Zivilcourage im Alltag
Der Gaffer & das verlorene Kind in Fußgängerzone

Symbolphoto | Foto: Pixabay

Das ZDF hat am 29.11.2023 eine neue Ausgabe der Traditionssendung Aktenzeichen XY veröffentlicht. Neben den Fällen wurden auch couragierte Menschen vorgestellt, die mit einem XY-Preis ausgezeichnet wurden. Die beeindruckenden Handlungen, man schaut ihnen zu und fragt sich, wo es in Österreich solche Menschen gibt. Und wie würden diese Fälle wohl in Österreich ausgehen? Da erinnere ich mich an eine Situation zurück und begebe mich auf die Suche nach Anlaufstellen und Organisationen, die in Österreich Sicherheit und Zivilcourage fördern. Hier mein Beispiel mit der anschließenden Recherche.

Das verlorene Kind - Ein harmloses Beispiel?

>>Ein weinendes Kind in der Fußgängerzone
Ein schöner sommerlicher Tag in der pulsierenden Fußgängerzone Innsbrucks. Kaum 200m voraus ist es aber hektisch. Kommt man näher, erkennt man ein Kind, das sich bitterlich weinend durch die Menge kämpft. Der Bub - ein Knirps von 4-5 Jahren - hat sich auf seinem Roller verlaufen und findet seine Mutter nicht mehr. Die Erwachsenen halten ihn immer wieder an, versuchen ihm Zuckerl, Taschentuch zuzustecken, sie versuchen ihn zu trösten. Eine bizzare Szene, wenn man die Verzweiflung im Gesicht des Kindes liest: Diese großen fremden Menschen, die sich über den Jungen bücken, sind unheimlich. Sie sprechen eine komische Sprache und probieren es dann auch noch mit einer weiteren dämlichen Sprache und verstehen dann erst recht nichts. Eine Urlauberin aus Deutschland erkennt ihre Grenzen und sucht die kürzlich patroullierende Polizei. Doch sie sieht sie nirgends und wählt entnervt 133.

>>Die erwachsene Gafferei 
Da versammelt sich bereits eine Menschentraube aus Gaffern und gut meinenden Helfern um sie und das Kind. Manchen ist es bald zu wenig action und sie ziehen weiter. Ich gehe in die Hocke, um dem Kind keine Angst zu machen und versuche herauszufinden, ob auf dem Roller ein Name oder ein anderer Hinweis steht, mit dem man seine Angehörigen suchen könnte. Er verdeckt krampfhaft sein Gesicht, will sich losreißen und landet doch wieder bei mir, da die Gaffer ihm den Weg versperren und damit noch schlimmere Verzweiflungsschreie auslösen. Zwei Polizeibeamte sind inzwischen eingetroffen und fragen unaufgeregt, was wir von dem Buben wissen. Ich stehe auf und erkläre, was bisher geschah. Der Bub kuschelt sich mittlerweile bange zu mir und umklammert förmlich meine Beine, sodass ich nicht einen einzigen Schritt gehen kann. Er versteckt sich vor der neugierigen Meute.

>>Der Ober-Gaffer
Aus der Menge sticht plötzlich ein Mann hervor, der eigentlich alles besser wissen müsste. Ein Radfahrer um die 60 zuckt sein Handy und beginnt Fotos zu machen. Mir ist unverständlich, wie Beamte in dieser Situation seelenruhig fragen können, welche Sprache der Bub denn tatsächlich spricht. Ich unterbreche das Gespräch und fordere den Frechling mit strenger Stimme auf: "Löschen Sie sofort die Fotos!" Es folgt eine kurze groteske Wortschießerei:

"Ich mach' ja nix.
"Löschen Sie sofort die Fotos, hab ich gesagt!!!" wiederhole ich noch nachdrücklicher.
Er schaut kurz auf den Display, da lege ich schon nach:
"Oder werden Sie gern beim Weinen von wildfremden Leuten abgelichtet? Und wehe, ich finde das Foto auf Facebook!!
"Schauen'S, i hab's scho g'löscht.", hält er sein Handy mit dem Display zu mir. 
"Das interessiert mich nicht. Sie wissen hoffentlich, wie Löschen geht!" - entgegne ich sauer.
"Aber schauen'S, hab' ich wirklich!"
"Nix werd ich schau'n, Sie habn ja das Foto gmacht." und schüttele den Kopf. Am liebsten würde ich ergänzen:
'Oder warten's bis das Kind bei Ihnen den Antrag auf Löschung stellt?

