STERTZ-Dialogserie zu Ernährungsthemen
Podiumsdiskussion: Sind Lebensmittel heute eher Leidensmittel?

Gedanken zu Ernährungsthemen und Lebensmittelherstellung machten sich Oskar Wawschinek, Didi Dorner, Helmut Österreicher, Ingrid Kiefer und Josef Zotter (v.l.n.r.) | Foto: Christian Jungwirth
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  • Gedanken zu Ernährungsthemen und Lebensmittelherstellung machten sich Oskar Wawschinek, Didi Dorner, Helmut Österreicher, Ingrid Kiefer und Josef Zotter (v.l.n.r.)
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Gespräche mit inhaltlicher Würze, fachlichen Expertisen und nachhaltiger Wirkung: Dafür steht die Veranstaltungsreihe "Der Österreicher würzt nach" des Steirischen Ernährungs- und Technologiezentrum (Stertz). Diskussionspartner sind Experten unterschiedlicher Fachbereiche, die sowohl miteinander am Podium als auch mit dem interdisziplinären Publikum über drängende Ernährungsthemen diskutieren. Moderiert und inhaltlich "nachgewürzt" werden die Diskussionen von Starkoch Helmut Österreicher.

Lebensmittelhersteller unter Druck

Die dritte Veranstaltung der Dialogserie – dieses Mal im Grazer Augartenhotel – widmete sich dem in den vergangenen Jahren gesunkenen Vertrauen der Konsumenten in die Lebensmittelindustrie.
Durch Preisdruck auf Landwirte und kleine Lebensmittelerzeuger, Massentierhaltungen, oder auch nachweislich ungesunde Inhaltsstoffe wie Transfette, haben sich viele Hersteller und Supermarktketten Kritik von Konsumenten, Ernährungsmedizinern und Umweltorganisationen zugezogen. Zudem leiden darunter die regionale Landwirtschaft, kleine Hersteller und die Gesundheit – nicht zuletzt auch das Gesundheitssystem.

Stärkung der Regionalität

Auf Initiative der steirischen Landesräte Johann Seitinger, Barbara Eibinger-Miedl und Christopher Drexler, wurde deshalb das Steirische Ernährungs- und Technologiezentrum "Stertz" gegründet, das sich diesen Themenbereichen fachlich und praxisorientiert annimmt – etwa in breiten Podiumsdiskussionen, Projekten zur Ernährungsbildung sowie durch die Vernetzung von regionalen Herstellern mit Wissenschaft und Forschung. Unter anderem läuft zurzeit das innovative Projekt "Ein steirisches Paradeiserketchup", in dem der bei Ketchup meist hohe Zucker- und Salzgehalt durch andere Zutaten ersetzt werden soll.

Prominente Diskussionsteilnehmer

Unter dem Titel "Lebensmittelindustrie: Vom Niedergang der Genusskultur. Sind Lebensmittel heute eher Leidensmittel?" diskutierten deshalb in einer würzigen aber fairen und ansprechenden Podiumsdiskussion hochkarätige Gäste aus dem interdisziplinären Feld der Ernährungs- und Lebensmittelbranche: Didi Dorner (Haubenkoch, "cuisine intuitive"), Ingrid Kiefer (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit), Oskar Wawschinek (Pressesprecher des Fachverbandes der Lebensmittelindustrie) und Josef Zotter (Chocolatier). Peter Bermann, Geschäftsführer des Steirischen Ernährungs- und Technologiezentrums, begrüßte im Augartenhotel neben den Diskussionsteilnehmern auch die über 70 Gäste aus unterschiedlichen mit Gesundheits-, Umwelt- und Ernährungsthemen befassten Bereichen, darunter etwa Ernährungswissenschafterin und Landtagsabgeordnete Sandra Holasek und Studierende der Grazer Universitäten.

