Venedig-Trilogie
Gerhard Roth: "Es häufen sich Wunder über Wunder"

Ein Reisender: Für Gerhard Roth birgt Venedig alles in sich, was Menschen zustande bringen können, wie eine steinerne Bibliothek. | Foto: Senta Roth
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  • Ein Reisender: Für Gerhard Roth birgt Venedig alles in sich, was Menschen zustande bringen können, wie eine steinerne Bibliothek.
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Der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller, Drehbuchautor und Fotograf Gerhard Roth hat mit seinem jüngsten Roman "Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe" seine Venedig-Trilogie abgeschlossen. Die WOCHE Deutschlandsberg hat den großen österreichischen Literatur-Staatspreisträger auf seinem Zweitwohnsitz in Kopreinigg besucht, um mehr über den außergewöhnlichen Krimi und die nächsten Vorhaben von Gerhard Roth zu erfahren.

SULMECK-GREITH. Man muss schon etwas ortskundig sein, um nach Kopreinigg in der Gemeinde St. Martin im Sulmtal zu finden. Am Ziel angekommen wurde ich auch gleich von Senta und Gerhard Roth begrüßt, um am Holztisch unter dem legendären Nussbaum Platz zu nehmen. Es ist ein besonderer Ort, an dem Gerhard Roth nicht nur Entspannung und Muße für seine literarischen Arbeiten findet, sondern wo auch schon viele prominente Gäste aus Politik, Wirtschaft und dem kirchlichen und kulturellen Leben den Blick über das weststeirische Hügelland bei einem guten Glaserl Wein und gediegenen Gesprächen genossen haben. Der Literat von internationalem Rang hat hier in der Weststeiermark genau jene Stimmung gefunden, die ihn zu seinen berühmtesten Werken inspiriert hat.

Es ist ein wunderbarer Platz hier. Wie sind Sie denn gerade in die Weststeiermark gekommen?
GERHARD ROTH: Ich bin zwar ein Kosmopolit aber ebenso ein Liebhaber des Landes. Das ist nicht widersprüchlich in meinem Leben, das gehört dazu.
Bereits als Kind bin ich nach dem Zweiten Weltkrieg oft mit meinem Vater im Raum um Groß St. Florian gewesen. Mein Vater war ja Arzt und hat seine Dienste für Nahrungsmittel angeboten. Ich habe damals als gut achtjähriger Bub die Spritzen sterilisiert. Mein Vater hat gehofft, dass ich in seine Fußstapfen als Arzt treten werde. 
Wir waren somit den Menschen und auch der Gegend sehr verbunden und das ist auch geblieben. Diese Landschaft und die Menschen haben mich inspiriert, sodass ich hier als Kosmopolit neben meiner Wohnung in Wien mit meiner Frau ein Domizil am Land gefunden habe.
Ich habe in jenen bald schon 50 Jahren, in denen ich hier lebe, so etwas wie ein Heimatgefühl entwickelt.

Sie haben ein Medizin-Studium begonnen, ist das richtig?
Ja, ich habe das dem Wunsch meines Vaters entsprechend gemacht, aber mein Herz war immer voll damit beschäftigt, dass ich eines Tages Schriftsteller werden will. 

Wie ist dieses Talent geweckt worden?
Ich hatte eine Großmutter aus Siebenbürgen mit einem Nervenleiden. Dennoch konnte sie ganz wunderbar erzählen.  Während meine Brüder eher von ihr Abstand gehalten haben, weil sie eben etwas eigentümlich war, habe ich mich gerade von ihrer speziellen Art und Weise angezogen gefühlt. Bis zu meinem zehnten Lebensjahr sind wir im selben Haus zusammen gewesen, wobei sie mir Geschichten erzählt hat. Dabei ging es sehr oft um den Ausbruch des Vesuv in Neapel aus Perspektive des Plinius, der ja den historischen Ausbruch des Vesuv beschrieben hat. Da ich aber lieber ein gutes Ende wollte, habe ich begonnen, selbst den Anfang oder das Ende zu erzählen. Meine Großmutter war sehr begeistert und hat mich immer weiter dazu eingeladen, Erzählstücke zu übernehmen. Als sie verstorben ist, habe ich ihren Bedecker von ihrer Hochzeitsreise bekommen, wo ich alles wieder nachlesen konnte - ein für mich sehr wichtiges Relikt unserer großen Zuneigung.

