Früher war alles besser
Landwirtschaft im Wechsel der Generationen

Blättern in Protokollen der Nachkriegszeit: Die Kammersekretäre Peter Neumann (l.)  und sein Nachfolger Markus Reisinger (r.) sowie der aktuelle Kammerobmann im Bezirk Deutschlandsberg Christian Polz. | Foto: MeinBezirk/Susanne Veronik
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  • Blättern in Protokollen der Nachkriegszeit: Die Kammersekretäre Peter Neumann (l.) und sein Nachfolger Markus Reisinger (r.) sowie der aktuelle Kammerobmann im Bezirk Deutschlandsberg Christian Polz.
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Vom Ochsengespann zum digitalisierten Mähdrescher, von Hungersnot und Milchschwemme bis zum "Smart Farming": In der Serie "Früher war alles besser" beleuchten wir diesmal die landwirtschaftliche Entwicklung ab der Nachkriegszeit. Dazu hat sich MeinBezirk nicht nur mit dem aktuellen Obmann der Landwirtschaftskammer Deutschlandsberg Christian Polz getroffen, sondern auch mit den ehemaligen Kammersekretären Peter Neumann  und seinem Nachfolger Markus Reisinger, um die letzten Jahrezehnte gemeinsam Revue passieren zu lassen.

DEUTSCHLANDSBERG. "Schau dir das an", blättert Christian Polz, Obmann der Landwirtschaftskammer Deutschlandsberg, in einem dicken Ordner gefüllt mit Sitzungsprotokollen der Landwirtschaftskammer Deutschlandsberg kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges. In einem Protokoll vom 24. Oktober 1946 erklären Holzarbeiter, dass sie ihre Arbeit im Forst nicht verrichten können, weil sie keine Arbeitsschuhe haben.

Schleifholz gegen Schuhe 

Daraufhin hat die Bezirkskammer 100 Paar Schuhe an die Holzarbeiter zugeteilt. In einem späteren Protokoll aus dem Jahr 1948 steht geschrieben: "Die Aktion Schleifholz gegen Schuhe' war ein voller Erfolg." Außerdem galt es, Treibstoff und vieles mehr zu verteilen, der in der Nachkriegszeit penibel portioniert worden ist. 

Landwirtschaftliche Arbeit war vor der Mechanisierung nur durch Köperkraft umsetzbar. | Foto: Museums Victoria/unsplash
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In diese zeithistorischen Protokolle waren auch die beiden ehemaligen Deutschlandsberger Kammersekretäre Peter Neumann (Kammersekretär von 1963 bis 1992) und Markus Reisinger (Kammersekretär von 1992 bis 2006) vertieft.

Zur Geschichte der Landwirtschaftskammer

Die Geschichte der Landwirtschaftskammer selbst reicht bis in die 30-er Jahre, als die Notlage der Bauern sehr groß gewesen ist. Viele Bauern mussten ihre Höfe versteigern, da sie ihre Schulden nicht mehr begleichen konnten. 1930 wurde somit die Landwirtschaftskammer Deutschlandsberg unter der Obmannschaft von Bundesrat Kandler aus Lannach als erste bezirksweite Interessenvertretung gegründet, die Landeskammer in Graz wurde ein Jahr zuvor 1929 gegründet.

Viehaufbringung mit Polizeibegleitung

War also in der Zwischenkriegszeit die Selbstversorgung und jene für den Ort vorherrschend, galt es nach dem Zweiten Weltkrieg, die Marktwirtschaft einzuführen und die Produktion ehest möglich zu steigern. Somit war das Credo in der Nachkriegszeit: Produzieren, produzieren, produzieren und das auf allen Ebenen, um die Bevölkerung auch in den Städten ernähren zu können. 

Ernteausfälle, Wirtschaftskrise, Krieg und Inflation – Hungersnöte sind eine Folge davon.  | Foto: GiselaFotografie/pixabay
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Schließlich war in der unmittelbaren Nachkriegszeit 1945/46 die Not groß, vor allem die städtische Bevölkerung hat gehungert. Es ging um Ernährung, Rohstoffe und schlichtweg ums nackte Überleben. Dazu wurde eine Ablierferungspflicht eingeführt, denn die Regale waren leer und der Schwarzmarkt blühte. Doch das war nicht immer ganz freiwillig, wie aus den Protokollen hervorging:

"Eine Viehaufbringung im notwendigen Ausmaß ist in den meisten Gemeinden nur mit Gendarmerie-Assistenz möglich."
Auszug aus einem Sitzungprotokoll der Landwirtschaftskammer

Entdeckungen in Protokollen der Nachkriegszeit: Die Kammersekretäre Peter Neumann (l.)  und sein Nachfolger Markus Reisinger (r.) sowie der aktuelle Kammerobmann im Bezirk Deutschlandsberg Christian Polz. | Foto: MeinBezirk/Susanne Veronik
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Von dieser Zeit und auch aus den Jahren zuvor weiß Peter Neumann mit seinen 96 Jahren viel zu berichten, der als Bauernsohn auf einem Bergbauernhof auf 1.100 Metern Seehöhe mit sieben Geschwistern in Mariahof im Bezirk Murau aufgewachsen ist.

