Ernährungsmedizin und Geragogik
Nahrungsvielfalt für unser Immunsystem

Nährstoffe sind "Teamplayer" und ergänzen einander durch ihre jeweiligen spezifischen Eigenschaften. | Foto: Lubos Houska / Pixabay
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Grazer Ernährungs- und Pflegewissenschaftlerinnen unterstreichen in einer Online-Diskussion des Steirischen Ernährungszentrums die medizinische wie auch soziale Komponente von Ernährung, vor allem mit Blick auf pflegebedürftige oder allein lebende ältere Menschen. Anzeichen von Mangelernährung und daraus resultierende Erkrankungen wie Depressionsneigung, Herz-Kreislaufstörungen oder ein geschwächtes Immunsystem sind in diesem Zusammenhang häufig zu beobachten. Eine gesunde, vielfältige und nährstoffreiche Ernährungsweise kann unseren Gesundheits- und Immunzustand entscheidend beeinflussen und zudem die Grundlage für geistige und körperliche Fitness im höheren Alter sein. In Phasen von Virusinfektionen kann eine optimale Nährstoffzufuhr das Immunsystem stärken.

Der Inhaltsbogen der Online-Diskussion unter dem Titel „Gesunde Ernährung älterer Erwachsener" umspannte sowohl Aspekte des Ist-Zustandes im Ernährungsstatus älterer Erwachsener, als auch die Möglichkeiten, jene Menschen, die Anzeichen von Mangelernährung und daraus resultierende Krankheitssymptome zeigen, in ihrer Ernährungsoptimierung zu unterstützen. Fakt ist: Viele allein lebende ältere Menschen – aber auch solche in Alters- und Pflegeheimen – weisen aufgrund von einseitiger und nährstoffarmer Ernährung Mangelerscheinungen auf, die in weiterer Folge den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden stark beeinträchtigen können. Abgeschlagenheit, ein geschwächtes Immunsystem oder chronische Entzündungen und Erkrankungen können die Folge sein. Auf der anderen Seite kann eine gesunde und vitalstoffreiche Ernährung vielen Krankheiten vorbeugen und die Gesundheit bei bereits bestehenden Erkrankungen fördern.

Hochbetagte leb(t)en gesünder

Die Ernährungswissenschaftlerin Sandra Holasek von der Med Uni Graz unterstreicht, dass es vor allem im höheren Alter Sinn macht, sich bewusst gesund zu ernähren. Man kann sich sozusagen "gesund essen" – in dem Sinn, dass die Ernährungsweise einen großen Teil zu unserem Gesundheitszustand beiträgt und jahrelang andauernde Mangelernährung zu chronischen Erkrankungen führen kann. Die Ernährungswissenschaft bedient sich hier auch der Altersforschung, in der erhoben wird, wie die Biographie und Lebensgeschichte von heute hochbetagten Menschen (Hundertjährige) ausgesehen hat:

"Diese Menschen haben häufig eine Kindheit vorgefunden, in der man sich mehr bewegt hat und sich nicht in Richtung Übergewicht ernähren konnte. Außerdem haben sie eine Darmflora mit ausgezeichneter hoher Diversität. Eine Ernährung reich an den „3 Ps“ (Prä-, Probiotika und Polyphenolen) ist dafür verantwortlich und mit einer pflanzenbasierten Ernährung erreichbar",

so die Ernährungsexpertin. Auch wird in der Ursachenforschung berücksichtigt, wie die Umgebung und Lebenssituation Einfluss auf den Ernährungs- und Gesundheitszustand im Alter hat. "In Graz leben heute 47 Menschen, die über hundert Jahre alt sind, die Hälfte davon ernährt sich noch selbst", weiß Holasek.

