Österreich
"Jeder zweite Pflegebedürftige in Menschenrechten verletzt"

Schul daran sind nicht die Pfleger: Sie würden sich gerne kümmern, würde man ihnen nur die Zeit dafür geben. | Foto: Pixabay
2Bilder
  • Schul daran sind nicht die Pfleger: Sie würden sich gerne kümmern, würde man ihnen nur die Zeit dafür geben.
  • Foto: Pixabay
  • hochgeladen von Magazin RegionalMedien Austria

Sie werden angebunden, mit zu vielen Medikamenten sediert oder bekommen die Sonne einfach tagelang nicht zu sehen: Jene Pflegebedürftigen, die ob des massiven Mangels an Personals in ihren Menschenrechten täglich verletzt werden. Jetzt schlägt die Volksanwaltschaft Alarm.

ÖSTERREICH. Schuld daran sind nicht die Pfleger, die sich gerne zeitintensiv und liebevoll kümmern würden, sondern das System, das unzureichende Betreuungsschlüssel vorschreibt, die Mitarbeiter bis zur Erschöpfung überlastete und künftiges Pflegepersonal mit unattraktiven Arbeitsbedingungen abschreckt, statt anlockt. Nun reagierte sogar die Volksanwalt: Chef Bernhard Achitz attestiert in der Pflege gemeinsam mit AK-Oberösterreich-Präsident Johann Kalliauer und AK-Tirol Präsident Erwin Zangerl massive Menschenrechtsverletzungen in über 50 Prozent der Fälle und fordert erneut, dass menschenwürdige Lebensbedingungen und zufriedenstellende Arbeitsbedingungen in der Pflege endlich sichergestellt werden müssen.

Sediert, eingesperrt und fixiert

"Da gibt es Fälle, wo etwa ein Pfleger für 114 Personen alleine nachts zuständig ist,  und das in zwei Häusern", berichtet Achitz von den von der Volksanwaltschaft recherchierten Fällen: "Pflegebedürftige werden nicht nach ihren Bedürfnissen, sondern nach dem Mindestmöglichen, was durch die knappe Personalversorgung und dem straffen Dienstplan möglich ist." So würden Patienten etwa nicht gebadet werden, müssten das Abendessen um 16.30 einnehmen, werden um 18 Uhr mit Medikamenten 'schlafen gelegt', dafür um fünf Uhr in der Früh geweckt und müssen frühstücken. Besonders schlimm trifft es Demenz-Kranke, die oft 'fixiert' werden oder schlicht eingesperrt.

"Bei 90 Prozent gab es Menschenrechtsverletzungen, die teilweise von uns als präventiv eingestuft wurden, teilweise auch tatsächliche Grundrechtsverletzungen ausmachen. Bei jedenfalls 50 Prozent werden akute Menschenrechtsverletzung festgestellt", so Achitz.

Das ist jeder zweite Pflegebedürftige. 520 Einrichtungen wurden von der Volksanwaltschaft kontrolliert.

Menschenrechte dürfen nicht an finanziellen Mittel scheitern

"Wir wollen, dass Menschen die pflegebedürftig sind, gewaltfrei und ohne Einschränkung ihrer Grundrechte gepflegt werden. Doch oft sind die Rahmenbedingungen so, dass das nicht möglich ist. Freiheitsentzug, erhöhte Medikation, Fixierungen, Beschränkungen des Aktionsradius, Mahlzeiten Einnahme im  Rhythmus der Diensthabenden, das sind alles Beispiele für die aktuelle Lage, und dafür, wie es nicht sein darf", so Achitz. Und weiter: "Selbstbestimmt und wie gewohnt leben zu können ist ein Menschenrecht. Daher muss man mehr Ressourcen investieren.
Wir wollen, dass die Kommissionen keine Menschenrechtsverletzungen mehr feststellen müssen, sondern nur mehr präventiv Ratschläge geben muss. Menschenrechte dürfe nicht an finanziellen Mittel scheitern."

Schul daran sind nicht die Pfleger: Sie würden sich gerne kümmern, würde man ihnen nur die Zeit dafür geben. | Foto: Pixabay
  • Schul daran sind nicht die Pfleger: Sie würden sich gerne kümmern, würde man ihnen nur die Zeit dafür geben.
  • Foto: Pixabay
  • hochgeladen von Magazin RegionalMedien Austria

