Stadtschreiberin Andrea Scrima
"Ich werde hier leben wie eine Grazerin"

In ihrer Schriftstellerinnen-Residenz am Schloßberg wird Andrea Scrima nun für ein Jahr als Grazer Stadtschreiberin leben. | Foto: Jorij Konstantinov
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Am 2. Oktober wird die neue Stadtschreiberin Andrea Scrima im Grazer Literaturhaus begrüßt. Was eine Stadtschreiberin eigentlich macht und welche Form von Literatur – made (or grown) in Graz – dabei entstehen wird, erzählt die Schriftstellerin vorab im Gespräch mit MeinBezirk.at.

GRAZ. Die ersten Stadtschreiber des deutschsprachigen Raums finden sich in Chroniken aus dem 13. Jahrhundert. Als städtische Beamte leiteten sie, meist juristisch geschult, Kanzleien und erledigten in verwaltender Funktion den Schriftverkehr rund um öffentliche Belange. Weil Frauen so lange von formellen Positionen und Ämtern ausgeschlossen wurden, tauchen sie in der frühen Geschichte des "Stadtschreibertums" nur sehr vereinzelt – und wenn dann bloß inoffiziell oder in sehr kleinen Gemeinschaften – auf.

In Graz, wie in vielen anderen Städten der Welt, versteht man unter einer Stadtschreiberin bzw. einem Stadtschreiber heute eine Person, die ohne finanziellen Druck ihrer literarischen Tätigkeit nachgehen kann. So vergibt das Grazer Kulturamt jährlich ein Stipendium an mit Lyrik, Prosa oder Theater arbeitende Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die sich für jeweils ein Jahr mit der Atmosphäre und der Kulturszene der Stadt auseinandersetzen, um diese (früher oder später) in ihren Werken zu verarbeiten. Aus einem damals zunächst verwaltenden Posten wurde im Laufe der Zeit also eine literarisch-künstlerische Rolle.

In den 1980er Jahren kam die in New York geborene Künstlerin nach (damals noch West-)Berlin, wo sie seither lebt und einen Sohn großgezogen hat. | Foto: Jorij Konstantinov
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In diesem Jahr fiel die Wahl der Jury auf die gebürtige New Yorkerin Andrea Scrima. Die 63-Jährige, die seit 40 Jahren in Berlin lebt, ist in der Kunst- und Kultur-Szene, wie auch in Graz, keine Unbekannte. Nicht nur, dass sie vor zwei Jahren anlässlich des steirischen herbst im Literaturhaus zu Gast war; sie hat eine weitere ganz konkrete Verbindung. Scrimas Roman "Kreisläufe", übersetzt aus dem Originalen "Like Lips, Like Skins" war 2021 bereits das zweite Buch, das im Grazer Literaturverlag Droschl herausgegeben wurde. 

International bekannt dank Graz

Die Stadt habe daher für sie eine besondere Stellung: "So klein Graz auch ist, es hat mich zu einer internationalen Künstlerin gemacht", sagt Andrea Scrima und erklärt, dass es hier eine überdimensionierte Proportion an Avantgarde-Kunst und -Literatur gebe. In diesem Sinne sei die Ausstrahlung der Stadt mit all den Museen und der bildenden Kunst absolut überregional und international.

Scrima Zeichen-Serie "Loopy Loonies" thematisiert im Kontext der politischen Geschehnisse in den USA die verloren gegangene Fähigkeit, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. | Foto: Jorij Konstantinov
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Im Moment arbeitet die Künstlerin und Schriftstellerin an zwei Werken, wovon im Laufe ihrer Stadtschreiberinnen-Zeit hier mindestens eines zu Ende gebracht werden soll. Die darin behandelten Themen reichen bis ins 15. Jahrhundert ihrer eigenen Familiengeschichte zurück und sind im Risorgimento Süditaliens zu finden. In jenem Buch – für dessen Idee Scrima das Stipendium des Grazer Kulturamts erhielt – wird es neben der Internetrecherche nach den Spuren der Vorfahren auch um die mit den politischen Folgen der Risorgimento verbundenen Ursachen der großen Immigrationswellen von Süditalien in die USA gehen. Parallel dazu wird aus den vielen Geschichten und Schicksalen, von denen sie in diesem Rahmen zu erzählen weiß, eine Essaysammlung entstehen. Unter dem Titel "Displaced" wird sie sich so dem großen Thema der Entwurzelung annehmen und eine Art Zusatzmaterial zum Buch veröffentlichen.

