Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner über Ängste in der Bevölkerung, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsimpulse

Reinhold Mitterlehner (ÖVP): "Das große EU-Investitionspaket, der sogenannte Juncker-Plan, kommt ins Rollen." | Foto: Burghardt
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  • Reinhold Mitterlehner (ÖVP): "Das große EU-Investitionspaket, der sogenannte Juncker-Plan, kommt ins Rollen."
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Sie sind seit einem Jahr ÖVP-Chef. Haben Sie gefeiert?
REINHOLD MITTERLEHNER: Dafür war keine Zeit, weil uns die aktuellen Probleme komplett in Beschlag nehmen.

In Oberösterreich und Wien drohen der ÖVP herbe Verluste.
Sehen wir einmal, was die Wahlen wirklich bringen. Das Flüchtlingsthema, die Griechenlandkrise und die Hypo-Abwicklung spielen sicher nicht uns in die Karten. Wer aber – speziell in Oberösterreich – die Lage genau analysiert, müsste eigentlich erkennen, dass die ÖVP gut gearbeitet hat. Ich bin nicht pessimistisch.

In Wien droht der Fall unter die zehn Prozent.
In Wien existiert eine Wählergruppe, die wirtschaftsaffin ist, die mit der Verkehrspolitik nicht einverstanden ist und die auch nicht damit einverstanden ist, wie mit dem Geld der Steuerzahler in Wien umgegangen wird. Ich sehe da also Potenzial.

Haben Sie einen Plan, falls es nach dem 11. Oktober die SPÖ zerlegt?
Wir haben immer mehrere Überlegungsmöglichkeiten und sind in der Lage, rasch zu handeln. Aber ich bin mir nicht so sicher, was die Konsequenzen anbelangt. Man muss abwarten, was wirklich das Ergebnis ist.

Das Flüchtlingsthema überschattet derzeit alles. Wäre es nicht an der Zeit, im Nahen Osten militärisch international gegen den IS vorzugehen?
Sie haben Recht: Man muss die Ursachen bekämpfen. Die Amerikaner und andere Staaten haben ja schon damit begonnen. Aber es ist eine Illusion, alle Konflikte, die es geopolitisch in dieser Umgebung gibt, in den Griff zu kriegen. Das ist logistisch, zeitmäßig, finanziell und militärisch nicht möglich. So einfach das auf den ersten Blick auch scheint. Daher werden wir leider noch länger mit dem Flüchtlingsthema konfrontiert sein.

Wie wollen Sie den Menschen bei uns die Angst vor den Flüchtlingen nehmen?
Leider gibt es keine Patent-Lösung. Es geht aber nur miteinander, wie wir es jetzt machen. Die Aufnahme von Flüchtlingen im Ausmaß von bis zu 1,5 Prozent der Gemeindebevölkerung scheint machbar. Denn da hat jedes einzelne Schicksal noch ein Gesicht.

Wer kommuniziert das an den Stammtischen?
Dafür haben wir jetzt unter anderem den Flüchtlingsbeauftragten Christian Konrad. Das wird er nicht allein tun können, aber er signalisiert der Gesellschaft: Wir gehen das Problem an.

Anderes Thema: Was tun gegen die Rekord-Arbeitslosigkeit?
Erstens: Wir brauchen mehr Wirtschaftswachstum. Zweitens: Wir haben auch eine importierte Arbeitslosigkeit. Denn durch die Migrationsthematik steigt die Arbeitslosigkeit leicht. Drittens: Wir haben zu wenig Mobilität in Österreich. Wenn für einen Job im Tourismus ein Ostdeutscher nach Österreich kommt, aber ein Ostösterreicher nicht nach Tirol will, dann ist das ein Problem. Und wir haben auch ein qualitatives Thema: Bestimmte Jobs im Tourismus oder in der Pflege will sich ein Österreicher gar nicht mehr antun.

Wer also wirklich Arbeit haben will, findet sie auch?
Etwas mehr Selbstverantwortung und Mobilität würde da und dort nicht schaden.

"Ich denke, dass das Wirtschaftswachstum nächstes Jahr anspringt."

