Blinden-Infrastruktur
Blind durchs Grazer Baustellen-Wirrwarr
Die zahlreichen Baustellen diesen Sommer haben für viele Leute diverse Umstände mit sich gebracht. Wie es blinden und sehbehinderten Grazerinnen und Grazern damit ging und wie es um die Blindeninfrastruktur der Stadt generell bestellt ist, berichten Linda Kanzler und Christian Schoier vom Blinden- und Sehbehindertenverband Steiermark.
GRAZ. Kanalarbeiten, Straßenerneuerungen und Großbauprojekte im öffentlichen Verkehrssystem sorgten diesen Sommer für viel Gesprächsstoff. Denn während wesentliche Neuerungen im Straßenverkehrssystem der Stadt gerade noch gebaut werden, müssen sich autofahrende, radelnde oder zu Fuß gehende Grazerinnen und Grazer heuer noch mit vielen Übergangslösungen, Umleitungen und Staus abfinden.
Im Gespräch mit dem Blinden- und Sehbehindertenverband Steiermark (kurz: BSVSt) hat sich MeinBezirk.at nach den Herausforderungen für blinde und sehbehinderte Personenim Baustellen-Dschungel erkundigt. Die Beauftragte für Verkehrs- und Infrastrukturangelegenheiten des Verbandes, Linda Kanzler, und Obmann Christian Schoier geben einen Einblick und würdigen die langjährigen Bemühungen der städtischen Verkehrsplanung.
Vorreiter-Stadt Graz
Der BSVSt unterstützt blinde und sehbehinderte Personen in allen Lebensbereichen und stellt somit auch die Schnittstellen in infrastrukturellen Fragen zwischen jenen und der sonstigen Öffentlichkeit dar. So stehe man nicht nur in Verkehrsplanungsprozessen, wie aktuell der Grazer Radoffensive, in engem Kontakt mit dem städtischen Referat für Barrierefreies Bauen, sondern "auch Museen wenden sich an uns, zum einen wegen der baulichen Barrierefreiheit, zum anderen aber auf wegen der barrierefreien Umsetzung der Inhalte", erklärt Linda Kanzler.
Bei der Entstehung des kürzlich eröffneten Salon Stolz (MeinBezirk.at berichtete: Musik und Tanz für alle im Salon Stolz) sei man beispielsweise umfassend mit einbezogen worden, führt Schoier beispielhaft für die barrierefreie Gestaltung von Kulturerlebnissen an.
Generell sei man in der steirischen Landeshauptstadt bereits seit über 20 Jahren um barrierefreie Infrastruktur bemüht, betont er: "Die Stadt Graz ist schon ein Vorreiter, wenn es darum geht, bestmöglich auf die verschiedenen Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger einzugehen."
Im Straßenverkehr gebe es sicher noch die ein oder anderen Kreuzungen und Straßenzüge, die noch nicht optimal gelöst seien, im Großen und Ganzen könne man sich aber keineswegs beklagen. Insbesondere bei Ampelausfällen oder sonstigem sei das Referat für Barrierefreies Bauen immer gut erreichbar und bemüht, das Problem so schnell als möglich – manchmal sogar innerhalb von Stunden – zu beheben, so der Verbandsobmann.
Baustellen als Chance auf Verbesserung
"Für uns Menschen mit Sehbehinderung, Blindheit, sind Baustellen meistens eine Chance auf Verbesserung", ergänzt die Mobilitätsbeauftrage. So werden im Zuge von Um- und Neubauten im Straßenverkehr mittlerweile standardmäßig Blindenampeln und Leitlinien am Boden installiert, wo es eben nötig sei. Die Community habe auch das Glück, dass die Baustellen in Graz normgerecht sehr gut abgesichert seien, das sei in vielen anderen Städten so nicht er Fall.
Baugerüste an Häusern werden zum Beispiel mit einer Holzplanke am Boden gekennzeichnet, sodass mit dem Blindenstock erkennbar wird, dass hier ein Hindernis ist. Auch wenn manche Bauarbeiten, wie beispielsweise das Großprojekt in der Neutorgasse mit seinen wechselnden Zu- und Übergängen für Fußgängerinnen und Fußgänger von manchen sehbeeinträchtigten Personen mittlerweile gemieden werde, lobt der BSVSt die Kommunikation mit den Verantwortlichen, wie der Holding Graz. Das funktioniere so gut, dass der Verband seine Mitglieder rechtzeitig über Änderungen, Baustellen und deren Zeiträume informieren kann.
Hervorzuheben sind auch das "Grazer T". Damit sind die taktilen, sprich tastbaren, Aufmerksamkeitsfelder bei Fußgängerübergängen und T-förmigen, orthogonal zur Gehlinie und zum Zebrastreifen ausgerichteten Rillenplatten gemeint. Nicht nur für sehgeschädigte Bürgerinnen und Bürger stellt das eine Hilfe dar. Auch Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind oder Personen mit Kinderwägen profitieren davon, weil in Kombination mit den normierten taktilen Bodeninformationen eine Nullabsenkung des Gehsteiges zulässig ist und somit ein gutes und sicheres Vorankommen für beide Behinderungsgruppen möglich wird.
Gegenseitige Rücksichtnahme gefordert
Nachdem Planung, Umsetzung und Kommunikation super funktioniert, tragen trotzdem alle Verkehrsteilnehmenden Verantwortung füreinander. "Eine große Gefahrenquellen, die leider sehr oft zu Unfällen führt, und was die Radfahrer meistens gar nicht mitbekommen, sind unsachgemäß abgestellte Fahrrad an Hauswänden oder auf den Leitlinien", erklärt Linda Kanzler. Hauswände dienen nämlich genauso wie die Leitlinien am Boden zur Orientierung. Als blinder Mensch unterlaufe man die Lenkstange des Radls dann – denn die sei ja nun mal am Boden nicht zu spüren – und bekomme diese dann in den Bauch oder die Rippen. Dabei kommt es nicht nur zu Verletzungen, auch die abgestellten Fahrräder können so umfallen oder auf den Blindenstock fallen und diesen beschädigen.
Um Zusammenstöße, Unfälle oder andere Schwierigkeiten zu vermeiden ist also trotz allem, was schon gut läuft in Graz, immer Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme geboten.
Hier geht es zur Website des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Steiermark.
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