Ernährung beeinflusst die Psyche

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Auswirkung von Mangelernährung auf die Psyche. Hier ist ein sich gegenseitig beeinflussendes Wechselwirken beobachtbar: Zum einen können Nährstoffdefizite zu depressiven Verstimmungen führen, zum anderen ernähren sich Menschen mit Depressionen häufiger nachteilig. Dehydrierung durch zu wenig Flüssigkeitszufuhr ist eines der Anzeichen dafür. Umgekehrt kann gesunde Ernährung aber auch das Wohlbefinden und die geistige Verfassung positiv unterstützen. Die Ernährungsexpertin betont weiters, wie wichtig ein gesunder Darm für die Nährstoffaufnahme ist und im Zuge von Ernährungstherapien vor allem auch die Darmgesundheit beachtet werden muss. Auch Entzündungsreaktionen im Körper sind die Antwort auf ein zu schwaches Immunsystem:

Mit den Jahren verändert sich auch unser Immunsystem, Schaltsysteme werden langsamer und Immunzellen weniger. Das kann zu einem chronischen Entzündungsgeschehen und entsprechenden Erkrankungen, wie Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Hochdruck, Rheuma führen. Für ein gut funktionierendes Immunsystem sind vor allem auch Vitamin A, B6, B12, C, D als auch Folsäure, Eisen, Selen und Zink wichtig, aber leider häufig nicht ausreichend aufgenommen. Auch Überernährung schwächt die Immunabwehrsysteme.

Hinsichtlich der Frage, inwieweit Ernährungsaspekte aktuell in der Behandlung von Covid-19-Erkrankten berücksichtigt werden, informiert Prof. Holasek, dass auch hier den Patientinnen und Patienten Hilfestellungen und Ernährungstipps mit nach Hause gegeben werden.

Nahrungsvielfalt stärkt das Immunsystem

Zu frühe Ernte von Obst und Gemüse, lange Lieferwege oder ausgelaugte Böden können den Nährstoffgehalt von Lebensmitteln mindern. Die Ernährungswissenschaftlerin plädiert dafür, die Nahrungsvielfalt – vor allem die regionale – zu nutzen, denn je breiter und vielfältiger die Nahrungsaufnahme ist, umso eher stärkt sie das Immunsystem: "Wichtig ist, dass die Menschen wissen, wo sie gesunde Lebensmittel bekommen und wie sie gesundheitsfördernd zubereitet werden können." Die Beschäftigung damit sowie mit gegebenenfalls pflanzenbasierten Gesundheitsprodukten könne helfen, sich wieder mehr mit der natürlichen Ernährung und der Frage 'Was wirkt wie?' zu beschäftigen. Zur Frage einer Teilnehmerin hinsichtlich der Einnahme von Nahrungsergänzungen erklärt Sandra Holasek, dass es in bestimmten Fällen sinnvoll sein kann zu supplementieren, dies aber mit entsprechender Fachberatung erfolgen sollte.

Planetary Health Diet
Nicht nur "in", sondern auch empfehlenswert ist laut Prof. Holasek die sogenannte "Planetary Health Diet":

"Die zurzeit weltweit empfohlene „Planetary Health Diet“ mit einem hohen Anteil an regionalem und saisonalem Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen hält nicht nur uns biologisch jung, sondern tut auch unserem Planeten gut."

Ergänzend zu den Inhalten der Online-Diskussion ist in diesem Zusammenhang auf das vielschichtige Zusammenwirken verschiedener Faktoren hinzuweisen, wie die Ernährungswissenschaftlerin Sandra Holasek und die Immunologin Sonja Lackner auch in einem Online-Artikel der Med Uni Graz ausführen:

Neben der achtsamen Ernährung zur Stärkung des Immunsystems kommt es auch auf die Gesamtheit von Lebensstilfaktoren an: Bewegung, Stress, Schlafqualität, Ernährungsstatus inkl. Über- und Untergewicht, Rauchen, Alkoholkonsum und der individuelle Gesundheitszustand beeinflussen im Zusammenspiel die individuelle Immunfunktion.

