Neue Regierung unter Türkis-Blau. Kurz und Strache stehen vor existenziellen Entscheidungen
Eine Analyse von Wolfgang Unterhuber.
Veränderung und neuer Stil: das sind knapp zusammengefasst jene beiden Schlagworte, die aus dem Wahlkampf in Erinnerung geblieben sind. Stehen uns jetzt also tatsächlich radikale Umwälzungen bevor? Möglich. Aber das hängt nicht nur von der Regierung ab.
Neuer Stil bei Koalitionsverhandlungen
Doch bleiben wir zunächst beim Kabinett Kurz/Strache I. Die Koalitionsverhandlungen entsprachen tatsächlich einem neuen Stil. Falls gestritten wurde, dann trat das nicht an die Öffentlichkeit. Gegenüber der täglichen Rot-Schwarzen Balgerei eine geradezu revolutionäre Verbesserung im politischen Umgangsstil.
Was aber speziell in der ÖVP einem qualitativen Quantensprung gleichkommt, ist die Tatsache, dass die Koalitionsverhandlungen nicht mit Querschüssen aus den eigenen Reihen torpediert wurden.
ÖVP-Minister: Viele Expertinnen und Experten
Das sticht besonders bei der VP-Ministerliste ins Auge. Für die ÖVP ziehen großteils Expertinnen und Experten in die Ministerien ein und eher keine Partei-Kader.
Historisch ist, dass es in der neuen Regierung überhaupt keine Minister aus Niederösterreich und Oberösterreich gibt. Kurz hat in seiner Partei offensichtlich also tatsächlich das Sagen. Und die Partei folgt ihm, weil sie weiß, wo sie ohne ihn jetzt wäre.
FPÖ: fixe Konstante in der Innenpolitik
Und die FPÖ? HC Strache hat sein langjähriges Ziel erreicht. Mit der Regierungsbeteiligung krönt er seine politische Laufbahn. Dabei ist davon auszugehen, dass die FPÖ weitaus stabiler agieren wird als in der Ära Schüssel, als man sich sozusagen gleich zwei Mal selbst in die Luft sprengte (siehe Knittelfeld und Abspaltung BZÖ).
Der Grund: Die FPÖ ist keine fragile populistische Protest-Strömung mehr sondern eine innere gefestigte Partei für Angehörige der ökonomisch mittleren und unteren sozialen Schichten, die sich als Systemverlierer sehen.
Zentral: Steuerquote und Flüchtlingsthema
Gemessen wird die neue Regierung an zwei Themen werden. An der Lösung der Probleme in der Zuwanderungs- und Flüchtlingsthematik und an der Senkung der Steuern- und Abgabenquote. Diese beiden Themen haben Kurz und Strache den Wahlerfolg beschert.
Beim Thema Flüchtlinge ist seit dem vergangenen EU-Gipfel klar, dass es nur noch nationale Lösungen geben kann, da die EU weder die Aussengrenzen noch die Aufteilung der Flüchtlinge jemals auf die Reihe bekommen wird.
Moslems: Sensibilität versus Flammenwerfer
Die neue Regierung wird also wie auch schon zuletzt unter Rot-Schwarz eine härtere Einwanderungs- und Asylpolitik verfolgen. Angesichts einer hohen Dauerarbeitlosigkeit trotz Wirtschaftswachstum ist das aus wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Persepktive nachvollziehbar und wird von großen Teilen der Bevölkerung auch gewünscht.
Spannend wird, wie die neue Regierung dem Islamistenproblem hierzulande begegnen wird. So sehr im Sinne der Demokratie und Frauenrechte eine härtere Vorgangseise gegenüber den Sittenwächtern einer archaischen Weltanschaung aus dem Mittelalter zu begrüßen ist, so sehr ist vor Pauschalierungen und Aktionen mit Kollateralschaden-Potenzial zu warnen. Denn für die Mehrheit der Moslems hierzulande gilt dasselbe wie für die Taufscheinchristen: Man ist dabei - aber nur auf dem Papier. Und das sollte auch so bleiben.
Steuern runter - aber Sparen tut weh
Sensibilität wird auch in puncto Steuern und Abgaben erforderlich sein. Denn eine Senkung ist überfällig. Aber wo spart man im Gegenzug ein? Wenn Kurz im Wahlkampf von der Zuwanderung ins Sozialsystem sprach, der es schon rein aus finanzpolitischen Gründen entgegenzuwirken gelte, so ist das richtig. Aber eine Senkung der Steuern- und Abgabenquote von 43 auf 40 Prozent wird man damit allein nicht gegenfinanzieren können.
Die Regierung wird also auch unpopuläre Maßnahmen beschließen müssen. Das wird Konflikte auslösen. Konflikte, die auch auf der Strasse stattfinden werden. In erster Reihe wird dabei die SPÖ und ihre Gewerkschaft stehen. Denn sie sind die Apostel des Bewahrenden, die wahren Konservativen, für die Veränderung Verschlechterung bedeutet.
Wohlstandssicherung durch Flexibilität
Das ist keine Kritik sondern nur ein Beweis, wie erfolgreich die Sozialdemokratie ihre Ideologie verwirklicht hat. Ihr Ziel "Wohlstand und gleiche Rechte für alle", wurde in den vergangenen Jahrzehnten erreicht. Der durchschnittliche Wohlstand hat aber den Zenit erreicht. Jetzt kann man höchstens noch einen höheren Mindestlohn oder eine 35-Stunden-Woche fordern. Das ist es aber auch schon.
Vor globalen Veränderungen
Freilich: so sehr die konservativen Kräfte gegen die Pläne der neuen Regierung Sturm laufen werden, verhindern lassen sie sich nicht. Denn uns allen stehen neue existenzielle Entwicklungen und Veränderungen bevor, die nicht wir entscheiden werden sondern andere.
Ob wir 40 oder 60 Stunden arbeiten und welche Arbeit es in welchem Ausmaß in zehn Jahren überhaupt noch geben wird, dass wird in den High-tech-Schmieden in Kalifornien und Ostasien entschieden. Denn dort spielt die Musik. Und wir können uns entscheiden, ob wir das Beste daraus machen oder den Kopf in den Sand stecken.
Mit oder gegen den Strom
Die Folgen der Digitalisierung und Globalisierung sind nicht mehr aufzuhalten. Und mit jeder Online-Bestellung, jedem Kauf eines Handys oder TV-Geräts und jedem Einkauf bei Ikea, H&M, Zara und so weiter unterstützen auch Sie liebe Leserinnen und Leser diese Entwicklung.
Das wird die wahre Aufgabenstellung für diese Regierung sein. Sie muss sich entscheiden, ob sie mit oder gegen den Strom schwimmen will. In diesem Fall ist "mit dem Strom" sogar schwieriger. Denn das heißt dann wirklich Veränderung. Und zwar bald und nicht irgendwann.
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