Kopf - mein bester Freund und schlimmster Feind zugleich
Unnachgiebig

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Ich laufe in einem konstanten aber gedrosselten Tempo los. Mein durch meinen Unfall gehandikapter Fuß macht mir, entgegen meiner Erwartungen, keine Probleme. Beruhigung. Ich löse ich mich von meiner anfänglichen Angst des Stolperns und auf die Nase Fallens. Während ich mich nach vorne bewege, genieße ich den grünlich frischen Anblick der Tändelwiese. Gleichzeitig atme ich die von der Mur aufbereitete und gereinigte Grazer Stadtluft bewusst in jede Pore meiner Lunge ein. Ich bin unnachgiebig. Die ersten fünf Kilometer vergehen wie auf einem Schnellflug. Die begeisterten Zuschauer tun mit lauten Jubelschreien ihr Übriges, um mich mit Energie zu versorgen. Hoffnung.



Schon recht früh bilden sich die ersten Gruppen. Ich sehe Mitglieder eines Laufvereines vor mir. Sie laufen in einem für mich zwar fordernden, jedoch annehmbaren Tempo. Daher beschließe ich, meine Geschwindigkeit so lange wie möglich zu halten und laufe hinter ihnen her. Jedoch realisiere ich nach und nach, dass sie zu schnell unterwegs sind. Es wird zu anstrengend. Atmen. Letztendlich verlangsame mein Tempo wieder, denn der Lauf hat schließlich erst begonnen. Und plötzlich höre ich ihn sprechen. Herzklopfen. Ich habe es befürchtet:



"Jetzt ist es aber genug. Es ist zu weit. Du hast gerade einmal ein Viertel geschafft. Und du bist schon müde. Deine Idee ist irrsinnig."



Schnaufen. Gleichzeitig habe ich es geahnt. Mein Kopf. Er will mich es mir nicht so einfach machen. Dann beginnt mein rechter Fußheber schwächer zu werden. Ich bin unnachgiebig! Zweifel. Bin ich das wirklich? Er flüstert:



"Warum tust du dir das an? Lass uns eine Pause einlegen. Gehen wir nachhause. Es ist Sonntag. Du musst einen Joint rauchen. Deinen Mittagsschlaf hast du auch noch nicht gehalten."



Nein. Ich bin unnachgiebig! Ich bin unnachgiebig! Ich schreie es heraus. Zweifel. Wie soll ich das schaffen? Lauf einfach´! Mein Tempo drossle ich etwas. Ich werde langsamer, bleibe aber in Bewegung. Schritt für Schritt und Meter für Meter bewege ich mich nach vorne. Ich kann jetzt nicht aufgeben. Ich darf jetzt nicht aufgeben! Hoffnung.



Und im selben Moment werde ich aus meinem Trance Zustand geholt. Ich sehe meinen Freund Christoph: „Dani! Komm schon!“, ruft er mir mit gesammelter Leidenschaft zu. Seine kleine Tochter hat er auf seinen Schultern positioniert. Danke Christoph! Die Stimme wird leiser. Getränkestation. Endlich. Ich fülle meinen Elektrolyten Speicher auf und laufe dann weiter. Wieder erhöhe ich mein Tempo. Ich bin unnachgiebig.



Dieser kurze Motivationsschub hält jedoch leider nicht lange an. Auf einem ruhigen und unbelaufenen Stück der Strecke macht er sich wieder bemerkbar. Das Spiel geht von vorne los. Er versucht mich mit allen Mitteln zur Aufgabe zu zwingen:



"Warum tust du dir diesen Blödsinn an? Hast du nichts Besseres zu tun? Hör auf! BLEIB ENDLICH STEHEN!"



Ich bin unnachgiebig. Ich bin UNNACHGIEBIG! Ich wiederhole diesen Satz immer wieder, einmal laut, einmal in meinem Kopf. ´´´´´´´´´´´´´´´´Affirmationen sind ein mächtiges Werkzeug. Je öfter ich sie laut ausspreche, desto mehr beginne ich an sie zu glauben. Hoffnung. Schritt für Schritt und Meter für Meter bewege ich mich nach vorne.



Bin ich das wirklich? Unnachgiebig? Unsicherheit. Ich beginne mich zu fragen, ob es denn so eine gute Idee gewesen ist, meinen Lauf so stark über die sozialen Medien zu bewerben. Wieder beginnt er zu sprechen:



"Nach der Blamage die du heute ablieferst, kannst du aus Graz ausziehen. Merkst du nicht, wie sie dich auslachen? DU BIST LÄCHERLICH!"



Kurz vor Abschluss der ersten Runde sehe ich den nächsten Leuchtturm der Hoffnung: Meine Mutter. Sie schreit mir leidenschaftlich zu: „Bravo Dani! Bravo! Weiter so!“. Ich kann jetzt nicht aufgeben. Ich darf jetzt nicht aufgeben. Mit einem angestrengten Lächeln werfe ich ihr eine Kusshand zu. Liebe. Ich spüre sie.