Welche Funktion dabei die Ernährung einnimmt und warum Lebensmittel- und Nährstoffvielfalt so wichtig sind, erklären die beiden Expertinnen anhand ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse:

„Veränderungen des Ernährungsstatus haben beispielsweise Effekte auf Hormone und die Funktion der Immunzellen. In der zivilisierten Gesellschaft finden wir trotz Überangebot an Nahrungsmitteln aber häufig einen Mangel an Mikronährstoffen – den sogenannten ‚verborgenen Hunger‘. Dabei hat insbesondere die Körperfettmasse immunologische Bedeutung. (...) 41% der österreichischen Bevölkerung sind übergewichtig oder adipös. Gerade bei wichtigen Schlüsselmikronährstoffen für unser Immunsystem wie β-Carotin, Vitamin D, Vitamin E, Vitamin B2 und Vitamin B6, B12, Vitamin C, Eisen und Folsäure erreichen, laut aktuellem Österreichischem Ernährungsbricht, breite Teile unserer Bevölkerung nicht die Empfehlungen. (...) Das unterschiedliche Wirkspektrum der einzelnen Nährstoffe macht eine vielfältige Lebensmittelauswahl notwendig. Eine pflanzenbasierte Ernährung mit hohem Anteil an frischen Lebensmitteln und moderatem Anteil an tierischen Produkten hoher Qualität erfüllt diese Kriterien."

Mediterrane Kost kann Demenz vorbeugen

Dr. Sandra Schüssler vom Institut für Pflegewissenschaft der Med Uni Graz betont, dass gesunde Ernährung keinen Zwang darstellen sollte. "Man darf auch mal Süßes zulassen." Auch sei es individuell unterschiedlich, ob dreimal oder fünfmal am Tag zu essen gesundheitsförderlich ist. Auf jeden Fall zu beachten und auch wissenschaftlich belegt:

"Mediterrane Kost kann das Risiko für Demenz senken beziehungsweise das Fortschreiten stabilisieren."

Eine große Herausforderung stellt der Pflegewissenschaftlerin zufolge die aktuelle, coronabedingte Versorgung jener älterer Menschen dar, die nicht betreut werden. Die Frage ist, ob lLieferservices von denjenigen, die sonst fast täglich ins Gasthaus gehen, entsprechend genutzt werden können. Zudem fördert alleine zu essen Mangelernährung und dem entgegenzuwirken gestalte sich oft schwierig. Bei bereits betreuten Menschen werden neben der Betreuung durch Pflegekräfte versuchsweise zur Unterstützung auch Roboter als Begleitung beim Essen eingesetzt, um das Gefühl von Einsamkeit zu mindern oder etwaige kommunikative Äußerungen – wie etwa die Erinnerung ans Essen – auszuführen. Über Apps können auch Familienmitglieder oder Freunde zugeschaltet werden. Sandra Schüssler spricht auch einen Aspekt der Ganzheitlichkeit des Essens an:

"In der Betreuung älterer Menschen wird zusätzlich versucht, das Essen optisch appetitlicher zuzubereiten und generell ein Wohlfühlambiente zu schaffen. Dies fördert ebenfalls gesundes Essverhalten ganz wesentlich."

Ernährungsbedürfnisse berücksichtigen

Prof. Brigitte Pleyer, Ernährungswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Ernährungsgeragogik und tätig an der Pädagogischen Hochschule Steiermark, verweist darauf, wie sinnvoll die Dokumentation der bisherigen Ernährungsgewohnheiten älterer Erwachsener (aber auch aller anderen Altersgruppen) ist. Oft komme es zum Problem, dass im Altersheim eine andere Ernährungssituation vorgefunden wird als zuhause. Auch Pflegekräfte in der 24-Stunden-Betreuung kochen häufig anders, als es die pflegebedürftige Person bisher gewohnt war. Hier gelte es, die individuellen gesundheitlichen Ernährungsbedürfnisse und auch den persönlichen Geschmack zu berücksichtigen. Wichtig sei auch die Kommunikation zwischen Arzt und Patienten:

