Bundespräsident Heinz Fischers: Weihnachten – Ein Gesamtkunstwerk

Was ist meine denkwürdigste Weihnachtserinnerung? Wenn ich darüber nachdenke, gelange ich zu dem Ergebnis, dass es diese einzelne, ganz besondere und alle anderen Erinnerungen überstrahlende Weihnachtserinnerung nicht gibt. Vielleicht sollte ich es anders und positiver ausdrücken: Weihnachten ist über die Jahre ein Gesamtkunstwerk. Meine stärkste Weihnachtserinnerung ist die Erinnerung an die Summe meiner Weihnachtserinnerungen oder an Elemente, die in den meisten meiner Weihnachtserinnerungen enthalten sind.

Ein zentraler Teil meiner Weihnachtserinnerungen ist die Erinnerung an meine Eltern: An meine Mutter, die Weihnachten sehr wichtig genommen hat, die in den Tagen vor Weihnachten sehr beschäftigt war, die sich am Weihnachtsabend besonders sorgfältig gekleidet hat, die meine große Neugierde und Ungeduld am Weihnachtstag und insbesondere am Weihnachtsnachmittag mit Engelsgeduld dämpfte und besänftigte. Und die zu Weihnachten – und praktisch nur zu Weihnachten – die Mandoline zur Hand nahm und meinen Vater begleitete, wenn er auf der Geige oder auf der Gitarre Weihnachtslieder spielte. Auch mein Vater hatte am Weihnachtstag eine besondere Rolle. Er war den ganzen Tag zu Hause, aber er entschwand vorübergehend – und abwechselnd mit meiner Mutter – unseren Blicken. Irgendwie spürte ich, dass er die Verantwortung dafür trug, dass es zu Weihnachten gerecht zuging. Das war insbesondere wichtig, als meine jüngere Schwester ebenso „Wünsche ans Christkind“ formulierte, wie ich.
Die ersten Weihnachten, an die ich mich erinnere oder zu erinnern glaube, waren Weihnachten im Krieg: Weihnachten 1942, da war ich knapp über vier Jahre und meine Schwester knapp elf Monate alt. Weihnachten 1943, da musste das Gewand ganz exakt geordnet bereitliegen, weil da gab es schon die Möglichkeit eines Flieger- und Bombenalarms. Und Weihnachten 1944 feierten wir in einem Zimmer eines kleinen Bauernhauses in der niederösterreichischen Gemeinde Loich, weil Mütter mit kleinen Kindern wegen der Bombengefahr vielfach außerhalb Wiens „einquartiert“ wurden. Das war auch bei meiner Mutter, meiner Schwester und bei mir der Fall.

Die Weihnachten 1945 und 1946 waren wahrscheinlich für das Christkind beziehungsweise für meine Eltern die Schwierigsten, weil es wenig zu essen und fast nichts zu kaufen gab. Was wir als riesige Erleichterung empfanden, war die Tatsache, dass der Bruder meines Vaters zum öffentlichen Verwalter einer Mühle in Niederösterreich ernannt worden war und meinen Eltern daher Mehl und sogar Brot schicken konnte. Das „Onkel-Ernst-Brot“ spielte auch auf dem Weihnachtstisch eine wichtige Rolle.

Bei uns zu Hause wurde zu Weihnachten während meiner gesamten Kindheit gesungen und gelegentlich auch vorgelesen. Eines Tages – ich weiß nicht mehr, welches Weihnachtsjahr das war – wurde das Andersen-Märchen „Das Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ vorgelesen. Das war die Geschichte eines armen kleinen Mädchens, das in der Weihnachtsnacht kein warmes zu Hause hatte, sondern diese Nacht auf der Straße bzw. in einem entsetzlich kalten Haustor verbringen musste. Es hatte ein paar Schwefelhölzchen bei sich und zündete eines nach dem anderen an, um sich ein bisschen zu wärmen und vom Christkind zu träumen. Nachdem das letzte Schwefelhölzchen verglüht war, wurden die Träume des kleinen Mädchens immer schöner und wunderbarer und am nächsten Morgen wurde es erfroren und tot aufgefunden.

Der Weihnachtsabend änderte natürlich seinen Charakter, als meine Frau und ich selbst Kinder hatten und die Rolle unserer Eltern übernehmen mussten oder durften. Vieles, was mir als Kind zu Weihnachten Freude gemacht hat, versuchten wir, jetzt der nächsten Generation zu vermitteln. Tatsächlich ist Weihnachten für mich bis heute – wo wir schon Enkelkinder haben – ein schönes und besinnliches Fest geblieben. Und so wird es hoffentlich über viele Generationen hinweg sein.

Information zu den Herausgeberinnen und dem Buch

Barbara Brunner

Barbara Brunner ist geboren in Ried im Innkreis, aufgewachsen in Braunau am Inn, Studium der Slawistik und Romanistik in Salzburg, zehn Jahre im Residenz Verlag Salzburg zuständig für Presse und Lizenzen, dann Marketingleiterin im Bundesverlag Wien, seit 1994 lebt sie in Salzburg und ist als selbständige PR-Beraterin für Buchverlage tätig.

Caroline Kleibel

Die besten Geschichten schreibt das Leben, ist Caroline Kleibel überzeugt. Nach einem AFS-Jahr und einem denkwürdigen Weihnachtsfest unter einem mit Popcorn geschmückten US-Christbaum studierte die gebürtige Innsbruckerin in Salzburg Kommunikationswissenschaften und Psychologie. Stationen beim ORF und als Pressesprecherin der Universität folgte die berufliche Selbstständigkeit. Seit nunmehr 20 Jahren ist sie erfolgreich als freie Journalistin für Zeitungen und Zeitschriften, sowie als Buchautorin und Biografin tätig. Aus ihrer Feder stammen literarische Miniaturen über Prominente wie Almaz Böhm, Angelika Kirchschlager, Hans Hass oder Karl Merkatz ebenso wie die Biografien von Herbert Fux und jene der Trapp-Köchin Johanna Raudaschl, ergänzt durch zahlreiche private Erinnerungsbände über Menschen, die nicht im Rampenlicht stehen

Informationen zum Buch

Titel des Buches: Steht das Christkind vor der Tür?: Das Licht ins Dunkel Weihnachtsbuch
ISBN: 978-3-7025-0763-3
Umfang: 144 Seiten
Preis: € 22,00

1 Kommentar

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN


Aktuelle Nachrichten aus Österreich auf MeinBezirk.at

Neuigkeiten aus deinem Bezirk als Push-Nachricht direkt aufs Handy

MeinBezirk auf Facebook: MeinBezirk.at/Österrreichweite Nachrichten

MeinBezirk auf Instagram: @meinbezirk.at


Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.