Sie haben gerade den dritten Band zur Venedig-Trilogie veröffentlicht. Warum immer wieder Venedig?
Venedig ist schon seit Jahrzehnten mein Anlaufplatz, weil sich dort Wunder über Wunder häufen.
Ich war als Kind mit gut zwölf Jahren mit meinem Vater in Venedig, der mir den Markusdom gezeigt hat. Ich war schlichtweg überwältigt. Für mich waren die vergoldeten Mosaike in den Kuppeln mit den Darstellungen aus der Bibel wie ein Beweis dafür, dass alles wahr ist, was ich bereits im Religionsunterricht gelernt habe. Mir sind diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ich habe mir vorgenommen, das alles nochmals zu sehen. Dabei sind aber 20 Jahre vergangen, bis ich wieder in Venedig gewesen bin. Seither habe ich den Dom an die 17 Mal besucht und dabei immer wieder Neues entdeckt.
Dazu habe ich mir immer gedacht: Wenn ich einmal alt bin, werde ich hier unter dem Nussbaum sitzen und über Venedig schreiben. Und genau so ist es gekommen.

"Ich bin im Kopf immer jung geblieben, nur der Körper ist wie die Karosserie von einem Auto verrostet, aber der Motor läuft noch."
Gerhard Roth

Wann waren Sie das letzte Mal in Venedig?
Das war vor eineinhalb Jahren, wobei ich mich wieder nicht satt sehen konnte. Ich habe die Stadt durchwandert von der Nervenheilanstalt bis zum Krankenhaus, in dem ich auch selbst als Patient gewesen bin. Aber auch Märkte, Museen, das Opernhaus und vieles mehr habe ich mir in vielen Stunden, Tagen, Wochen und Monaten zu Gemüte geführt, Notizen gemacht und fotografiert.
Mit diesem Schatz habe ich schon früher zu arbeiten begonnen, nämlich nachdem ich meine beiden großen Zyklen "Die Archive des Schweigens" (1980–1991) und "Orkus" (1995–2011) fertig geschrieben habe. Das sind 15 Bände mit 6.000 Seiten, darunter auch der viel zitierte "Stille Ozean". Das waren ganz wunderbare Tage und auch Nächte, in denen ich mich mit dem Material aus Venedig befasst habe.

Man spürt Ihre Liebe zum Markusdom in den detaillierten Beschreibungen in jenem dritten Kriminal-Roman betitelt "Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe", ein Zitat von William Shakespeare, warum?
Begründet in vergeblicher Liebesmüh. Ich beschreibe in diesem dritten Kriminalroman erstmals eine Frau als Hauptfigur, die sehr unter dem Tod ihres Mannes leidet, der in Venedig über die Treppe einer Brücke gestürzt ist. "Lilly  Kuck" reist nach seiner Beerdigung spontan nach Venedig und folgt nach den Angaben aus einem Notizbuch, das ihr Mann in Spiegelschrift verfasst hat seinen Spuren und sucht jene Menschen, denen er bei seiner letzten Venedigreise begegnet ist. Dabei gerät sie immer tiefer in einen dunklen, mysteriösen Kriminalfall um Polizistenmorde, den man nachlesen kann. Insgesamt macht sie sich mit dieser Venedigreise auf die Reise zu sich selbst und begegnet den Rätseln um das Leben an sich. Dabei kommen auch die Hauptfiguren aus meinen ersten beiden Venedig-Bänden vor, also die "Die Irrfahrt des Michael Aldrian" und "Die Hölle ist leer - die Teufel sind alle hier". Außerdem ist der Bildband "Venedig, ein Spiegelbild der Menschheit" mit Fotos der etwas anderen Art dazu entstanden (Brandstätter Verlag).

Foto: Veronik

Die Fotos sind von Ihnen?
Nicht alle, einige sind von meiner Frau Senta sowie von meinem Freund Martin Behr.
Aber es sind vor allem Fotografien meiner Spaziergänge und meiner Erkundungsgänge, die sich deshalb stark von sonst üblichen Reiseführern unterscheiden. Auch wenn es dabei Bilder von den bekannten Orten in Venedig gibt, so habe ich doch über große Strecken meine eigenen Wahrnehmungen festgehalten, wie z.B. eine Kellerwohnung mit Puppen vor den Eisenstäben an den Fenstern, den Fußballplatz oder den Irrgarten von Borges.
Die Fotografie ist für mich eine große Stütze, um Eindrücke festzuhalten.