Wann kommt die Wirtschaft wieder in Fahrt?
Das große EU-Investitionspaket, der sogenannte Juncker-Plan, kommt ins Rollen. Ich denke also, dass das Wirtschaftswachstum nächstes Jahr anspringt, sofern nicht neue Probleme auftauchen.

Und was tut Österreich?
Wir starten wie neulich angekündigt eine Kreditaktion für Klein- und Mittelunternehmen. Kredite 
mit Laufzeiten bis zu sechs Jahren sowie Kleinkredite sind ab 
sofort um 0,75 Prozent zu haben. Kredite mit längeren 
Laufzeiten kosten nur noch 0,9 Prozent. Wir geben der Österreich-Werbung auch zusätzlich vier Millionen Euro für Tourismuswerbung im Ausland. Das sind weitere Impulse für den Aufschwung.

Sind die Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht ein Unsinn?
Die Sanktionen tun Russland weh. Uns auch. Das ist klar. Aber es kann nicht jemand ein Gebiet einfach annektieren oder einen Aufstand unterstützen. Je früher wir aber die Sanktionen aufheben können, desto besser.

Wie ist Ihre Position zu TTIP, dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU?
Österreich hat einen Export-Anteil von 60 Prozent und hat immer von Handelsabkommen profitiert. Deswegen sollte man nicht per se gegen ein solches Handelsabkommen sein. Es ist maßlos übertrieben zu sagen, dass uns dann die Großkonzerne diktieren und unsere Qualitätsstandards fallen werden. Es wird Regelungen geben, dass Österreich seine Standards beibehalten kann, auch die geografischen Ursprungsbezeichnungen für Lebensmittel werden zum Beispiel bleiben. Es ist für unseren Wohlstand besser, wenn sich die USA und Kanada Richtung Europa orientieren, als Richtung China.

"Wenn Spielraum da ist, bin ich der erste, der für eine Senkung der Lohnnebenkosten eintreten wird."

Kommt nach der Steuerreform eine Senkung der Lohnnebenkosten für die Unternehmer?
Die Lohnnebenkosten hängen unmittelbar mit der Wirtschaftslage zusammen. Je schlechter diese ist, desto mehr braucht man die Versicherungskomponenten wie Artbeitslosen- oder Insolvenzversicherung. Wenn Spielraum da ist, bin ich der erste, der für eine Senkung der Lohnnebenkosten eintreten wird. In den vergangenen zwei Jahren haben wir sie auch schon etwas gesenkt.

Aber was hilft es, wenn man das Pensionsantrittsalter anheben will, wenn zugleich Unternehmer gezwungen sind, Arbeitnehmer mit 50 oder 55 zu kündigen, weil sie zu teuer sind?
Man muss ein Umdenken erreichen. Beim angedachten Bonus-Malus-System sollte es nicht nur ums Geld gehen. Sondern auch um die Einstellung. Die Qualität älterer Arbeitnehmer im Betrieb ist genauso wichtig.

"In den Bereichen Medizin, Mathematik oder Physik nähern wir uns international wieder der Spitze."

Sie sind auch Wissenschaftsminister. Welche Note geben Sie dem Wissenschafts-Standort Österreich?
Eine gute. Wir haben sehr gute Forscher. In den Bereichen Medizin, Mathematik oder Physik nähern wir uns international wieder der Spitze. Was noch fehlt, ist die Akzeptanz und die Anerkennung der Öffentlichkeit. Und wir müssen an den Universitäten das unternehmerische Element verstärken.

Die Wissenschaft soll also mehr mit der Wirtschaft kooperieren und soll Sponsorengelder aufstellen?
Durchaus.

Zur Bundespräsidenten-Wahl. Warum nicht mit der SPÖ eine gemeinsame Kandidatin wie die ehemalige OGH-Chefin Irmgard Griss aufstellen?
Jetzt sehe ich aufgrund der Parteienkonstellation eher die Notwendigkeit, dass jede Partei einen eigenen Kandidaten aufstellt. Für die Zukunft sollte man diskutieren, ob nicht wie in Deutschland die Wahl des Bundespräsidenten dann auch bei uns über den National- und Bundesrat erfolgen soll.

Das Interview führte Chefredakteur Wolfgang Unterhuber.

Fotos: Arnold Burghardt

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