Mit alten Planen in die Welt hinaus: heidenspass-Gründerin Silvia Jölli im Gespräch

- Ein ausgezeichnetes Frühstück im „Parks“ in der Griesgasse genossen Silvia Jölli von „heidenspass“ und WOCHE-Redakteur Robert Bösiger. Das Bio-Essen und das freundliche Service machen Lust, wieder zu kommen.
- Foto: prontolux
- hochgeladen von Robert Bösiger
Das Erfolgskonzept, Taschen aus alten Planen zu produzieren und dabei arbeitslosen Jugendlichen Halt zu geben, wird bald nach Berlin exportiert.
Taschen aus alten Planen und die Beschäftigung von arbeitslosen Jugendlichen. Diese Geschäftsidee mit sozialem Impetus verfolgt Silvia Jölli schon ihr halbes Leben. Nachdem sie bei der Caritas das „Tagwerk“-Projekt ins Leben rief, machte sie sich mit Kollegen im Jahr 2006 selbstständig, „heidenspass“ war geboren.
Die WOCHE traf sich mit der geschäftsführenden Obfrau zu einem Business-Brunch im „Parks“ und sprach mit ihr über das Geschäftsmodell „Sozial-Hybrid“, die Jugendarbeitslosigkeit in Graz und den Sprung ins Ausland.
WOCHE: Wie ist die Idee zu „heidenspass“ entstanden?
Jölli: Aus der Idee heraus, mit Jugendlichen anders arbeiten zu müssen, als üblich. Keine Zwangsbeglückung, sondern nachhaltige Motivation. Außerdem sollten die Taschen marktfähig sein.
Das Geschäftsmodell ist seit der Firmengründung 2006 das gleiche?
Ja, wir sind ein „Sozial-Hybrid“-Unternehmen. Das heißt, wir produzieren und verkaufen, andererseits beschäftigen wir auch Jugendliche, die nirgendwo sonst unterkommen.
Das heißt, Sie werden auch von öffentlicher Hand gefördert. In welchem Ausmaß?
Das Verhältnis ist 70:30. Zu 70 % bekommen wir Förderungen von der Stadt Graz, dem Land und dem „Sozialministerium Service“. 30 % erwirtschaften wir uns selbst durch den Verkauf.
Was habe ich als Grazer Steuerzahler davon, dass ihr arbeitslose Jugendliche beschäftigt?
Jugendarbeitslosigkeit ist sozialer Sprengstoff. Jugendliche, die sich nicht gebraucht fühlen, neigen dazu, salopp formuliert, Blödsinn zu machen. Wenn man nicht sehr früh beginnt, das zu verhindern, schickt man immer mehr in die „Mindestsicherungs-Karriere“. Außerdem wissen wir aus der Forschung, dass man aus dieser Schiene nur sehr schwer raus kann.
Vom volkswirtschaftlichen, monetären Aspekt her ergeben sich daraus außerdem unglaubliche Folgekosten für das System.
Welche Jugendlichen arbeiten zurzeit bei „heidenspass“?
Das sind Jugendliche, die sehr „institutionsskeptisch“, somit auch beim AMS nicht angedockt sind. Die Zielgruppe ist sehr heterogen. Viele sind orientierungslos, auch Schulabbrecher, manche haben ein Drogenproblem. Aktuell arbeiten auch junge Syrer mit Arbeitserlaubnis bei uns, insgesamt sind 35 junge Menschen bei uns angemeldet.
Das heißt, ihr habt einen direkten Sensor, wie es um die Jugendarbeitslosigkeit in Graz bestellt ist ...
Als niederschwellige Einrichtung sind wir nah an den Menschen. Momentan spüren wir die Flüchtlingswelle aus Syrien. Dabei gibt es zu wenige Angebote zur Beschäftigung dieser Menschen, unser Tagesangebot wird von ihnen sehr gerne angenommen.
Wo liegt hier der Handlungsbedarf für Stadt und Land? Was wäre eine sinnvolle Maßnahme?
Menschen brauchen eine sinnvolle Beschäftigung! Die brennen vor Tatendrang und wollen sich einbringen. Hinsichtlich Integration, Abbau von Vorurteilen kann man mit einfachen Projekten viel erreichen.
Zum Beispiel?
Gemeinnützige Arbeit, Arbeit mit älteren Personen. Eine solche Beschäftigung ist auch ein Signal, dass sie willkommen sind. Jede Art von Begegnung macht Sinn, Konversationskreise, Sport, gemeinsame Feste. So bringt man Leute zusammen! Das Projekt „mentorus“ wäre ein Beispiel, dabei wird mit Asylwerbern regelmäßig Fußball gespielt.
Und wie geht’s mit „heidenspass“ weiter?
Wir sind im Moment in konkreten Verhandlungen mit einem sozialen Träger in Berlin. Wir wollen unser Konzept mittels „Social Franchising“ dorthin exportieren. Die Partner in Berlin arbeiten unabhängig mit unserer Marke.
Zur Person
Silvia Jölli
Geboren 1974 in Hallein
Ist verheiratet, hat drei Kinder
Ausbildung: Sozial- und Berufspädagogin und Marketing-Managerin
Bei der Caritas baute sie das Taschen-Projekt „Tagwerk“ auf.
Viele Jobs hatte sie davor, in ihrer „unruhigen Jugend“. War „kein braves Mädel“.
Gründung und geschäftsführende Obfrau von „heidenspass“ seit 2006
Schätzt die „extrem sinnvolle und abwechslungsreiche Tätigkeit“ an ihrem Beruf.
Als Privileg sieht sie es, ihren vier Monate alten Sohn in die Arbeit mitnehmen zu können.
Beim Tango Argentino mit ihrem Mann entspannt sie sich am besten, und beim Lesen in der Hängematte. Aktuelle Lektüre: „Wider den Gehorsam“ von Arno Gruen
Zur Firma
heidenspass
Werkstatt und Shop: Griesgasse 8, 8020 Graz
Gegründet 2006 von Silvia Jölli, Klaus Gregorz und Heidrun Härtel, zehn Mitarbeiter
Entwicklung, Design und Produktion von vor allem Taschen und Schmuck aus gebrauchten Materialien (Upcycling)
Materialien: zumeist Fahrradschläuche und Planen (z. B. vom Songcontest)
Beschäftigungsprojekt für Jugendliche ohne Arbeit, die in der Regel noch nie in der Arbeitswelt Fuß gefasst haben.
www.heidenspass.cc
* Hier lesen Sie weitere Interviews in unserer Serie "Business-Lunch".



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