Was wird die Leserschaft als Nächstes von Gerhard Roth erwarten?

Das wird ein Weltuntergangsszenario sein, aber nicht wegen Corona. Das Leben ist sehr ernst aber doch ganz großartig. Das kann man schon daran erkennen, wenn man als interessierter Reisender mit offenen Augen durch die Welt geht und nicht als Tourist, der nur sein Wohlergehen im Sinn hat. Ich bin immer als Reisender unterwegs. Dazu gehört der Respekt vor den Menschen, vor der Landschaft und vor den Kulturen.

Sie waren maßgeblich an der Initiative zur Entstehung vom Greith-Haus in St. Ulrich im Greith beteiligt und fördern die "Kultur im Zentrum der Peripherie", wie kam's?
Vor 21 Jahren hat mich Sepp Zmugg, ein benachbarter und weitgereister Lehrer der Weinbauschule Silberberg, darauf angesprochen, ob man nicht in St. Ulrich ein Kulturhaus nach dem Vorbild des Schriftstellerhauses von John Steinbeck "Jenseits von Eden" (USA) umsetzen könnte.
Nach vielen Gesprächen mit Vertretern aus Kultur und Politik und etlichen Glaserl steirischem Wein ist es mit Unterstützung des Landes Steiermark zur baulichen Umsetzung gekommen.
Das von den Stararchitekten Szyszkowitz und Kowalski kreierte Kulturhaus bietet eine Bühne für Beiträge von internationalem Format aber auch für regionale Aktivitäten von Kabarett bis zu Musikkapellen. Wir hatten die Crème de la Crème der österreichischen Malerei hier eingeladen. Meist sind die Künstlerinnen und Künstler selbst nach St. Ulrich gekommen und haben in den umliegenden Gasthöfen und manchmal auch bei mir übernachtet.
Inspirierende Gespräche haben zu sämtlichen Themen auch hier unter dem Nussbaum stattgefunden.  Sowohl die Kunstschaffenden als auch die Journalisten waren immer sehr angetan von der Gegend und den Menschen. Derzeit ist das Greith-Haus nur durch ein Missverständnis mit einem Virus nicht im Regelbetrieb. Wir hoffen, dass wir bald wieder den Betrieb aufnehmen können. Dann möchten wir mit diesem breiten, kulturellen Spektrum weiterhin die Aufmerksamkeit aus ganz Österreich auf das Greith-Haus lenken.

Was macht für Sie die Steiermark aus?
Gleich vorweg: Ich habe ja auch in Wien eine Wohnung, sodass ich meist ein halbes Jahr in Wien und ein halbes Jahr in der Steiermark verbracht habe. Das ist aber jetzt durch eine Erkrankung, die ich hatte, und auch durch die Corona-Krise schwer möglich, sodass ich die letzten Jahre vor allem in der Steiermark verbracht habe. Hier liebe ich den Wechsel der Jahreszeiten, den man am Land besonders intensiv erleben kann.
Auch wenn es Anfangs nicht ganz so einfach gewesen ist, ich mag die Menschen und habe großen Respekt vor ihnen. Die Leute hier am Land sind ja universalgebildet: Sie können vom Auto bis zum Traktor alles reparieren, beherrschen die Arbeit im Wald ebenso wie am Acker, können mit Tieren umgehen und haben zu ihren Familien eine besonders enge Verbindung, die beispielgebend ist. Ich spüre starke Nachbarschaftshilfe, wenn es notwendig ist. Ich bin einfach überwältigt von dem Leben, das die Menschen hier führen.

Wenn Sie wissen möchten, wer noch unter jenem Nussbaum in Kopreinigg Platz genommen hat, wie der Schriftsteller die Corona-Krise sieht und welchen Bezug Gerhard Roth zur Bienensprache und Imkerei und zu König Fußball als Ehrenbotschafter des SK Sturm hat, dann hören Sie in den Podcast, den wir für unsere "SteirerStimmen" mit Gerhard Roth aufgenommen haben.

SteirerStimmen – Folge 52: Schriftsteller Gerhard Roth

Wir haben uns bereits vor vier Jahren zum 75. Geburtstag mit Gerhard Roth zu einem Interview unter dem Nussbaum getroffen:

Gerhard Roth: "Es ist für mich ein Lebensabenteuer"
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