. Ich habe nicht die Ressourcen, wieder einen zweiten Standort aufzubauen; das ist jetzt nichts mehr für mich. Also, ich bin jetzt so weit zu sagen: "Ich mache jetzt eine Größe, die ich auch selbst handhaben kann".
Diese Zeit hat also nicht nur Ihr Unternehmen, sondern auch Sie selbst verändert?
Ja, ich war zu dieser Zeit schon sehr ermüdet; das muss man auch so sagen. Das war schon alles sehr, sehr anstrengen; gerade die ersten Aufbaujahre. Und ich glaube, ich habe in dieser Phase einfach gelernt, darauf zu schauen, was ich machen kann, wie viele Ressourcen ich habe und wie viel ich selbst stemmen kann. Ich bin da einfach draufgekommen, dass ich mehr Rücksicht auf mich nehmen muss und mehr auf mich achten möchte. Das ist schon ein relevantes Thema: Zu verstehen, wie viel man geben kann, seine eigenen Ressourcen ein bisschen besser abzustecken und sich selbst bzw. seiner selbstständigen Person auch Grenzen zu setzen.
Was sind denn im Generellen persönliche Eigenschaften, die Ihnen geholfen haben, mit Shades Tours erfolgreich zu werden?
Ich glaube, ganz wichtig ist Neugierde. Also das Konzept solcher Touren hat mich neugierig gemacht und mit der Logik, die ich hatte, habe ich mir gesagt: "Irgendwie glaube ich daran"; in meiner Vorstellung war dieses kuriose Ding möglich. Die Neugierde ist auch immer dageblieben. Und was sonst noch sehr geholfen hat, war bestimmt auch ein gewisses Selbstbewusstsein, weil ich es gewohnt bin, sehr viele Präsentationen zu führen oder Interviews zu halten. Es gibt sehr viel "Öffentlichkeitsarbeit", die geleistet werden muss und ich glaube, dass meine Extrovertiertheit und mein Selbstbewusstsein geholfen haben, Shades Tours auch "hinauszutragen". Das hat es für das Unternehmen gebraucht, weil das doch sehr viel Aufmerksamkeit generiert. Jemand anderes hätte sich vielleicht unwohl gefühlt, dieser Aufmerksamkeit standzuhalten. Und ein dritter Punkt, der bei einem solchen Unternehmen wichtig ist, ist auch eine gewisse Flexibilität. Also man muss auch stressresistent sein, weil ich ja doch mit Menschen arbeite, die auch Unsicherheiten mit sich bringen. Man muss daher auch eine emotionale Stabilität haben, um mit dieser Art von Stress zurechtkommen zu können.

- Bei jeder Führung berichten Obdachlose, Wohnungslose oder ehemals suchtkranke Personen über ihre Erfahrungen.
- Foto: Shades Tours
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Was war Ihre Inspiration, dass Sie schlussendlich gesagt haben "Ich mache das jetzt" und auch jetzt immer noch dranbleiben?
Also ein Thema war eine Freundin von mir, die am Anfang gesagt hat, "Perrine, beginn doch einfach damit". Weil ich glaube, viele, denen vielleicht eine Idee im Kopf herumschwirrt, haben Angst darüber zu reden; denn, wenn ich es einmal ausgesprochen habe, kann ich es auch nicht mehr entsagen. Das heißt, es wird dann plötzlich so real, und man hat das Gefühl, dass man jetzt auch wirklich abliefern muss – sonst könnten die Menschen ja glauben, dass ich nur heiße Luft rede. Und diese Angst hat mir meine Freundin genommen, als sie gesagt hat: "Perrine, du schuldest niemanden irgendetwas und kannst jederzeit aufhören".
Und dann gab es einen Moment, als ich mir selbst gesagt habe: "Okay, du hast jetzt einen Businessplan, hast dir das ziemlich gut überlegt und hast auch schon begonnen, mit Leuten darüber zu reden. Traust du dich jetzt wirklich drüber?". Und da habe ich mir nochmals alle Fragen gestellt: "Bist du sicher, dass du das möchtest?", "Glaubst du wirklich, die geeignetste Person dafür zu sein?", "Glaubst du, du kannst das durchhalten?". Diese ganzen Fragen der Unsicherheit konnte ich konkret mit "Ja" beantworten. Das ist ein Moment, den ich wirklich abgespeichert habe und der so wichtig war, weil ich oft genug darauf zurückgegriffen habe – gerade an Tagen, die schwer waren oder an denen ich mir unsicher war und geglaubt habe, dass ich das nicht mehr kann. Also an solchen Tagen, an denen man kurz mal zusammenbricht und der Unsicherheit erliegt. Und da konnte ich zu mir sagen: "Du hast dir all diese Fragen schon mal beantwortet und damals warst du überzeugt davon, dass du das kannst".
Welche Tipps haben Sie für junge Frauen, die mit dem Gedanken spielen, sich selbstständig zu machen?
Egal in welcher Lebenssituation man ist, ich glaube, es ist sehr wichtig zu verstehen, welche Ressourcen man selbst aufbringen kann, welche von der Logistik und den Lebensumständen her überhaupt möglich sind. Man muss sich einfach sehr klar bewusst machen, welche Zeit, Energie und Kapazitäten man zur Verfügung hat und welche Kenntnisse man tatsächlich besitzt. Das alles muss man dann in das Businessmodell oder in die Unternehmung aufnehmen; das sollte dann auch kohärent sein und wirklich passen. Und wenn das nicht möglich ist, dann sollte man sich überlegen, ob man sich jemand zweiten ins Boot holt. Da muss man schon objektiv und nüchtern an die Sache herangehen.
Abschließend noch: Was bringt die Zukunft für dich und Shades Tours? Hast du noch irgendwelche Visionen oder bist du jetzt vollkommen zufrieden?
Ich bin aktuell sehr zufrieden, aber ich werde demnächst auch anfangen, mir vielleicht einen Co-Founder zu suchen. Jemand, der Spaß an der Weiterentwicklung von Shades Tours hat und sich auf selbstständiger Basis da auch verwirklichen möchte. Also das man gemeinsam an dem Unternehmen arbeitet und die zweite Person kann neue Produkte ausarbeiten und umsetzen. Das ist das, was als nächstes ansteht. Also wir werden uns bestimmt noch weiterentwickeln.
Mehr zu Shades Tours findest du unter shades-tours.com und @shadestours.
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