Sprecherin für Menschenrechte
Gudrun Kugler über die Ukraine und Lesbos

Norbert Sieber und Gudrun Kugler vor dem Sattelschlepper voller Spenden für die Ukraine. | Foto: Gudrun Kugler
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  • Norbert Sieber und Gudrun Kugler vor dem Sattelschlepper voller Spenden für die Ukraine.
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In ihrer politischen Tätigkeit beschäftigt sich die Wiener Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler (ÖVP) stark mit den Themen Menschenrechte und Flucht. Zuletzt war sie selbst an zwei aktuellen Brennpunkten vor Ort.

ÖSTERREICH. Die österreichische Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler (ÖVP) fungiert als Bereichssprecherin für Menschenrechte und Heimatvertriebene. Zudem ist sie Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Zuletzt war sie in ihrer politischen Funktion an der polnisch-ukrainischen Grenze sowie auf der griechischen Insel Lesbos.

Frau Kugler, Sie waren vor Kurzem an der Grenze zwischen Polen und der Ukraine. Welche Eindrücke haben Sie dort gewonnen? 
GUDRUN KUGLER: Frauen und Kinder, die erschöpft sind, nach langem Fußmarsch, langem Warten, mit Plastiksäcken in der Hand, die alles Verlassen haben – ihr Leben, ihren Alltag, Berufe, Schulen, Freunde – ihre Männer, Söhne und Väter: Das ist der stärkste Eindruck. Der Schock ist ihren Gesichtern anzusehen. In Polen werden sie willkommen geheißen: Soldaten übernehmen das Gepäck, Hausfrauenvereine die Erstverpflegung, ein Tierarzt gibt gratis Pflichtimpfungen für Haustiere aus. Das ist heilsam. Alle packen mit an. Es funktioniert, weil Kirche, Private und Staat auf regionaler Ebene unkompliziert zusammenarbeiten. Wir sprachen mit einem polnischen Priester, der seit dem ersten Tag mit Nahrungsmitteln jeden Tag in die Ukraine fährt, um die Wartenden zu versorgen. Einen anderen haben wir in seinem Pfarrheim besucht, wo er 40 Waisen aufgenommen hat, die mit einer einzigen Betreuerin gekommen waren. Da wird nicht lange gefragt, sondern einfach geholfen.

Polnische Soldaten helfen beim Tragen. | Foto: Gudrun Kugler
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Ich war im Rahmen eines Delegationsbesuchs der parlamentarischen Versammlung der OSZE dort und fuhr gemeinsam mit meinem Kollegen Abg. Norbert Sieber mit einem Sattelschlepper mit 22 Tonnen Sachspenden in das Grenzgebiet. Je näher wir zur Ukraine kamen, desto mehr Hilfstransporte aus unterschiedlichsten europäischen Ländern sahen wir.
 
Sie haben also auch viel Solidarität gesehen. Wie sehr helfen die Spenden den flüchtenden Menschen?
Die aktuellen Sachspenden sichern das Überleben von vielen Menschen. Es werden unterschiedlichste Dinge gebraucht – Essen, Medizin, Verbandsmaterial, Hygieneartikel, etc. Mit den Spenden meiner Kollegen des ÖVP-Parlamentsklubs haben wir in den letzten Tagen einen weiteren Transport, diesmal mit Babynahrung, in die Ukraine gebracht.
Unsere Hilfsbereitschaft darf nicht abreißen, auch wenn sich die schreckliche Situation in unseren Köpfen normalisiert. Das Böse kann nur durch das Gute begrenzt und überwunden werden. 
 

Schreckliche Berichte

Nun scheint es, dass sich die russischen Truppen aus einigen Regionen zurückziehen. Dabei gibt es auch Berichte über Gräueltaten. Wie schätzen Sie diese ein? 
Die schlimmsten Dinge wissen wir wahrscheinlich gar nicht. Ein ukrainischer Freund berichtete mir, dass er sieben Frauenleichen gesehen hat: vergewaltigt und dann gehängt. Es ist ein unvorstellbarer Gedanke, dass so etwas im 21. Jahrhundert in Europa geschehen kann. Kriege gehören ins Geschichtsbuch, nicht in unsere Zeit. In einem parlamentarischen Treffen berichtete uns ein Abgeordneter aus Kiew unter Tränen: ‚Ein verwundeter Fünfjähriger: ‚Mami, warum tut das so weh? Ich habe doch nichts angestellt, oder?‘ Zehn Minuten später war er tot.‘ Dieser Krieg muss sofort beendet werden.

