Interview der WOCHE
"Was, wenn wenn wir am entschleunigteren Leben Gefallen finden?"

- Christina Stoiser ist Hypnosepsychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision und Gesundheitsmanagerin mit Praxen in Bad Loipersdorf und in Graz und bietet aktuell auch Psychotherapien via Internet oder Telefon.
- Foto: Miriam Raneburger
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BAD LOIPERSDORF. Die WOCHE hat mit der Gesundheitsmanagerin und Hypnosepsychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision Christina Stoiser über die psychischen Herausforderungen gesprochen, die der Corona-Alltag in den eigenen vier Wänden mit sich bringt, wie man dabei mental gesund bleibt und was für Chancen diese Krise womöglich für uns bereit hält.
WOCHE: Durch die plötzliche Isolierung in den eigenen vier Wänden, und der Verordnung soziale Kontakte zu meiden, fühlen sich viele Menschen alleine. Wie schafft man es (vor allem Singles) hier „kühlen Kopf zu bewahren“ und die bedrückende Stimmung nicht zu stark werden zu lassen?
CHRISTINA STOISER: Es ist wichtig, mit uns vertrauten und nahestehenden Menschen in Kontakt zu bleiben. Viele nutzen derzeit Videotelefonie, veranstalten Skype-Konferenzen oder Whatsapp-Gruppenanrufe. Sich mit der Familie, dem Freundeskreis und v.a. mit besonnenen Menschen auszutauschen, vermittelt uns Halt und schafft Verbindung. Am besten ist es, fixe Zeiten zu vereinbaren, denn mit einer verlässlichen Aussicht auf ein freudiges Gespräch wird die Zeit alleine gleich anders erlebt.
Ebenso ist es sinnvoll, sich max. ein bis zweimal täglich zielgerichtet und ausschließlich bei vertrauenswürdigen Medien zu informieren. Eine medienfreien Zeit einzuplanen ist förderlich, um nicht ins Grübeln zu verfallen oder sich vom Angstgefühl anstecken zu lassen.
Die aktuelle Situation fordert die psychische Stabilität eines jeden extrem. Wie gelingt es die Partnerschaft weiterhin harmonisch zu halten und Streit gering zu halten, sodass die Beziehung die Corona-Krise überdauert?
Zu allererst ist es einmal wichtig, sich bewusst zu machen, dass wir alle unterschiedlich mit solch einer Ausnahmesituation umgehen. Die einen möchten vielleicht mehr reden, die anderen brauchen womöglich mehr Ruhe. Außerdem sind es die meisten Paare wahrscheinlich gar nicht gewöhnt, so viel Zeit auf engem Raum miteinander zu verbringen. Es ist hilfreich, eine Struktur zu schaffen, sodass beide Partner ihre Arbeitsroutinen beibehalten und gleichzeitig auch gemeinsame Aktivitäten einplanen. Definierte Zeiten für sich alleine und als Paar können möglichen Konflikten schon vorab entgegenwirken. Für manche Beziehungen kann es auch eine Chance sein, den anderen wieder besser wahrzunehmen.
Viele Familien leben – vor allem in den Städten – aktuell auf engstem Raum. Wird die häusliche Gewalt steigen und was sollen Frauen/Kinder tun, wenn sie davon betroffen sind?
Durch die beengten Verhältnisse besteht ein erhöhtes Konfliktpotential und dies kann zu Aggression und Gewalt führen. Die Regierung hat bereits verstärkte Maßnahmen gegen häusliche Gewalt getroffen und den Schutz von Frauen und Kindern während der Corona Zeit ausgebaut.
Gerade jetzt ist es aber auch wichtig, selbst mit Maßnahmen bewusst entgegenzusteuern, wie bspw. mögliche Streitthemen zu meiden, täglich Rückzugsmöglichkeiten für sich zu schaffen, fixe Anrufzeiten mit vertrauten Personen zu vereinbaren und rechtzeitig Hilfe zu holen!
Von Gewalt bedrohte oder betroffene Frauen können sich rund um die Uhr an die Frauen-HelpLine gegen Gewalt unter 0800 222 555 wenden. Parallel dazu ist die Online-Beratung HelpChat unter www.haltdergewalt.at erreichbar. Die Polizei steht unter den Notruf-Nummern 133 oder 112 ebenso jederzeit für Hilfe zur Verfügung.
Wie wichtig ist - vor allem für jene, die gerade im Home Office arbeiten, ein geordneter Tagesrhythmus? Und wie schafft man hier ein ausgewogenes und geregeltes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit?
Eine alltägliche Routine gibt uns Sicherheit. Es ist daher sinnvoll, zur gleichen Zeit aufzustehen und fixe Arbeits-, Freizeit-, Essens- sowie Schlafenszeiten festzulegen. Es ist in Ordnung, wenn wir uns jetzt mehr Ruhezeiten nehmen, denn die aktuelle Situation fordert auch einiges von uns und das kostet Kraft. Es ist wichtig, gerade jetzt mit sich selbst und anderen Menschen nachsichtig und liebevoll umzugehen und sich auch selbst die Zeit zu geben, sich an diese vorübergehend neue Situation anzupassen.
