ÖGE-Tagung
Ernährungsfaktoren bei Covid als Risiko und Chance

Vitaminreiche und polyphenolhaltige Lebensmittel können vorbeugend und therapeutisch wirken.  | Foto: Pixabay
  • Vitaminreiche und polyphenolhaltige Lebensmittel können vorbeugend und therapeutisch wirken.
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Das Frühjahrs-Symposium der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) am 17. Juni widmete sich in interdisziplinären Fachvorträgen den möglichen Einflüssen von Ernährung, Bewegung und Lebensstil auf Covid und Long-Covid sowie der aktiven Gesundheitsvorsorge für eine gesunde Zukunft. 

Eröffnet wurde die siebenstündige Online-Veranstaltung mit dem Titel "(Post) Covid 19 und Gesundheit - Die richtige Lebensmittelauswahl in den Fokus" von ÖGE-Präsident Karl-Heinz Wagner (Uni Wien) und per Video-Grußbotschaft von Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein.

Adipositas und Zucker als Risiko

Dieser wies in seinen Grußworten darauf hin, dass Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen einen negativen Einfluss auf den Krankheitsverlauf bei Covid-19 haben können, was noch deutlicher den hohen Stellenwert einer guten und ausgewogenen Ernährung unterstreiche. Er als Gesundheitsminister werde deshalb weiterhin mit Nachdruck daran arbeiten, die Ernährungssituation der Bevölkerung zu verbessern, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, deren "gesundes Heranwachsen" ihm "besonders am Herzen" liege. Gelingen soll dies mittels Informationsangeboten über einen gesunden Lebensstil, die Erschaffung gesunder Lebenswelten, welche diesen Lebensstil fördern, oder auch durch transparente Nährwertinformationen, damit die Wahl für gesunde Lebensmittel schon direkt beim Einkauf informierter und leichter getroffen werden kann.

Wie sehr Bluthochdruck, Adipositas und Diabetes sich auf die Krankheitsverläufe bei Covid-Patienten auswirken, führte Thomas Stulnig, Experte für Stoffwechselkrankheiten am Krankhaus Hietzing, aus. "Adipositas gehört in die Liste der Risikofaktoren aufgenommen", so seine Einschätzung, und: "Der Großteil der jungen Covid-Patienten war adipös oder extrem adipös." Auch junge Patienten im Alter von 30 bis 40 Jahren mit Typ-1-Diabetes waren gehäuft aufgrund von Covid-Infektionen hospitalisiert.
Linda Christian, Diätologin am AKH Wien und dort auch tätig in den Covid-Intensivstationen, führte aus, wie Ernährungsinterventionen bei schwer erkrankten Patienten ablaufen und betont dabei häufige Risikofaktoren: Adipositas, Entzündungen, Mangelernährung oder auch Vitamin-D-Mangel.

Im Fokus: Vitamin D und Polyphenole

Die Grazer Ernährungswissenschaftlerin und Lehrbeauftragte für Immunologie, Sandra Holasek, gab Einblicke in die sogenannte Immunonutrion, also spezifische Ernährungsintervention mit dem Ziel, das Immunsystem zu stärken. Auch sie betont, dass Übergewicht, in Kombination mit weiteren Erkrankungen, das Risiko für schwere Covid-Verläufe erhöhen kann. Immunologisch aktive Nährstoffe sollten demnach sowohl vorbeugend als auch therapeutisch in Form von vitaminreicher und ausgewogener Ernährung zugeführt werden und, falls medizinisch notwendig, komplexe Nährstoffpräparate nach individuellem Bedarf ergänzt werden. Besonders hervorzuheben sind laut Holasek die Rolle von Vitamin D (gebildet über Sonnenlicht, bestimmte Nahrungsmittel, Supplemente) sowie polyphenolreiche Lebensmittel (in Gemüse, Obst, Kräutern) und immunologische Risikonährstoffe (Omega-3, B6, B12 C, u.a.), welche sowohl für das angeborene wie auch erworbene Immunsystem von hoher Bedeutung sind. Da Nährstoffe im Zusammenspiel wirken, ist zudem etwa bei Fettsäuren das richtige Verhältnis von Omega-3-Fettsäuren (Leinöl, Walnüsse, bestimmte Fischarten, u.a.) zu Omega-6-Fettsäuren (Sonnenblumenöl, Weizenkeimöl, Maiskeimöl, Distelöl, u.a.) zu beachten. Außerdem ein Faktor: Schlechtes Ernährungsverhalten kann sich nachteilig auf die Schlafqualität – und somit Regenerationsfähigkeit – auswirken. Bei depressiven Verstimmungen kann "Brainfood" zur Besserung beitragen. Holaseks Empfehlung daher:

"Ernährungs- und Lebensstilfaktoren sind noch stärker zu berücksichtigen."

