Reaktionen auf Karas-Rückzug
"ÖVP zerlegt sich in ihre Einzelteile"
Am Donnerstag gab der langjährige Europaabgeordnete der ÖVP, Othmar Karas, bekannt, dass er bei der EU-Wahl im kommenden Jahr nicht mehr antreten werde. Wie der erste Vizepräsident des Europäischen Parlament erklärte, seien die Gründe für den Abgang auf das Zerwürfnis zwischen ihm und der Volkspartei zurückzuführen. Während die ÖVP die Entscheidung "zur Kenntnis" nahm, reagierte die Opposition mit massiver Kritik an der Volkspartei und ortet einen "Zerfallsprozess" und eine "Radikalisierung" der Türkisen.
ÖSTERREICH. Die ÖVP sei "nicht mehr dieselbe Europapartei, die ich einst mitgestaltet habe", erklärte Karas am Donnerstag in einem persönlichen Statement. So kritisierte das Partei-Urgestein etwa die Rolle der Volkspartei in Europa und deren Standpunkt in Sachen Asyl und Politik. Außerdem störe er sich – mit Verweis auf die Bargelddebatte – an der "sinnlosen Emotionalisierung und Politisierung" der ÖVP.
"Nehmen Entscheidung zur Kenntnis"
Die Türkisen reagierten am Donnerstag in Person von Generalsekretär Christian Stocker auf den Rückzug ihres Europaabgeordneten und nehmen dessen Entscheidung "zur Kenntnis", wie es in einer Presseaussendung heißt. Stocker betonte zwar, dass Karas "viele Jahre in der Volkspartei engagiert" gewesen sei und die Politik der EU mitgestaltet habe, es sei aber "nichts Neues, dass sich die Positionen der Volkspartei sowie jene von Othmar Karas insbesondere in den vergangenen Jahren immer weiter voneinander entfernt haben", so der türkise Generalsekretär.
SPÖ: "Ende der ÖVP als christlich-soziale Europapartei"
Gleich mehrere SPÖ-Politiker reagierten auf Karas Entscheidung und dessen persönliches Statement. Der EU-Delegationsleiter der Roten, Andreas Schieder, zollte dem ersten Vizepräsidenten des EU-Parlaments seinen Respekt und bezeichnete Karas als einen "überzeugten Europäer und Demokraten mit klarer Haltung". Schieder bedankte sich für die gemeinsame Zusammenarbeit, hob aber gleichzeitig hervor, dass das klare Statement "das Ende der ÖVP als christlich-soziale Europapartei" markiere. Schließlich sei für einen proeuropäischen Christdemokraten wie Karas kein Platz mehr "in dieser radikalisierten Nehammer-ÖVP".
Der SPÖ-Vorsitzende Adreas Babler warb unterdessen in einer Presseaussendung um die Unterstützung der christlich-sozialen Wählerinnen und Wähler. "Was wir in der Sozialdemokratie Solidarität nennen, bezeichnen Christlich-Soziale als Nächstenliebe - beide meinen damit, dass breite Schultern mehr tragen und im gesellschaftlichen Zusammenhalt die größte Kraft liegt", so der Traiskirchner Bürgermeister. Während die ÖVP diesen "ur-österreichischen Anspruch" aufgegeben habe, wolle sich die SPÖ für eine Politik engagieren, die auf Solidarität bzw. Nächstenliebe setze. Babler reiche daher allen Christlich-Sozialen in der ÖVP die Hand, um "Österreich und Europa gemeinsam besser und gerechter" zu machen.
FPÖ sieht Österreicher in "Geiselhaft" der ÖVP
FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz sieht in Karas Rückzug ein Zeichen dafür, dass "der völlige Zerfalls- und Spaltungsprozess der ÖVP" immer weiter voranschreite und sich die Partei in ihre Einzelteile zerlege. Zudem übte Schnedlitz Kritik daran, dass Karas, der "Hohepriester des Brüssler EU-Zentralismus", bis zur kommenden EU-Wahl sein Mandat weiter ausüben werde. Nach Ansicht des blauen Generalsekretärs befinde sich die ÖVP damit in einem "Zustand der politischen Schizophrenie", da Karas "jene gegen die Souveränität unserer Heimat und die eigene Bevölkerung gerichtete ÖVP-Politik weiterbetreiben" werde, während die Volkspartei dies wiederum "heuchlerisch zu kaschieren versuchen wird". Die FPÖ forderte Nehammer auf, die Bevölkerung "endlich aus der Geiselhaft seiner zusammenkrachenden ÖVP" zu befreien, von seinem Amt als Bundeskanzler zurückzutreten und Neuwahlen auszurufen.
NEOS sehen sich als einzige pro-europäische Bewegung
NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger zollte Othmar Karas für dessen Entscheidung großen Respekt. "Seinen Befund hinsichtlich der Entwicklung der ÖVP teilen wir seit Langem. Sein Signal an die ÖVP halten wir für ebenso unmissverständlich wie längst überfällig. Die ÖVP hat die Werte sehr vieler Menschen aufgegeben", so die pinke Klubchefin. Die Volkspartei verliere nun ihren "letzten aufrechten Europäer", weshalb die NEOS die "einzig verbliebene klar pro-europäische Bewegung" sei. Die Pinken wollen ihren "progressiven, konstruktiven, aber auch kritischen Kurs mit Blick auf die EU fortsetzen" und weiter mit aller Kraft daran arbeiten, "die Vision der entscheidungs-, handlungs- und nicht zuletzt verteidigungsfähigen Vereinigten Staaten von Europa wahr werden zu lassen", so Meinl-Reisinger.
Das könnte dich auch interessieren:
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.