Welche Rolle spielen Ablenkung, frische Luft, Sport, um dem Corona-Alltagstrott zu entfliehen? Und welche Möglichkeiten gibt es noch, um sich Abwechslung daheim zu verschaffen?
In dieser besonderen Phase, aber auch sonst gilt: Achten Sie auf sich selbst und ihre Bedürfnisse, v.a. auf genügend Schlaf, ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung und gezielte Ruhezeiten! Wir alle sollten für einen Moment inne halten und spüren, was wir jetzt individuell für unser Wohlbefinden brauchen. Wir können die Zeit nutzen für sportliche Betätigung, kreative Tätigkeiten, Entspannungsübungen, lang aufgeschobene Projekte oder einfach einmal nur zum Durchatmen!
Wir werden staunen, wenn wir bemerken, wie gut uns das tut und uns fragen, warum wir das nicht schon viel früher und öfter umgesetzt haben. Man könnte sogar sagen, dass wir in gewisser Weise dazu aufgefordert werden, manche Dinge in unserem Leben aus einer neuen Perspektive zu betrachten und zu verändern!
Wenn dies nicht hilft, was für Möglichkeiten gibt es sich Hilfe zu holen (Gesprächstherapie, Psychotherapie via Videochat oder Telefon)…
Es ist nachvollziehbar und auch zutiefst verständlich, dass die aktuelle Situation für viele Menschen sehr verunsichernd ist und ein Wunsch nach Orientierung besteht. Es wirkt entlastend, mit einer außenstehenden Person über seine persönliche Situation und seine eigenen Ängste und Sorgen zu sprechen. Ich darf sehr ermutigen, sich mit seinen Ängsten auseinander zu setzen. Nehmen wir uns diesen an, können wir an ihnen wachsen und bleiben handlungsfähig.
Aktuell besteht auch die Möglichkeit, Psychotherapie per Telefon oder via Internet in Anspruch zu nehmen. Ebenso können sich Menschen an die bereits bestehenden Beratungshotlines und Krisendienste wenden.
Mit Blick in die Zukunft: Wie wirkt man einer Überlastung vor, wenn nach dieser "entschleunigten" Zeit, wieder der ganz normale Arbeitsalltag auf einen wartet.
Wir können uns erinnern, was uns in dieser entschleunigten Zeit besonders gut getan hat. Vorab stellt sich vielleicht aber noch die Frage, ob der ganz normale Arbeitsalltag noch ganz gleich oder doch schon anders ist. Was ist, wenn wir diese Zeit jetzt auch nutzen und sie dazu führt, unseren Arbeitsalltag einmal zu hinterfragen. Was ist, wenn wir jetzt in dieser Zeit ein erweitertes Bewusstsein für unsere Bedürfnisse entwickeln. Was ist, wenn wir dann bemerken, dass wir an einem etwas entschleunigteren und achtsameren Leben Gefallen finden. Vielleicht beginnen viele Menschen sich wieder mehr auf jene Dinge zu konzentrieren, die einen Ausgleich bringen und die einen glücklich machen.
Gibt es von Ihrer Seite noch Tipps, Ratschläge oder Anregungen, was es aktuell in dieser Situation zu beachten gilt, um psychisch stabil zu bleiben?
Es ist wichtig, uns bewusst zu machen, dass wir in unserem Leben nicht alles kontrollieren können, das wäre eine Illusion. Wir können uns in Ausnahmesituationen wie diesen aber auf all jene Aspekte konzentrieren, die wir beeinflussen können und dabei aktiv Entscheidungen treffen. In der derzeitigen Lage kann das die Entscheidung sein, dass wir die Situation jetzt annehmen, wie sie ist. Die Entscheidung, dass wir uns auf die positiven Dinge fokussieren, die auch jetzt rund um uns geschehen. Die Entscheidung, dass wir auch Chancen wahrnehmen, die eine solche Phase mit sich bringen kann. Und halten wir uns vor Augen: diese Zeit hat auch ein Ende und all das, was uns danach erwartet, dürfen wir mit einer Offenheit begegnen. Vielleicht ist so ein Neuanfang genau das, wonach sich viele Menschen innerlich schon lange sehnen und vielleicht sind solche Herausforderungen auch eine Erinnerung, bewusster und achtsamer zu leben.
Zur Person:
- Name: Christina Stoiser
- Beruf: Hypnosepsychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision und Gesundheitsmanagerin; Praxis in Bad Loipersdorf und in Graz
- Kontakt: 0664/ 99 36 65 16, info@christina-stoiser.com, www.christina-stoiser.com
- Tipp: auf ihrer Website hat Christina Stoiser ihre Ressourcentrance „Die Ruhe in dir“ für jetzt und nach der Corona-Zeit zur Verfügung gestellt, die kostenlos angehört werden kann.
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