Ähnlich drückt es Pharmazeutin Judith Rollinger von der Uni Wien aus: "Naturstoffe haben Potential in der Linderung der Symptomatik und gegebenfalls was die Mortalität betrifft." Die Datenlage hinsichtlich SARS CoV-2 ist laut Rollinger zwar noch unzureichend, jedoch laufen zu den unterschiedlichsten Naturstoffen derzeit unzählige Studien. Basierend auf bisherigen Erkenntnissen werden durch bestimmte Kräuter – zu manchen vielversprechenden Pflanzen ist die Datenlage noch eher gering – auch gute antivirale Wirkungen, Präventions- und Therapieerfolge beobachtet.

Luftqualität als Faktor

Umweltmediziner Hans-Peter Hutter verwies in seinem Vortrag auf die elementare Rolle gesunder Raum- und Umgebungsluft. Studienergebnisse aus dem Bereich der Umweltmedizin zeigen etwa Zusammenhänge zwischen Luftverschmutzung und höheren Covid-Inzidenzwerten. Was die Luftqualität und Krankheitsvorbeugung in Innenräumen betrifft, weist Hutter auf das enorme Potential besserer Belüftung von Schulräumen hin.

Virologin Monika Redlberger-Fritz führte die Unterschiede zwischen Sars-Cov2-Viren und Grippeviren aus und wies in Hinblick auf Ernährungsfaktoren darauf hin, dass es schon "erstaunlich viele Untersuchungen" zu den Einflüssen der Ernährung und des Ernährungsstatus auf Covid-19 gibt – beispielgebend die Vorteile mediterraner Ernährungsweise oder bestimmter Vitamine wie Vitamin D und anderer Nahrungsinhaltsstoffe.
Günther Krejs, Gastroenterologe an der Med Uni Graz, nahm unter anderem Bezug auf die vielversprechenden Untersuchungen zur Rolle der ACE2-Rezeptoren hinsichtlich der Infektionsabwehr sowie auf medizinische Aspekte zu Covid aus dem Bereich der Inneren Medizin und Gastroenterologie.

Ernährungsverhalten und Psyche im Lockdown

Wie sich das Ernährungsverhalten während der Lockdowns darstellte, zeigte Hans Hauner, Ernährungsmediziner an der TU München, auf Basis von Studienergebnissen. Brisant: Die Mehrheit der Studienteilnehmer hat nicht selbst gekocht. Auch bei Menschen mit akademischem Abschluss, die ja besonders stark im Home-Office vertreten waren, waren es nur 43%, die im ersten Lockdown selbst den Kochlöffel gerührt haben. Insgesamt wurde in dieser Zeit nachteiliger gegessen. Ein Grund war unter anderem auch die seelische Belastung.
Hauner betont, dass in Zeiten von Corona eine ausgewogene Ernährung besonders wichtig ist. Empfehlenswert dafür sei die Mittelmeerkost, vegetarische Ernährung oder die "10 Ernährungsregeln der DGE".
Christine Tretter, Fachärztin für Psychiatrie und Ernährungsmedizin, widmete sich in ihrem Vortrag den Auswirkungen von "eineinhalb Jahren Covid-19-Maßnahmen" und den "neuen Lebens- und Arbeitswelten" auf das seelische Wohlbefinden und die Psyche. Die Einsamkeit vieler Menschen wurde demnach noch einmal verstärkt, schon 2018 fühlten sich laut einer Studie des Britischen Roten Kreuzes 9 Millionen von 66 Millionen Briten einsam.
Allgemeinmedizinerin Susanne Rabady erzählte aus ihrem Praxis-Alltag der vergangenen Monate und merkte an, dass die Zeit für Beratungsgespräche aktuell etwa 50 Prozent ihrer Arbeitszeit beträgt. Das Interesse der Menschen an Gesundheits- und Impfinformation sei enorm, es gehe vor allem auch darum, durch die Gespräche die Angst zu nehmen.

