Renaturierungsgesetz
Wie die ÖVP europäischen Naturschutz blockiert
Am Donnerstag steht eine wichtige Abstimmung im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments an: Es geht um eine einmalige Chance für Naturschutz, oder die Enteignung von Bauern - je nachdem, welcher Partei man glaubt.
ÖSTERREICH. Wenn das Gesetz jetzt nicht durchkommt, ist es wahrscheinlich abgeschossen: Es geht um das EU-Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law). Dabei sollen Ökosysteme wiederhergestellt werden. Die Europäische Volkspartei ist dagegen. Was bei der Abstimmung am Spiel steht, erfährst du hier.
Ein umstrittenes Gesetz
Die Europäische Kommission präsentierte bereits den Gesetzesvorschlag zum Renautrierungsgesetz. Dieses findet Anklang bei zahlreichen Umweltschutzorganisationen. Im Wesentlichen geht es darum, zerstörte Ökosysteme wiederherzustellen. Vor allem jene, die CO2 aus der Luft aufnehmen können und wichtig für Biodiversität sind, sollen renaturiert werden. Das Gesetz schützt also Klima und Umwelt. Die Europäische Volkspartei (EVP), also auch die ÖVP, will dieses Gesetz abschießen.
Katastrophe oder Rettungsring?
Während Naturschutzorganisationen, grüne und linke Parteien das Gesetz als Teil der Rettung vor der Klimakrise sehen, zeichnet die Europäische Volkspartei Katastrophenszenarien auf. Auf Twitter warnt die EVP vor einer globalen Hungersnot und höheren Lebensmittelpreisen, die angeblich durch die EU-Verordnung ins Rollen kommen. Auf der anderen Seite sieht der WWF eine einmalige Chance, das langfristige Überleben von Ökosystemen und Natur zu sichern. Beides kann nicht gleichzeitig stimmen. Wer hat nun recht?
Woher die Angst vor Naturschutz?
Was ist dran an den Ängsten vor Hunger und unleistbarem Essen? Die EVP sieht in der Verordnung einen bürokratischen Albtraum, eine wirtschaftlichen Nachteil für ländliche Gebiete, eine Gefahr für Ernährungssicherheit, erneuerbare Energien und kritische Infrastruktur. Außerdem sieht die Partei eine Attacke auf Privateigentum. Besonders kritisiert die EVP, dass zehn Prozent von europäischen Agrarflächen künftig der Biodiversität dienen sollen. Doch diese zehn Prozent sind das Resultat eines Missverständnisses.
Angebliche Enteignung von Bauern
Die EVP hat einige irreführende Aussagen zu dieser Verordnung geäußert. Beispielsweise warnte die Partei vor Zerstörung von Dörfern im Sinne des Naturschutzes. Was genau damit gemeint ist, bleibt unbeantwortet. Auch erneuerbare Energien dürften nicht darunter leiden, weil auch Energiekonzerne das Gesetz unterstützen. Doch was ist mit den zehn Prozent der Agrarflächen?
Tatsächlich müssen bereits bis 2030 sieben Prozent der europäischen Agrarflächen der Biodiversität dienen. Das heißt nicht, dass sie dem jeweiligen Bauern oder einer Bäuerin weggenommen werden. Es heißt lediglich, dass bis 2030 nicht mehr sieben, sondern zehn Prozent der gesamten Agrarfläche Europas Biodiversität fördern soll. Eine derartige Fläche ist zum Beispiel ein Blühstreifen. Die EVP stellt dies als "Enteignung" von Landwirtinnen und Landwirten dar. Und das, obwohl solche Flächen auch zur landwirtschaftlichen Nutzung zur Verfügung stehen, solange keine Pestizide verwendet werden.
Wie die ÖVP dazu steht
Insgesamt sitzen sieben ÖVP Mandatare im Europäischen Parlament.
Einer davon, Alexander Bernhuber, äußert sich auf Facebook folgendermaßen zu dem Gesetzesentwurf: "Wir sagen klar NEIN zu diesen Vorschlägen, wie sie am Tisch liegen. Unsere Bäuerinnen und Bauern leisten täglich härteste Arbeit, hier braucht es keine zusätzliche bürokratische Belastung!". Simone Schmiedtbauer, Sprecherin für Agrarwirtschaft, äußerte sich ebenfalls auf Facebook und warnt vor Import-Fallen durch das neue Gesetz. Denn wenn weniger produziert wird, aber gleich viel konsumiert, dann müssen mehr Lebensmittel importiert werden.
Was sagen die Experten?
Das Gegenargument liefern Naturschutzorganisationen. Die Biodiversität und bindende Naturschutzgesetze bedrohen nicht die Landwirtschaften, sondern schützen sie. Denn auch die Lebensmittelversorgung hängt von intakten Ökosystemen ab. Denn nur durch eine gesunde Umwelt ist das Anbauen von Lebensmitteln überhaupt möglich. “Der Artenschwund wird zu einem ernsthaften Problem”, warnt Thomas Wrbka vom Österreichischen Biodiversitätsrat.
“Das ist ganz ähnlich wie beim Fachkräftemangel in der Wirtschaft: Wenn immer mehr Berufe und Wirtschaftszweige wegfallen, droht irgendwann dem gesamten System der Kollaps”, sagt der Wissenschafter. “Intakte Natur ist nicht nur ein Wert an sich, sondern rechnet sich auch wirtschaftlich”, sagt Wrbka. “Jeder in Renaturierungen investierte Euro generiert ein Vielfaches an Nutzen für unsere Gesellschaft. Bis 2030 könnten so rund 15.000 Green Jobs pro Jahr geschaffen werden.”
Wie es weitergeht
Am Donnerstag stimmt der Ausschuss 88 Mitglieder des Europäischen Parlaments über das Gesetz ab. Sollte es hier bereits zu einer Ablehnung kommen, ist das Gesetz vermutlich abgeschossen. Am 20. Juni folgt ein Treffen der Umweltministerinnen und -minister. Danach muss noch im Europäischen Parlament über das Gesetz abgestimmt werden.
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