"Brauchen dritten Partner"
Nehammer für Koalitionsverhandlungen bereit

- ÖVP-Chef Karl Nehammer
- Foto: Roland Ferrigato
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Nachdem die Parteichefs von FPÖ, ÖVP und SPÖ Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Ergebnisse der angeordneten Einzelgespräche mitgeteilt hatten, beauftragte das Staatsoberhaupt am Dienstag den Zweitplatzierten der Nationalratswahl 2024, ÖVP-Chef Karl Nehammer, mit der Regierungsbildung. Nur wenige Stunden nach Van der Bellen Erklärung äußerte sich auch Nehammer selbst zur weiteren Vorgehensweise.
ÖSTERREICH. "Klar und unmissverständlich: Herbert Kickl findet keinen Koalitionspartner, der ihn zum Bundeskanzler macht", erklärte Van der Bellen am Dienstag im Rahmen einer Pressekonferenz. Der Bundespräsident betonte, dass Nehammer und SPÖ-Chef Andreas Babler auch nach ihren Einzelgesprächen mit dem freiheitlichen Parteichef eine Koalition mit Kickl ausschließen. Der FPÖ-Chef habe gegenüber Van der Bellen hingegen festgehalten, dass es eine Regierungsbeteiligung seiner Partei ausschließlich mit ihm als Bundeskanzler geben werde.
"Ich beauftrage daher Karl Nehammer, den Vorsitzenden der zweitstärksten Parlamentspartei, mit der Regierungsbildung", erklärte Van der Bellen. Das habe er dem ÖVP-Chef bereits am Vormittag mitgeteilt und ihn darum gebeten, umgehend Verhandlungen mit der SPÖ aufzunehmen. Es gelte zudem abzuwägen, ob eine dritte Partei in kommende Regierungsverhandlungen eingebunden werden soll.
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Nehammer will eine Regierung mit breiter Mehrheit
Auch der ÖVP-Chef betonte, dass die Grundlage einer Demokratie eine parlamentarische Mehrheit sei. Als stimmenstärkste Partei finde die FPÖ diese Mehrheit jedoch nicht, weshalb der Bundespräsident Nehammer den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung erteilt habe. "Ich nehme diesen Auftrag in aller Redlichkeit und Ernsthaftigkeit an und werde hart dafür arbeiten, dass Österreich eine stabile und von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragene Bundesregierung bekommt", betonte der Bundeskanzler.
Nehammer erklärte, dass er seine Versprechen aus dem Wahlkampf halten werde. Er stehe für eine Politik der Stabilität und der Mitte. Er wolle das Gemeinsame vor das Trennende stellen, um die besten Lösungen für Österreich und seine Bevölkerung zu finden.
"Sorgen der Menschen ernst nehmen"
"In Österreich braucht es Koalitionen, um eine Mehrheit im Parlament zu finden", betonte Nehammer. Für eine stabile Regierung brauche es Inhalte und Partner. Der ÖVP-Chef verwies darauf, dass das Wahlergebnis "mit Sicherheit kein Auftrag für ein Weiter wie bisher" sei. Österreich benötige Veränderungen und Reformen. Die Politik müsse die Sorgen der Menschen ernst nehmen und in das "Zentrum ihres Tuns" stellen.
"Ich werde bei allen Gesprächen, die ich in den kommenden Wochen führe, versuchen, die Sorgen und Ängste aller Menschen in Österreich mitzubedenken und in die Verhandlungen mitzunehmen. Vor allem auch die Anliegen jener, und das ist mir jetzt besonders wichtig, die uns dieses Mal nicht ihr Vertrauen geschenkt haben. Sie dürfen ebenso nicht ungehört bleiben", so der ÖVP-Chef.