Mein Tempo erhöhe ich kurz darauf wieder. Geradewegs laufe ich durch das Ziel. Die zweite Runde beginnt. Schritt für Schritt und Meter für Meter bewege ich mich nach vorne. Ich bin unnachgiebig.



Wieder halte ich das erhöhte Tempo nur kurzzeitig. Auch die Stimme in meinem Kopf ist unnachgiebig. Dieses Mal redet sie mir zu:



"Du hast gerade einmal die Hälfte geschafft? Wer glaubst du, dass du bist? Komm schon. Brich ab. Du hast dich für heute schon genug angestrengt."



Ich bin unnachgiebig! Schnaufen. Verzweiflung bestimmt meine Gedanken. Hoffnung. Ich kann jetzt nicht lockerlassen. Ich werde nicht lockerlassen. Nach und nach bemerke ich, wer mein stärkster Gegner in diesem Leben ist.



Wieder Hoffnung. Nach einer gefühlten Ewigkeit erscheint mein Freund Simon hinter mir. Am Fahrrad sitzend ruft er mir zu: „Komm Danijel. Steig auf das Gas! Fünf Kilometer noch, komm schon!" Mein Kopf antwortet:



"Fünf Kilometer? Wie um Gottes Willen willst du das schaffen? Sieh dich an. Du bist bis zur Unterhose verschwitzt. Bleib endlich stehen!"



Einmal mehr wird mir klar, was für ein guter Freund Simon doch ist. Er ist an einem Sonntag um 05:00 Uhr morgens aufgestanden, damit er mich für diesen Lauf unterstützen kann. Danke Simon! Aufgeben ist keine Option. Aufgeben ist nie eine Option gewesen. Noch immer bewege ich mich nach vorne, Meter für Meter und Schritt für Schritt. Ich bin unnachgiebig!



Mittlerweile bin ich aber auch erschöpft. Mein internes Navigationssystem ist fast gänzlich ausgefallen. Bei jeder Kurve frage ich Simon, in welche Richtung es geht. Wenn dieser gerade nicht an den Schranken vorbeikommt, lasse ich mich von den Sicherheitsbeamten leiten. Ich übersehe auch die aufgrund der mangelhaften Absperrung der Strecke mir entgegenkommenden Fahrzeuge und laufe ihnen kerzengerade entgegen. Simons Warnungen ignoriere ich. Lautes Schnaufen.  Mein Kopf in Dauerschleife:



"Gib auf. Bleib stehen. Mach Pause. Gehen wir nachhause!"



Ich bin unnachgiebig! Unregelmäßiges Schnaufen. Ich möchte zu heulen beginnen. Wann wird das enden? Fragen über Fragen. Es lässt nicht locker und spricht weiter:



"Komm schon, gib auf! BLEIB ENDLICH STEHEN!"



Ignoranz kann manchmal eine Tugend sein. Während ich mich röchelnd nach vorne bewege, sehe ich auf mein von Körperwasser durchtränktes T-Shirt hinab: Wiener Hilfswerk. Und dann realisiere ich es: Für diese Menschen laufe ich. Für sie habe ich meine Teilnahme am Graz Halbmarathon so stark beworben. Mein Lauf ist all Jenen gewidmet, die sich gerade an einem dunklen Ort befinden und kein Licht sehen. Ich bin dieses Licht. Ich möchte EUCH ALLEN zeigen, wie mächtig der menschliche Geist ist, wenn er etwas will. Und ich werde es euch zeigen! Ich weiß jetzt wofür ich laufe. Ich weiß jetzt wer ich bin: ein Überlebender. Und ich bin unnachgiebig. Wieder werde ich schneller.



Und plötzlich kehrt die Trendwende ein. Nach einer langen Durststrecke bleibe ich an der, so glaube ich, letzten Getränkestation vor dem Ziel stehen. Simon erscheint hinter mir. „Komm schon Danijel, du hast nur noch 2,8 km vor dir. Du schaffst das!“, schreit er mir fast entgegen und ermutigt mich, die Sache gebührend abzuschließen. Ich schaffe das! Ein letztes Mal beginne ich mich, nach vorne zu bewegen, Meter für Meter und Schritt für Schritt.



Ich bin nun alleine. Mein Kopf ist frei. Stetig erhöhe ich mein Tempo. „Eine Kurve noch Danijel!“, sichert mir mein Freund zu. Ich höre nicht darauf. Ich laufe. Ich schaffe das! Ich habe schon so viel mehr in meinem Leben geschafft. Die Jubelschreie der anwesenden Zuschauer werden lauter. Ich bin auf der Zielgeraden. Nur nicht stolpern. Und dann die Erlösung: die Ziellinie. Ich überschreite sie. Ein unglaublicher Hauch von Erleichterung tropft gemeinsam mit dem Schweiß der Unnachgiebigkeit von meinem Körper ab.

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