"Damals hatte die Selbstversorgung eine große Bedeutung. Da gab es noch kaum eine Spezialisierung, sondern man hatte von allem etwas für den Eigenbedarf. Die Spezialisierung kam erst später, vor allem nach dem EU-Beitritt auf."
Peter Neumann, ehemaliger Kammersekretät

Landwirtinnen und Landwirte als Ernährer der Nation 

"Diese Familienbetriebe waren also sehr vielseitig, erst später kam die Rinderzucht dazu", erzählt Neumann. Damals war gerade in diesen entlegenen Gegenden, so wie etwa bei uns in Laaken/Soboth, oft noch nicht einmal ein Stromanschluss gegeben, heute geht es um Windkraft, Sonnenstrom und Glasfaserausbau.

Dazu kam gerade im Forst die oft schwierige Bringung in unwegsamem Gelände sowie der eingeschränkte Zugang zur Bildung. Neben der Landjugend in kleineren Einheiten nach dem Vorbild in den USA waren es schließlich die landwirtschaftlichen Fachschulen, die für eine adäquate, jeweils an die Ansprüche der Zeit angepasste Ausbildung gesorgt haben. So hat heuer die landwirtschaftliche Fachschule Burgstall in Wies das 75jährige Bestehen mit Zeitzeugen gefeiert. Seit 53 Jahren besteht die landwirtschftliche Fachschule in Stainz.

"Das waren früher in sich geschlossene Systeme zur reinen Selbstversorgung, da ist kaum Geld raus gegangen. Zahlungen von Petroleum als "Lichtöl", Viehdoktoren oder gar ein Arzt konnten Existenzen bedrohen. Heute gilt es Versicherungen zu zahlen, Maschinen, Diesel und vieles mehr. Ging es früher ums Überleben der eigenen Familie, gilt es jetzt mehr denn je Umsatz zu machen."
Christian Polz, Obmann der landwirtschaftskammer Deutschlandsberg

Wachsen und weichen bis zum EU-Beitritt 

Die Landwirtschaft hat sich nach dem Krieg gemeinsam mit der Mechanisierung enorm entwickelt. Wachsen und weichen hieß also die Parole in der Nachkriegszeit.

"In den siebziger Jahren uferte die Produktion in fast allen Sparten geradezu aus. Ein Preisrückgang war die Folge", erzählt Reisinger und führte als Beispiel die Überproduktion in der Milchwirtschaft mit der sogenannten "Milchschwemme" an. Um dem entgegenzuwirken, wurde das "Milchgeld" eingeführt, das Bauern bei einer entsprechenden Drosselung der Milchproduktion erhalten haben. Dafür ersparte sich der Staat die teuren Exporte ins Ausland.

Mit dem Viehwirtschaftsgesetz 1983, das eine Bestandsobergrenze festgelegt hat, bekamen die Rinder- und Schweinebauern bis zum EU-Beitritt eine Verschnaufpause. "Damit wurde der ständige Anpassungs- und Veränderungsdruck gebremst", erklärt Reisinger.

Mit dem EU-Beitritt wurde diese Bestandsobergrenzen allerdings sofort aufgehoben. Seither ist wieder optimieren, wachsen, verändern und strategisches Anpassen angesagt, und das in einem rasant anwachsenden Ausmaß. Mit dem EU-Beitritt sollte Österreich und speziell die Steiermark zum Spezialitätenladen werden. 

Unwetterereignisse, wie hier das Hochwasser 2023, bergen Risiken für Landwirtinnen und Landwirte. | Foto: Landwirtschaftskammer
  • Unwetterereignisse, wie hier das Hochwasser 2023, bergen Risiken für Landwirtinnen und Landwirte.
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"Dazu wurde mithilfe von Förderungen z.B. sumpfiges Gelände durch Drainagen in Ackerflächen umgebaut, heute geht man im Sinne von Renaturierungen wieder einen Schritt zurück", spannt Reisinger den Bogen in die Gegenwart, d.h. von intensiver Landnutzung geht man jetzt zu extensiver Landnutzung bei geringerem Eingriff durch die menschliche Bewirtschaftung. 

Landwirtschaftliche Betriebe mehr als halbiert

Die Veränderungen schlagen sich auch in Zahlen nieder, die bäuerliche Bevölkerung reduziert sich zusehends. Damit geht auch der Strukturwandel einher, es werden weniger aber in Relation größere Betriebe. 
"Mit dem EU-Beitritt Österreichs 1995 wurden im Bezirk Deutschlandsberg noch 3.380 Mehrfachanträge für diverse Förderungen eingereicht, 2023 waren es nur noch rund 1700", fasst Reisinger in markanten Zahlen zusammen. Auch wenn sich diese Kurve inzwischen abgeflacht hat, das damit dokumentierte Bauernsterben wird wohl noch anhalten.