"Es gilt sicherzustellen, ob der Patient beziehungsweise die Patientin die Ernährungshinweise des Arztes richtig verstanden hat. Der Rat, Frittiertes eher zu meiden, soll nicht dahingehend aufgefasst werden, nie mehr ein Schnitzel essen zu dürfen. Solche Missverständnisse kommen häufig vor und das führt dann leider oft zu einer generellen Ablehnung der Ernährungsratschläge",

weiß Brigitte Pleyer aus jahrelanger Erfahrung. Bei Demenzkranken müsse man in manchen Fällen die Speisen oft auch zusätzlich süßen, damit die Akzeptanz, etwas Bestimmtes zu essen, größer ist. Das habe die Ursache darin, dass der Geschmackssinn bei Demenz zum Teil in Mitleidenschaft gezogen ist und Zucker als Geschmacksträger leichter wahrgenommen wird.

Viel Gemüse, vielfältig und ausgewogen

Auf die Teilnehmerfrage, ob bestimmte Ernährungsbestandteile für ein starkes Immunsystem bei älteren Erwachsenen besonders benötigt werden, fasst die Ernährungsgeragogin zusammen:

"Die Ernährung sollte vor allem viel Gemüse enthalten. Gemüse ist eigentlich noch wichtiger als Obst. Zudem ist es wichtig, dass der Vitamin-D-Spiegel passt, sowie auch andere Nährstoffe wie zum Beispiel Zink. Generell sollte die Ernährungsweise nicht monoton sein, um Dysbalancen und Nährstoffmängel zu vermeiden."

Rezepte-Sammlung für Pflegekräfte

Moderator Werner Rannacher erzählte abschließend von seinem Projekt einer Rezepte-Sammlung typisch österreichischer Speisen. Diese soll für 24-Stunden-Pflegekräfte in deren jeweilige Muttersprache, etwa Slowakisch, Ungarisch oder Polnisch, übersetzt werden – ein weiterer hilfreicher Baustein für die gesunde und individuell abgestimmte Ernährungsversorgung älterer, pflegebedürftiger Menschen.

Die Abschlussstatements der Ernährungsexpertinnen an diesem Tag:
Prof. Sandra Holasek:

"Wichtig ist, Patientinnen und Patienten als Mensch wahrzunehmen. Zudem bringt gesunde Ernährung neben der Nährstoffdeckung noch viel mehr weiteres Positives mit sich."

Prof. Brigitte Pleyer:

"Es geht in der Ernährungsversorgung älterer Erwachsener vor allem um die Eckpfeiler Zuhören, Bedarf erheben und Analysieren. "

Dr. Sandra Schüssler:

"Wichtig ist, genügend Möglichkeiten zur Ernährungsfortbildung vorzufinden, vor allem für Angehörige. Ein gewisses Angebot, auch online, gibt es bereits."

Weitere Informationen:
Med Uni Graz - Ernährung fürs Immunsystem
Med Uni Graz - Institut für Pflegewissenschaften
Pädagogische Hochschule Steiermark
Steirisches Ernährungs- und Technologiezentrum
PH-Rektorin Elgrid Messner: Gesunde Ernährung muss zum Schulfach werden
Lachen stärkt das Immunsystem
Antivirale Wirkstoffe in Lebensmitteln

Nährstoffe sind "Teamplayer" und ergänzen einander durch ihre jeweiligen spezifischen Eigenschaften. | Foto: Lubos Houska / Pixabay
Viele Gemüsesorten und Kräuter enthalten nicht nur grundlegende Nährstoffe, sondern auch sekundäre Pflanzenstoffe (z.B. Polyphenole) mit entzündungshemmenden, antibakteriellen und antiviralen Eigenschaften. | Foto: Pixabay
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