ÖVP-Chef will mehrere Reformen angehen
Im Anschluss zählte Nehammer seine inhaltlichen Schwerpunkte für die bevorstehenden Gespräche auf. Zunächst verwies der Bundeskanzler auf die Standortpolitik, die Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit. Dies seien "große Zukunftsfragen" in Bezug auf den Wohlstand. Da sich Österreich in einer "mehr als schwierigen Phase" befinde, müsse die künftige Regierung Maßnahmen setzen, um die Wirtschaft und den Standort zu stärken und den erarbeiteten Wohlstand sicherzustellen. Ein weiteres Kernthema seien Migration und Integration, die zu den größten Herausforderungen der kommenden Jahre zählen würden, wie Nehammer betonte. Österreich habe hier bereits eine Fülle von Maßnahmen ergriffen, jedoch benötige es noch mehr, "um den Problemen, die daraus entstehen, auch tatsächlich gerecht zu werden".
Nehammer erwähnte weiters, dass Österreich ein Gesundheits- und Pflegesystem benötige, "das tatsächlich für die Menschen da ist. Das heißt für mich flächendeckende Versorgung und vor allem kurze Wartezeiten." Da der Wohlfahrtsstaat in Österreich auch finanziert werden müsse, brauche es weitere Anreize für die Menschen, Leistung zu erbringen und zu arbeiten. "Daher müssen wir auch dafür sorgen, dass sich Arbeit in unserem Land auch tatsächlich lohnt", wiederholte der ÖVP-Chef ein Wahlmotto seiner Partei.
Nehammer: "Brauchen dritten Partner"
Ungeachtet der Inhalte werde die neue Regierung eine neue Form des Regierens und des Miteinanders finden müssen, erklärte Nehammer: "Ich sage das sehr bewusst, weil das auch ein Teil des Kein-Weiter-wie-bisher sein muss." Er werde dem Wunsch des Bundespräsidenten entsprechend in den kommenden Wochen in vertiefende Sondierungsgespräche und Verhandlungen mit der SPÖ eintreten.
Diese Gespräche seien ein erster wichtiger Schritt, "aber mit Sicherheit nicht der letzte", betonte Nehammer. Im Sinne einer stabilen parlamentarischen Mehrheit werde es einen dritten Partner benötigen, um die notwendigen Veränderungen und Reformen durchführen zu können. Der ÖVP-Chef erklärte jedoch, er könne nicht versprechen, ob die Gespräche und Verhandlungen tatsächlich zu einer Regierungsbildung führen werden. "Was ich Ihnen aber versprechen kann, ist, dass ich im Sinne der Stabilität, der Verlässlichkeit und der Verantwortung für unser Land handeln werde", so Nehammer.
"Große Koalition" nur mit hauchdünner Mehrheit
Bei der Nationalratswahl am 29. September ging die FPÖ mit 28,9 Prozent als Sieger hervor. Dahinter folgten die ÖVP mit 26,3 Prozent sowie die SPÖ mit 21,1 Prozent. Aufgrund der Mandatsverteilung im neuen Nationalrat könnten die Freiheitlichen jeweils mit der Volkspartei und den Sozialdemokraten eine Mehrheit finden. Nehammer und Babler schlossen eine Zusammenarbeit mit Kickl bzw. der FPÖ jedoch aus, was sie am Montag bei ihren jeweiligen Gesprächen mit Van der Bellen nochmals betonten.
Da ÖVP und SPÖ gemeinsam auf 92 Mandate kommen, könnten sie auch eine klassische "Große Koalition" wieder aufleben lassen. In der Realität würde eine solche Zusammenarbeit jedoch auf äußerst wackeligen Beinen stehen: Sobald ein Abgeordneter der ÖVP oder SPÖ bei einer Sitzung fehlen würde, hätten die beiden Parteien keine Mehrheit mehr und könnten somit alleine auch keine Gesetze beschließen. Wie Nehammer betonte, hätte eine möglich Dreiervariante aus ÖVP, SPÖ und den NEOS bzw. Grünen dagegen eine klare Mehrheit im Hohen Haus.
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