Betreuungschlüssel ist veraltet

Arbeiterkammerpräsident Kalliauer präzisiert, dass all dies nicht die Schuld der Pfleger ist: "Unsere
Arbeitnehmer sagen, sie schaffen es nicht, warm, satt, sauberer kann nicht reichen, aber es bleibt ihnen einfach keine Zeit für Zuwendung zu ihren Patienten.  Die Arbeitgeber hingegen sagen wieder, dass der Pflegeschlüssel eh eingehalten wird." Doch Kalliauer weiß auch von Missständen zu berichten, etwa von Fällen, wo Betroffene in eine höhere Pflegestufe eingeordnet werden müssten, dies aber absichtlich unterlassen wird, weil man sonst mehr Personal bräuchte, das man nicht hat. "Der von den Ländern festgesetzte Betreuungsschlüssel ist eigentlich ein Mindestpersonalschlüssel, der aber heute überall zum Maximalpersonalschlüssel verkommen ist, aber die Berechnungen sind aus den Neunzigerjahren und wurden nie adaptiert." Er würde Fehlzeiten, Krankenstände, Schwangerschaften, Ausbildungszeiten sowie den erhöhten Pflegebedarf bei Demenz-Kranken garnicht berücksichtigen. Kalliauer:

"Man behilft sich nun mit lauter Tricks: Man gibt Menschen in keine höhere Pflegestufe, obwohl sie diese brauchen würden, weil man sonst den Pflegeschlüsssel nicht schafft. Für Nachtdienste mit hundert Leuten ist oft nur mehr eine Person für alle zuständig."

Er fordert eine bundesweit einheitliche Personalvorschriften.

"Die Personalausstattung muss eine vernünftige Betreuung im Sinne der Betreuten und der Betreuern zustande bringen. Denn sonst haben wir auch kein attraktives Berufsbild und dann gibt es auch zunehmend weniger Personal für den Beruf. Das muss ja ein attraktiver Beruf sein, der erstrebenswert ist, sonst werden wir die Probleme nicht lösen können!"

Zangerl für 35 Stunden Woche

Auch der AK-Präsident Zangerl nimmt die Pfelger in Schutz.

"Die Arbeit an sich ist sinnstiftend, aber die Belastungen emotional ist einfach enorm, man ist ja mit vielen Schicksalen konfrontiert, das ist nicht einfach."

Er fordert eine gute Begleitung der Auszubildenden, eine Unterstützung von Mitraten durch Deutschkurse, keine Studiengebühren bei der Ausbildung, sondern nach dem Vorbild der Polizei eine bessere Bezahlung, Stipendien, Aufstiegsmöglichkeiten sowie Modell für Quereinsteiger. "Wir müssen alles tun, um es wieder attraktiv zu machen, dass die Menschen in dem Beruf auch zu bleiben, in einem Beruf, in dem man Menschen helfen möchte. " Eine 35-Stunden Woche würde diesbezüglich ein positives Signals ein und den Job maßgeblich attraktiver machen.  Zangerl: "Das wäre ein teil der Lösung." Kalliauer: "Bei Pflegenden stellen wir fest, dass immer mehr sich nicht vorstellen kann, die Tätigkeit bis zur Pension durchzuführen.  Denn Vollzeit ist das nicht auszuhalten.  Die Belastung ist nicht zu unterschätzen." Zangerl kritisiert die mangelnde Investitionsbereitschaft in die Pflege:

"Wenn ich unsere Gemeinden ansehen, dann denke ich mir oft, in die Friedhöfe wird investiert, aber auf den Weg dorthin fehlt uns das Geld."

Streik am 10. März

Rund 125.000 Beschäftigte des privaten Gesundheits-, Sozial- und Pflegebereich sind von dem Kollektivvertrag betroffen. Nach dem ergebnislosen Ende soll am 26. März sogar eine achte Runde stattfinden. Die Gewerkschaften wollen ihrer Forderung nach einer 35-Stunden-Woche in der Zwischenzeit Nachdruck verleihen und rufen nun erneut zu Streiks auf. Die Arbeitgeberverbände boten eine Arbeitszeitverkürzung auf 37 Stunden an. Eine 37-Stunden-Woche könne man den Kolleginnen und Kollegen nicht zumuten, so die Gewerkschaft. Am 10. März sei daher eine große Demonstration angekündigt und auch Streiks werde es bis zur nächsten Verhandlungsrunde geben.

Dieser Inhalt kann nicht angezeigt werden.
Schul daran sind nicht die Pfleger: Sie würden sich gerne kümmern, würde man ihnen nur die Zeit dafür geben. | Foto: Pixabay
Die Volksanwaltschaft schlägt Alarm: Jeder zweite Pflegebedürftige wird in seinen Menschenrechten verletzt. | Foto: Pixabay

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN


Aktuelle Nachrichten aus Österreich auf MeinBezirk.at

Neuigkeiten aus deinem Bezirk als Push-Nachricht direkt aufs Handy

MeinBezirk auf Facebook: MeinBezirk.at/Österrreichweite Nachrichten

MeinBezirk auf Instagram: @meinbezirk.at


Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.