Die Symptomgesellschaft - Was fehlt ist Ethik als Unterpfand

Ein beliebter Akademikerwitz beginnt so: Professor zum Schüler: "Und? Wissen Sie schon, was Sie nach Ihrer Matura studieren möchten?" Der Schüler antwortet: "Wirtschaftsethik." Daraufhin der Professor: "Nun, Sie müssen sich schon für eines entscheiden."
Was Ethik ist, ist schwer zu beschreiben: jeder lebt sie im Alltag, doch niemand weiß so recht, was sie ist. Die verwirrenden Erklärungen der Stammtischphilosophen an den Universitäten führen letztendlich dazu, daß man es als Normalsterblicher schließlich bleiben läßt und seinem Alltagsgeschäft nachgeht. Doch gerade hier hat Ethik ihr Zuhause. (Teil 2)

Ein kleiner Crashkurs in Sachen Ethik anhand eines Streitfalles: Herr Bauer hat eine eingezäunte Wiese mit Freilandhendl. Ein rostiges Eisentürl lehnt am Eingang und versperrt den Zutritt. Sein Nachbar Maier kommt ab und zu gerne auf ein Plauscherl rüber und lehnt sich an das rostige Türl. Das Tor fällt um und erschlägt eines der Hendeln. Herr Maier entschuldigt sich, doch Bauer fordert einen überhöhten Schadensersatz. Der Fall geht vor Gericht. Ethik ist nun der Prozeß, der zum Urteil führt, auf das man sich einigt. Pocht Herr Maier auf seine Unschuld, da ihm kein Vorsatz nachzuweisen ist, und Herr Bauer akzeptiert die Begründung, ist der Freispruch ethisch in Ordnung. Pocht Herr Bauer auf seinen Schaden, den er jedenfalls erleidet, und Herr Maier akzeptiert die Begründung, ist der Schuldspruch ethisch in Ordnung. Fordert Maier eine Reduzierung der Strafzahlung und willigt Bauer ein, ist auch dies ethisch in Ordnung. Beharren beide auf ihren Standpunkten und entscheidet das Gericht zugunsten einer der beiden und beide akzeptieren den Richterspruch, ist das Urteil ebenfalls ethisch in Ordnung. Geht die andere Streitpartei in Berufung, ist die Fortführung ethisch in Ordnung. Ethik ist demnach vereinfacht gesagt die Integration aller Standpunkte und das Einverständnis aller beteiligten und betroffenen Parteien, die in einem Entscheidungsfindungsprozeß involviert sind. Unethisch an diesem Beispiel ist bloß, daß es sich nur um das Tier als Schadenssumme, nicht aber um das verendete Tier als Lebewesen dreht.
Daß Ethik vor Tieren und der Mutter Erde nicht halt macht, zeigt das Engagement von Tier- und Umweltschützern, die quasi als Anwalt jener ohne Stimmrecht fungieren. Allerdings: Mutter Erde weiß sich auch ohne Advokaten mittels Umweltkatastrophen sehr wohl selbst zu helfen, wenn es wir Menschen mal wieder zuweit treiben.

Ist unsere österreichische Gesellschaft ethisch oder unethisch
Wenn nun Bürger raunzen und dennoch jeden Tag pünktlich zur Arbeit erscheinen, stimmen sie dann dem Lauf der Gesellschaft zu oder nicht? Ist die Gesellschaft ethisch?
Spätabends im Big Ben am Leibnitzer Hauptplatz treffe ich nach 10 Jahren einen alten Mitschüler wieder; er ist Programmierer geworden. "Der Beruf in dem ich mich wohl fühle muß erst erfunden werden", wußte er schon während seiner Schulzeit an der HTL Kaindorf. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Warum er dennoch arbeiten geht, frage ich. "Ich gehe arbeiten, weil es das geringere Übel ist. Ich reise gerne. Ich möchte auf meinen Urlaub nicht verzichten. Dazu brauche ich Geld."

Ethik? Pffft. Kauf' ich dir ab!
Dies ist ein ethischer Kompromiß zwischen ihm und der Gesellschaft, dem beide zugestimmt haben. Ein Kompromiß, wie ihn viele zustimmen. Andere Gründe mögen der Kredit fürs Eigenheim, die Versorgung der eigenen Familie oder die Alimentszahlungen in vier verschiedenen Währungen sein, die zum Arbeiten wider Willen verpflichten, doch das ist nebensächlich. Der zentrale Punkt um den es sich dreht ist, daß jeder Mensch sich nach Abwägung aller Optionen FREIWILLIG zu dem entscheidet, was er oder sie tut - und die Verantwortung für die Konsequenzen trägt, die aus der Entscheidung erwachsen. Wenn Gesellschaft die Summe aller Angehörigen und ihrer freien Entscheidungen ist, ist Gesellschaft IMMER und jederzeit ethisch und moralisch in Ordnung. Was ist also der Grund, warum es dennoch so viele Unzufriedene in unserer Überflussgesellschaft gibt, wenn die Gesellschaft grundsätzlich in Ordnung ist? Es scheint, als vergessen wir auf die Interessen der wichtigsten Partei beim Abschließen dieses Gesellschaftsvertrages: Nein, nicht auf das Team Stronach, sondern auf unsere! Doch was ist damit gemeint?

Vergessen wir in Wahrheit auf unsere Interessen ohne es zu merken? Liegt darin die Lösung? Sieht so das ideale Leben aus, das uns die Gesellschaft derzeit bietet? Geht da noch mehr? Ist Spaß an der Arbeit nur für die Wenigen in den höheren Etagen vorbehalten? Wie geht es eigentlich jenen, die es in unseren Augen 'geschafft' haben? Professoren, Ärzte, Direktoren, Politiker, Unternehmer, Rechtsanwälte, Aussteiger. Sind Sie wirklich die glücklichen Privilegierten unserer Gesellschaft? Oder haben sie mit der gewöhnlichen Arbeiterin oder dem Angestellten mehr gemein als man auf den ersten Blick erkennen kann? Und vorallem: könnte ein neues Wirtschaftszeitalter anbrechen, wenn die Freude an der Arbeit auch zum letzten Hilfsarbeiter zurückkehrt? Mehr im Teil 3 dieser Berichterstattung.