Wertschätzung für Lebensmittel

In der eineinhalbstündigen Diskussion unterstreicht etwa Haubenkoch Didi Dorner vor allem die Wichtigkeit der Naturbelassenheit von Lebensmitteln und den ehrlichen Umgang mit diesen – vom Landwirt bis zum Supermarkt. Zudem gelte es, unser natürliches Geschmacksempfinden wieder mehr zu schulen, denn dieses sei der beste Hinweis auf die Qualität eines Lebensmittels. Dorner verweist auch darauf, dass viele Lebensmittelintoleranzen ihre Ursache in einem Zuviel vom jeweiligen Lebensmittel haben können. Im Hinblick auf die überbordenden Reglementierungen, etwa bei Obst und Gemüse, wünscht sich der Haubenkoch, dass jede Region ihre jeweiligen, regionstypischen Produkte hervorbringen und vertreiben darf, ohne sich Sorten-Regulierungen unterwerfen zu müssen. Chocolatier Josef Zotter betont, dass wir uns wieder mehr Zeit fürs Essen nehmen sollten. Auch Hersteller müssten in der Kommunikation nach außen ihren Lebensmitteln mehr Wert geben und etwa Fleischproduzenten sich trauen, höhere Preise zu verlangen – ein interessanter Aspekt, zu dem auch die weit verbreitete Meinung diskutierte wurde, dass gesunde Ernährung "nicht leistbar" zu sein scheint. Eine Frage der Prioritätensetzung, denn sieht man sich die Zahlen der Österreichischen Ernährungsberichte der Universität Wien an, wird schnell klar: Die Österreicher geben heute durchschnittlich weniger für Lebensmittel aus als vor einigen Jahrzehnten. Waren es in den 1950er Jahren noch 42% des Haushaltseinkommens, so sind es aktuell nur mehr 11%.

Lebensmittelsicherheit und Produktqualität

Laut dem Pressesprecher des Fachverbandes der Lebensmittelindustrie, Oskar Wawschinek, sei ein Problem, dass drei Lebensmittelketten den österreichischen Markt dominieren und den Preis drücken. Hinsichtlich der großen Mengen weggeworfener Lebensmittel plädiert auch er dafür, dass die Kunden bewusster einkaufen und nicht bei jedem Sonderangebot zugreifen sollten. In punkto Lebensmittelsicherheit unterstreicht Wawschinek die hohen Standards industriell hergestellter und kontrollierter Lebensmittel, in punkto Produktqualität gehen in dieser Diskussion die Meinungen zu ebendiesen auseinander. Zu oft würden dem eine unnatürliche Verarbeitung, ungesunde Zutaten (gehärtete Fette, zu viel Zucker, künstliche Aromen, etc.) und Umweltschäden gegenüberstehen. Ingrid Kiefer von der Agentur für Ernährungssicherheit verweist zudem darauf, dass nicht nur die Werbung die Konsumenten im Ernährungsverhalten negativ beeinflussen kann, sondern zum Beispiel auch Restaurants durch Marketing, Gestaltung und Atmosphäre, wenn dahinter eine geringe Qualität der verwendeten Lebensmittel und gesundheitlich nachteilige Zubereitungsformen stehen.

Essen bedeutet mehr

Für breite Zustimmung an diesem Abend sorgten vor allem drei zentrale, vielleicht sogar grundlegende, Aspekte: Den Lebensmitteln und dem Essen wieder mehr Zeit zu schenken, sich bewusst zu machen, was Ernährung eigentlich bedeutet, und dass schlussendlich wir alle durch unser Kaufverhalten bestimmen, welche Produkte in den Regalen landen.

Dies kann nur gemeinsam geschehen. Durch viele qualitätsbewusste Hersteller und Konsumenten. Durch eine ehrliche und respektvolle Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Lebensmittelherstellern. Und durch das aktive Leben der Vision einer gesünderen Gesellschaft und lebenswerten Umwelt. Jeder einzelne wird davon profitieren.

WOCHE-Artikel: PH-Rektorin Elgrid Messner über Ernährungsbildung

Bisherige STERTZ-Veranstaltungen:
Auftakt zur Dialogserie: LANDSCHAF(F)T ESSEN
Podiumsdiskussion "Macht Dampf! Ernährungsbildung, jetzt."

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