Vor ein paar Wochen war dieser Ort an der polnisch-ukrainischen Grenze noch ein Einkaufszentrum, heute ist er Erstaufnahmezentrum. | Foto: Gudrun Kugler
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Sie haben nach Ihrer Reise in die Grenzregion auch von Aktivitäten von Menschenhändlern berichtet. Wie nutzen diese Organisationen das Leid der Menschen aus? 
Es gibt vermehrt Berichte von verschwundenen Frauen und Kindern, denen Unbekannte Wohnung, Job, Mitfahrgelegenheit angeboten haben. Man geht von Netzwerken von Menschenhändlern aus, die die Geflüchteten meist zur Zwangsprostitution entführen. Mittlerweile wurden Vorkehrungen getroffen: Die Grenzländer registrieren private Helfer. Frauen werden angehalten, Nummernschilder abzufotografieren und an Vertraute zu schicken und niemals ihren Pass aus der Hand zu geben. Österreich schickt ein automatisches Warn-SMS an alle ukrainischen Nummern, die in ein österreichisches Mobilfunknetz eintreten und betreibt mobile Informationsstellen an den Bahnhöfen.
 

Auf Lesbos gibt es andere Voraussetzungen

Zudem waren Sie auch auf Lesbos und haben sich ein Bild der Lage gemacht. Auch hier gibt es nach wie vor zahlreiche Flüchtlinge. Welche Eindrücke haben Sie gewonnen? 
Wir helfen dort auf andere Weise: Aus der Ukraine kommen hauptsächlich Frauen und Kinder, die vor einem Krieg in ihre Nachbarländer fliehen, legal einreisen, gültige Dokumente mithaben und nur vorübergehenden Schutz brauchen. Sie sind oft gut ausgebildet und leicht integrierbar.  
Die Männer an den griechischen Außengrenzen kommen aus entfernteren Ländern, wie Somalia oder Pakistan, suchen meist eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen, überqueren die Grenze illegal mit Hilfe krimineller Banden und haben keine Dokumente mit sich. Sie sind meist kaum ausgebildet und die Integration ist eine Herausforderung. Es gibt viel Not auf der Welt. Österreich leistet seine Unterstützung jeweils einer in den Umständen angemessenen Weise.

Kugler im Gespräch mit Somaliern, die im Lager auf Lesbos leben. | Foto: Gudrun Kugler
  • Kugler im Gespräch mit Somaliern, die im Lager auf Lesbos leben.
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Das Konzept der Hilfe vor Ort wird angesichts der Bilder aus den Lagern auf Lesbos immer wieder kritisiert, wie sehen Sie die Debatte? 
Die Situation in den griechischen Lagern hat sich deutlich verbessert: Die EU-Außengrenze wird geschützt, die Lager sind kaum ausgelastet. Mit EU-Mitteln wurden die Lager auf den griechischen Inseln komplett erneuert: Die berüchtigten Lager gibt es längst nicht mehr. Heute stehen an ihrer Stelle moderne Aufnahmezentren, die mit europäischer Hilfe errichtet wurden: Ich besichtigte dort Wohncontainer mit eigener Dusche, Spiel- und Sportplätze, Ärztezentren und Kindergärten. Neben NGOs hilft den Migranten auf Lesbos nur noch ein einziges EU-Land direkt und in Eigeninitiative, und zwar Österreich mit dem SOS-Kinderdorf Betreuungsprojekt. Dort lernen die Kinder Schulstrukturen kennen und in kleinen Gruppen Englisch und Griechisch. Dort wird der Grundstock gelegt für Schulbesuch und ein erfolgreiches Leben. 
 

Das Lager auf Lesbos. | Foto: Gudrun Kugler
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Meine Reise in Betroffenengebiete haben mir deutlich gemacht, dass der sinnvollste Weg sicherlich dieser ist: Hilfe vor Ort und geschützte Grenzen, parallel dazu Menschlichkeit für Ankömmlingen, faire, schnelle Asylverfahren und gelingende Integration für jene, die hierbleiben.

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