Gewichtszunahme versus Fahrrad-Boom

In weiterer Folge führte die verringerte Aktivität zu Gewichtszunahmen. 52 Prozent der Brasilianer etwa hatten in der ersten Phase der Pandemie zugenommen, so Daniel König, Experte für Sporternährung an der Uni Wien. Durchschnittlich waren es vermutlich zweieinhalb Kilo. Genauere Daten zu Bewegungsverhalten und Gewichtszunahme während der Pandemie werden in den nächsten Monaten erwartet. Auffallend jedoch und erfreulich: Von März bis April 2020 stieg der Umsatz an Fahrradkäufen um 12,5%. Im Vergleich zu 2016 wurde im vorigen Jahr sogar um 30% mehr Umsatz mit Fahrrädern gemacht.
Auch das Schlafverhalten war Gegenstand von Analysen der Universität Pittsbourgh: Bei Studierenden erhöhte sich die Aufstehzeit von durchschnittlich 9:15 Uhr auf 10 Uhr während des ersten Lockdowns. Weniger Bewegung gemacht wurde jedenfalls in Ländern mit strikteren Maßnahmen. Die zusätzliche Zeit vor einem Bildschirm (Fernseher oder Computer) erhöhte sich je nach Land um durchschnittlich ein bis drei Stunden. Die Empfehlungen des Sportwissenschaftlers lauten daher: mehr aerobe Aktivitäten und Krafttraining.

Zum aktuellen Thema Home-Office präsentierte Alexandra Hofer, Ernährungswissenschaftlerin und Geschäftsführerin der ÖGE, Best- und Worst-Practice-Beispiele, denn nicht nur die Art zu arbeiten hat sich mit vermehrten Arbeitszeiten zuhause verändert – auch Änderungen beim Essen gehen damit häufig einher und können den Ernährungsstatus und somit unsere Gesundheit beeinträchtigen oder aber fördern.

Fokus auf Ernährungsbildung

Mit Blick auf die Zukunft der Ernährung betont Petra Rust, Ernährungswissenschaftlerin  am Department für Ernährungsmedizin der Uni Wien, dass Ernährungssysteme zum Teil neu zu denken sind. 690 Millionen Menschen leiden an chronischem Hunger, sind mangelernährt – das ist jeder elfte Erdenbürger. Für die, die genügend Auswahl haben, sei wichtig, dass das Ernährungsangebot und Umfeld passt, denn gesund gegessen werde vor allem dann, wenn es angeboten wird. Zudem müsse laut Rust die Gemeinschaftsverpflegung verbessert werden.

Zwei Ernährungswissenschaftlerinnen mit jahrzehntelanger Erfahrung machten sich für diese Tagung ebenso Gedanken zur Ernährungsbildung der Zukunft. Im Zentrum standen dabei die Chancen der Krise:

"Wir wollen weg vom Negativen, den Blick nach vorne richten",

so die deutschen Ernährungsexpertinnen Christel Rademacher und Ines Heindl. Der Fokus müsse zudem auf dem effektiven Wissenstransfer von der Wissenschaft in die Praxis liegen, was in der Vergangenheit nicht zufriedenstellend funktioniert habe. Die formale Bildung treffe nämlich auf Lebenswelten (Kita, Schule, etc.) mit unterschiedlichen Anforderungen.

Weiterführende Links:
ÖGE - Österreichische Gesellschaft für Ernährung
Med Uni Graz - Immunsystem: Gut gefüttert
Minimed-Webinar: Nahrung für das Immunsystem
Bundesministerium für Gesundheit: Powerfood für das Immunsystem
Uni Wien - Österreichischer Ernährungsbericht
Studie: Ernährung beeinflusst Verlauf von Covid-19 
Meta-Studie zu Covid-19: Erhöhter Blutzucker kann Verlauf erschweren
Antivirale Wirkstoffe in Lebensmitteln

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