Der Mann wird bescheidener, steckt sein Handy weg und beginnt sich peinlich bemüht nach dem Befinden des Buben zu erkundigen. Die Menge rundherum schluckt ein wenig und wird langsam kleiner.

>>Die mütterliche Rettung 
Da bahnt sich eine Mutter den Weg zu uns. Sie sucht schon eine Weile nach ihrem Kind. Von jemandem dürfte sie von uns erfahren haben und winkt besorgt von Weitem. Mutter und Kind sind wieder zusammen. Dem Kind steht die Verzweiflung aber auch danach ins Gesicht geschrieben. Es dauert eine Weile bis es sich der Mutter zuwendet und ihr erst nach einigen bösen Blicken die Hand gibt. Die beiden verschwinden dann in der Fußgängerzone. 

>>Ende gut - alles gut?
Die Situation war nach 15-20 Minuten vorbei und trotzdem hinterließ sie ein mulmiges Gefühl. Nichts ist gut. Es ist erschütternd, dass sich in der großen Menge nur eine Person fand, die ein echtes Engagement zeigte! Und selbst diese Person war kein Österreicher. Dabei ist es eine harmlose Situation, in der es nicht um Leben und Tod geht, keine Erste Hilfe oder eine Heldentat notwendig ist und wo selbstverständlich sein sollte, einfach behilflich zu sein. Auch ich habe ja nichts Übermenschliches getan. Was diese Erfahrung hinterlässt ist die Erleichterung, dass eben nichts Schlimmeres passiert ist. Und dass man nicht selbst betroffen war. Denn man bekommt die Angst, sich auf gaffende Menschen verlassen zu müssen, wenn einem selbst etwas zustoßen würde. Man zweifelt, ob man die Gafferei im Ernstfall überleben würde.
Offenbar braucht es auch in Österreich Auszeichnungen für Zivilcourage. Preise und Anerkennung für couragiertes Handeln in weitaus gefährlicheren Situationen und mit weitaus gravierenderen Folgen als es in meinem harmlosen Beispiel der Fall war.

Wertschätzung für Zivilcourage in Österreich 

  • Österreichweit & von offizieller Seite

KSÖ - Das Kompetenzzentrum Sicheres Österreichvergibt jährlich den Sicherheitpreis in verschiedenen Kategorien - u.a. an Privatpersonen für couragiertes Handeln. In MeinBezirk.at wurde z.B. 2022 über 18 beherzte Helfer aus Steiermark berichtet.

Staatspreis für freiwilliges und ehrenamtliches Engagement zeichnet u.a. zivilgesellschaftlichen Einsatz und freiwilligen Projekte z.B. zu Inklusion und Partizipation aus. 

  • Themen- & Zielgruppenspezifische Preise von verschiedenen Organisationen 

Ute-Bock-Preis für besondere Zivicourage an Personen und Organisationen.

Trau Di! - Der Kinderrechtepreis von Kinderbüro Steiermark für Ideen und Projekte von Kindern und Jugendlichen.

Courage-Preis für aktuelle Berichterstattung an Journalist:innen

Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln 

Grazer Menschenrechtspreis des Friedensbüros Graz wird alle 2 Jahre an Personen und Organisationen für Ihr Einsatz für Toleranz und Versöhnung vergeben.

Athena-Preis der WKO für soziales Engagement und Zivilcourage von Lehrlingen der Fahrzeugtechnik (letzte Ausschreibung war 2021).

  • Weiterführend

Konkrete Berichte von meinbezirk.at zum Thema Zivilcourage 

Zivilcourage online von
Mauthausen Komitee veröffentlicht Held:innen-Geschichten zu Hass im Netz und bietet Workshops zum Thema an.

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