Land- und forstwirtschaftliche Betriebe im Bezirk Deutschlandsberg:

  • 1980: 5.809
  • 1990: 5203
  • 1999: 3.981
  • 2010: 3.140
  • 2020: 2.607

Eingereichte Mehrfachanträge zur Förderabwicklung im Bezirk Deutschlandsberg:

  • 1995: 3.380
  • 2010: 2.252
  • 2015: 1.806
  • 2020: 1.769

Im Bezirksspiegel der Landwirtschaftskammer Weststeiermark 2024 sind für den Bezirk Deutschlandsberg 2.607 landwirtschaftliche Betriebe auf einer insgesamt bewirtschafteten Fläche von 73.301 ha angeführt.

  • Haupterwerbsbetriebe: 662 auf 38.501 ha
  • Nebenerwerbsbetriebe: 1.776 auf 26.484 ha
  • Personengemeinschaften: 139 auf 3.493 ha
  • Betriebe jur. Personen: 30 auf 4.823 ha
In den Bezirken Leibnitz und Deutschlandsberg gibt es seit Jahren immer weniger Bauernhöfe. | Foto: Maritschnegg
  • In den Bezirken Leibnitz und Deutschlandsberg gibt es seit Jahren immer weniger Bauernhöfe.
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Während die beiden Kammersekretäre noch von Ochsengespannen als Zugtiere vor landwirtschaftlichen Geräten wissen, war die Mechanisierung bis Mitte des vorigen Jahrhunderts wohl die erste große Revolution in der Landwirtschaft. Die Zweite erleben wir derzeit hautnah, wir stecken mitten in der Digitalisierung bis hin zu "Smart Farming" für zuverlässige Ergebnisse aus einer kontrollierten Umgebung bei weniger Pestiziden und Wasserverbrauch.

Bewusstseinsbildung in den Betrieben

Neben der Bildung an Schulen oder auch dem Kursangebot am LFI wird auch der Ruf nach Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung immer lauter, um für Abläufe auf einem Bauernhof bis hin zur Umsetzung von Tierwohl-Standards zu sensibilisieren. Dabei können die steigenden Auflagen mitunter zu einer finanziellen Challenge für die Landwirtinnen und Landwirte werden und somit zu einem weiteren Parameter, der oft über Existenzen entscheiden kann.

Deutschlandsbergs Bezirksbäuerin Angelika Wechtitsch und Obmann der Bezirksbauernkammer Christian Polz. | Foto: MeinBezirk/Susanne Veronik
  • Deutschlandsbergs Bezirksbäuerin Angelika Wechtitsch und Obmann der Bezirksbauernkammer Christian Polz.
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Veranstaltungen auf den Bauernhöfe mit Tagen der offenen Stalltüren, Seminare, Workshops oder auch "Urlaub am Bauernhof" und Aktionen der Bezirks- und Gemeindebäuerinnen bringen Einblick in die Abläufe bis zum fertigen Produkt, von Brot über Milch und Käse bis hin zu Eiern und Fleischprodukten, die bei der Ab-Hof-Vermarktung und auf Bauernmärkten direkt an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben werden.

Wichtige Verteilzentren und zugleich Multiplikatoren sowohl für die Landwirtinnen und Landwirte sowie für die Bevölkerung stellen die Lagerhäuser dar, die in den letzten Jahren ebenso eine Zentralisierung erfahren haben.

Dass in Zeiten der Not die Bauernschaft als Ernährer der Nation gefeiert wird, hat auch die Corona-Pandemie vor Augen geführt, ein Hype, der inzwischen auch wieder verebbt ist.

Vielfalt und Jugend als Bonus im Bezirk

"Wir brauchen heimische hochqualitative Lebensmittel", betont Polz und bringt die Vorzüge unserer Region vor Augen: "In unserem Bezirk wächst einfach alles, was wir brauchen. Dazu kommen fleißige, junge Bäuerinnen und Bauern, die gut ausgebildet sind. Ich bin davon überzeugt: Wenn wir diese junge Generation arbeiten lassen mit ihren erfrischenden Ideen und dazu die entsprechenden wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, ist die Sicherheit in der Versorgung mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln auch weiterhin gegeben, selbst in kleinen familiären Strukturen", sieht Polz einen positive Ausblick.

Dabei sind die Herausforderungen enorm u.a. durch Auflagen im Tierwohl, den Klimawandel und die Veränderung in der Marktwirtschaft; Stichwort "Mercosur" als weiteres Damoklesschwert für unsere klein strukturierten landwirtschaftlichen Familienbetriebe.

"Unsere Jugend ist einfach großartig", so Markus Reisinger und Peter Neumann fasst zusammen: "Mit der Spezialisierung in Folge des EU-Beitrittes sind wir sehr gut und breit aufgestellt, vor allem wenn die Hoferben mit Begeisterung dabei sind."

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Früher war alles besser

Unter dem Motto „Früher war alles besser“ hinterfragt das MeinBezirk-Redaktionsteam Themen wie Sicherheit, Bildung und Verkehr.

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