Von Menschenschicksalen und Identitäten

Zur Idee zu "Displaced" dürfte Andrea Scrima jedoch auch dank eines Gesprächs mit einer in Graz lebenden Dame über deren Slowenische Familiengeschichte gekommen sein. "Ich merke, dass das die Geschichten sind, die mich am meisten interessieren: Menschenschicksale. Denn Menschen werden ständig hin- und hergeschubst", erzählt Scrima. Das Thema könnte mit Blick auf das Leid der Ukrainischen Community sowie die Kriege im Sudan oder Jemen nicht aktueller sein.

"Manchmal wird man ausgesucht, um die Geschichte von jemandem zu schreiben", stellt die Schriftstellerin im Gespräch fest.  | Foto: Jorij Konstantinov
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"Wir können uns das, glaube ich, gar nicht vorstellen: dass man einfach das nimmt, das man gerade hat und flieht. Aber unsere Vorfahren haben diese Erfahrung gemacht. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass uns eine Erinnerung daran in den Knochen steckt."
Andrea Scrima, Grazer Stadtschreiberin 2023/24

Rückt Geschichten in einen Kontext

Von ihrer Arbeit werden wir uns im Übrigen keine klassischen Chroniken der Stadt aus dem Heute erwarten können. Scrima arbeitet mit essayistischen und poetischen Formen der Literatur, in denen sie Schicksale und Geschichten von Menschen aufgreift und in historischen und politischen Rahmen kontextualisiert.

Das was sie wahrnimmt, muss häufig erst verarbeitet werden, sich setzen, – "manchmal erscheinen mir die Sachen klarer in der Erinnerung" – damit daraus eine Geschichte entstehen kann. So kommt es in Andrea Scrimas Arbeiten meist zeitversetzt zu Erzählungen, die sie beispielsweise im Jetzt erlebt. Wie sie also gerade, in Graz lebend, am Buch über Süditalien schreibt, kann sich Scrima sehr gut vorstellen, dass die Geschichten, die ihr hier unterkommen, ebenfalls im Nachhinein niedergeschrieben und aufgegriffen werden.

Am 2. Oktober wird Andrea Scrima, die sich für ihre Zeit in der Stadt als Grazerin versteht, im Literaturhaus offiziell willkommen geheißen.

Zur Person: Andrea Scrima

Andrea Scrima ist eine visuell arbeitende Künstlerin. Während sie mit ihren Zeichnungen tatsächliche Bilder herstellt, spielt sie in ihren schriftlichen Werken mit den Bildern, die in den Köpfen der Menschen entstehen, die diese lesen. Deutlich wird das beispielhaft in ihrem Roman "Kreisläufe", in dem sie "durch fragmentiertes Erzählen versucht , im Schreiben der Funktionsweise des Gedächtnisses nahezukommen". (Einen Link zur Buchkritik findest du unten in der Infobox.)

Um ihr Schriftstellerinnenleben aufrecht zu erhalten, arbeitet Scrima als Übersetzerin. Weiterhin ist sie als bildende Künstlerin tätig und ehrenamtliche Herausgeberin der englischsprachigen Literaturzeitschrift StatORec, worin übersetzte Texte  und Literaturkritik einen Platz finden und eine Nische füllen. | Foto: Jorij Konstantinov
  • Um ihr Schriftstellerinnenleben aufrecht zu erhalten, arbeitet Scrima als Übersetzerin. Weiterhin ist sie als bildende Künstlerin tätig und ehrenamtliche Herausgeberin der englischsprachigen Literaturzeitschrift StatORec, worin übersetzte Texte und Literaturkritik einen Platz finden und eine Nische füllen.
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Von Graz ist Andrea Scrima schon jetzt beeindruckt, nicht nur wegen der umfangreichen Kunst- und Literaturszene, sondern auch von der gut erhaltenen Altstadt und nicht zuletzt von der Offenheit der Menschen. Mit Blick auf das Erscheinungsbild der Städte stellt sie fest, dass der Bezug zur Geschichte in Österreich ungestörter zu sein scheint. Während in Deutschland nach den Kriegen alles nahezu perfekt wiederhergestellt wurde und "zu einer Kopie von sich selbst geworden ist", wie die Scrima konstatiert. Identitätsfragen beschäftigen die Schriftstellerin sehr, sodass sie hier unter anderem der Frage nach dem für Österreich geschichtlich-geografisch anders gewachsenen Kulturraum nachgehen möchte. 

Links und mehr Informationen

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